<strong>1933</strong>verschiebt. „Noch etwas paradoxer ausgedrückt, die Schrecksekunde desBürgertums dauert fast ein ganzes <strong>Jahr</strong>. Sie endet erst mit dem Frühjahr1934.“ Am 1. Juli spricht der Kanzler endlich ein Machtwort. Er erklärtdie nationalsozial<strong>ist</strong>ische Revolution für beendet. 135Vielleicht <strong>ist</strong> es nicht leicht nachvollziehbar, vielleicht <strong>ist</strong> es nur damit zuerklären, dass die Hoffnung immer zuletzt stirbt, aber die Ankündigung,dass die Revolution jetzt <strong>vor</strong>bei sei, muss bei manchem gewirkt haben.<strong>Es</strong> zeichnet die Hoffnung ja aus, dass sie gerade dann am nötigsten <strong>ist</strong>,wenn alles am aussichtslosesten scheint. Der kritische Zeitgenosse siehtim Sommer <strong>1933</strong> hingegen den ersten Höhepunkt der Anwendung vonGewalt im öffentlichen Leben in Deutschland: „Wie leicht lernt und übtsich die nackte Gewalt! Besser noch als bei Hitler können wir diesenVorgang an seinen Unterführern beobachten. Wir haben gesehen, wiesie binnen weniger <strong>Wochen</strong> als Führer oder Unterführer in ungeahnteMachtpositionen hineingeraten, wie ihnen im Grunde mehr zufällt, alssie zunächst selber ahnen. Was soll eigentlich diese Art von Menschen,die so plötzlich aus den Tiefen wirtschaftlicher Verschuldung oder kleinbürgerlichsterLebenshaltung zu Min<strong>ist</strong>ern, Staatssekretären, Reichsstatthaltern,Oberpräsidenten, Staatsräten, Oberbürgerme<strong>ist</strong>ern, Landeshauptleuten,Polizeipräsidenten, kurzum zu bislang un<strong>vor</strong>stellbarenHöhen emporklettern, mit aller dieser Macht anfangen? Berufliche Vorbildunghaben sie nicht. Gesetzliche Vorschriften kennen sie nicht. EingearbeitetenBeamten trauen sie nicht. Was bleibt ihnen anderes übrig,als zu extemporieren? Sie diktieren einfach, fest darauf vertrauend, dassdie anderen schon gehorchen werden. Hierbei machen sie eine völligunverhoffte Entdeckung: sie merken, dass ihre unbeholfene Methode<strong>vor</strong>züglich funktioniert, weil fleißige Aktuare und nimmermüde Dezernentengrundsätzlich nicht aussterben. Was spätabends beim Umtrunkdekretiert wird, liegt mittags fix und fertig in der Unterschriftenmappe.Rauhe Befehle wandeln sich in geschniegelte Erlasse. Derbe Flüche lesensich wie eine abgeklärte Erläuterung zum bürgerlichen Gesetzbuch.Diese <strong>neue</strong>n Größen werden sich bis zuletzt ihre souveräne Verachtung<strong>vor</strong> Zuständigkeitsfragen oder Gesetzestexten bewahren. Nur insoweitpassen sie sich allmählich den <strong>neue</strong>n Amtsgewohnheiten an, als sie aufdie Findigkeit ihrer Beamten vertrauen lernen. Da diese nun einmal dieerstaunliche Fähigkeit besitzen, selbst noch die verwegensten Maßnah-135<strong>Das</strong> Deutsche Reich I, S. 10650
<strong>1933</strong>men in ein reich besticktes Paragraphenmäntelchen zu hüllen, einigtman sich mit der Zeit auf Arbeitsteilung: die <strong>neue</strong>n Behördenchefs praktizierendie Gesetzlosigkeit, und die pflichtgetreuen Beamten legalisierendie Gewalt.“ 136Die Zentrumspartei, die Deutsche Volkspartei, der Jungdeutsche Ordenund die Bayerische Volkspartei lösen sich am 5. Juli selbst auf, be<strong>vor</strong> derReichstag am 14. Juli ein Gesetz gegen die Neubildung von Parteien beschließt.Die Min<strong>ist</strong>er, die nicht der richtigen Partei angehören, stehenplötzlich ohne ihr Parteibuch und obendrein ohne Parteimitglieder da.Jetzt können sie gerne wollen wollen, was sie wollen – keiner wird siedabei unterstützen können. Doch zum Verlassen der Regierung könnensie sich nicht entschließen. Was soll denn werden, wenn Hitlers Männerabsolut allein regieren dürfen? Einen Tag später folgt ein Gesetz, das derReichsregierung die Möglichkeit gibt, das deutsche Volk zu befragen, obes einer beabsichtigten Maßnahme zustimmt oder nicht. <strong>Es</strong> <strong>ist</strong> sicherlichauch ein feines Abstimmen, wenn viele der Mitdenkenden das Land ausdem einen oder dem anderen Grund bereits verlassen haben, wenn dieanderen eingesperrt sind, und wenn dem Rest der Mund verboten wird.Wie geht die freiwillige Auflösung der großen und kleinen Parteien undder Vereine ganz praktisch <strong>vor</strong> sich? „Man braucht die SA nicht einmalaufzusuchen, sie kommt ganz von selber und handelt nach der Regel,dass der Abschied von altvertrauten Büroräumen leichter fällt, wenn dieSchemel zerbrochen an der Wand liegen und aus den Akten ein Freudenfeuerangezündet wird, während der Hauswirt die Schadenersatzrechnungpräsentiert. Selbst hartgesottene Individual<strong>ist</strong>en halten es daherfür besser, beizeiten nachzugeben. Wenn sie dann einander begegnen,schimpfen sie wohl auf die Gesinnungslumpen um sich herum, siezwinkern sich auch gegenseitig zu, sie selber brächten dergleichen Opferselbstverständlich nur zur Tarnung. Aber was tut’s? Mit der Zeit gewöhnensich bewährteste Reaktionäre ebenso wie Rotfront<strong>ist</strong>en an die brauneFarbe, und keinerlei noch so verbräunte reservatio mentalis ändertetwas am äußeren Sieg der Bewegung. Was gegnerisch <strong>ist</strong>, verschwindetvon der Bildfläche. Die großen Parteien fallen, Gewerkschaften und Unternehmerverbändewerden beseitigt, sämtliche Logen, die me<strong>ist</strong>en Vereineund Bünde hören auf zu bestehen, kurzum, auf der ganzen Liniewird tabula rasa gemacht. Wir dürfen hinter diesem gewaltmäßigen136Gisevius I, S. 13251
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