<strong>1933</strong>rührt. War er nicht der erste gewesen, der sich über diesen gemeingefährlichenRall entrüstet <strong>hat</strong>te? War er es nicht gewesen, der ein sowachsames Empfinden für die Notwendigkeiten der braunen Staatsraisonaufgebracht <strong>hat</strong>te, dass er deshalb seine Amtsverschwiegenheit gebrochenund den SA-Dienststellen von dem Vorfall Meldung erstattet<strong>hat</strong>te? Nun, dann musste er logischerweise auch mitwirken, wenn sie ihrenFememord vollstreckten. Fememord? Vielleicht <strong>ist</strong> das nicht einmalder richtige Ausdruck, jedenfalls was Reineking betrifft. Ich halte es fürdenkbar, dass dieser Justizangestellte unter anderen Umständen selbstin diesem Stadium noch die Kraft aufgebracht hätte, die Betonung aufdie Endsilbe zu legen. Aber war das, was jetzt geschehen sollte, was jetztgeschehen musste, überhaupt Mord zu nennen? Nein, es ging um dieWahrung eines Staatsgeheimnisses! Der Staatsnotstand trat ein, weil einSkandal ohnegleichen vertuscht werden musste! Sämtliche Beweisstückemussten vernichtet, alle leiblichen Spuren zum Verschwinden gebrachtwerde, die irgendwie hätten Zeugnis ablegen können vom wahrenHergang der Dinge und von Lubbes wahren Komplicen. Sonst fiel alleWelt über die Partei der Reichstagsbrandstifter her, sonst waren die innen-wie außenpolitischen Konsequenzen unausdenkbar. Reineking sahein, niemals wieder durfte Rall seinen Mund aufmachen. Mehr als dies.Rall musste so das Zeitliche segnen, dass es niemand merkte. Weder dieAngehörigen noch die Polizei noch das Gericht durften jemals in Erfahrungbringen, wo er abgeblieben war, vielmehr mussten sie jahrelangvergeblich nach ihm forschen, bis sie sich letztlich allesamt mit dem Untersuchungsergebnisder Gestapo begnügten, wonach dieser mit allenSchlichen vertraute Verbrecher des Nachts ausgebrochen und auf Nimmerwiedersehenverschwunden war.“ 180 Allerdings ging diese Rechnungnicht auf.„In der Tat war besagter Rall auf Geheiß der Gestapo nach Berlin beordertund eingehend verhört worden. Diese Vernehmungen <strong>hat</strong>ten sich inGeißels Zimmer abgespielt. Nach ihrer Beendigung wurde der Häftlingeines Nachts aus dem Polizeipräsidium geholt. Angeblich sollte es sichum eine kurze Gegenüberstellung handeln. In Wirklichkeit musste ersich in der Prinz-Albrecht-Straße [Hauptquartier der Gestapo] bis aufsHemd ausziehen. Dann fuhren sie zu viert, den <strong>vor</strong> Kälte und Todesangstzitternden Rall unten ins Auto gepfercht, zur Stadt hinaus.180Gisevius I, S. 81f.74
<strong>1933</strong>Dort, wo die Gelegenheit günstig schien, machten sie halt, und was sichdann ereignete, wusste jener unbekannte SA-Mann, er hieß Reineking,scheußlich plastisch zu berichten. Sie sahen an einem Waldesrande einfreies Feld liegen, und in der Nähe erspähten sie eine Aussichtsbank.Auf diese musste sich Rall setzen, worauf sie ihn gemeinsam erwürgten.Nach Reinekings Schilderung soll es eine endlose Zeit gedauert haben,bis ihr Opfer tot war: zumindest scheinen den Mördern bei diesem üblenGeschäft die Minuten zu Stunden geworden zu sein.Darauf ließen sie die Leiche auf der Bank lehnen und machten sich daran,im nahen Acker ein Grab zu schaufeln. Doch wer beschrieb ihrenSchrecken, als sie plötzlich ein Geräusch hörten, sich umdrehten undvon weitem die Leiche weglaufen sahen. Der Anblick des im hellenMondschein und mit dem flatternden Hemde davonspringenden Totenwar selbst für die abgebrühten Totschläger der SA grauenerregend.Noch größer war indessen die Angst der Mordbuben, alles könne entdecktwerden. Eilig rannten sie hinter der Leiche her, und jetzt würgtensie sie so gründlich, bis ihr wirklich das Atmen verging. Hastig wurde sieverscharrt. Man konnte es Reineking glauben, dass ihm und seinenKumpanen sehr unbehaglich wurde, als die bereits am nächsten Mittagauf diesen peinlichen Zwischenfall angesprochen wurden.<strong>Es</strong> gibt Jugendeindrücke, die man niemals vergisst. Ähnlich geht es mirmit dieser Schilderung der Ermordung des Rall. Wenngleich ich späterhintausenderlei schlimmere Sachen gehört habe, so steht dieses gespenstischeBild immer wieder <strong>vor</strong> meinen Augen. Die sausende Autofahrt,die Mondscheinnacht, der Mann im Hemd, die Würgerei, der Toteauf der Bank, die Leiche, die fort läuft – ich gebrauche diese Ausdrucksweise,weil sich Reineking ihrer bediente –, nicht zu vergessen dieseshastige, unzulängliche Verbuddeln, so dass das Verbrechen nach <strong>wenigen</strong>Stunden offenkundig <strong>ist</strong>: ich finde dieses trostlose Gemälde in seinerPlastik so eindringlich, dass ich es aus Chron<strong>ist</strong>enpflicht festhaltenmuss, wenn ich über die Geschichte des Reichstagsbrandes schreibe.“ 181„Warum gewährten sie diesem Rall, einige deftige Schläge ausgenommen,keinen Freitod unter SA-Ass<strong>ist</strong>enz, den der Polizeiarzt zu beglaubigen<strong>hat</strong>te? Nun, weil beim Totschlagen oder bei der polizeilichen Abwicklungein paar Zeugen zu viel hätten dabei sein können. Womöglichhätte dieser indiskrete Bursche schnell noch einige Mitwisser schaffen181Gisevius I, S. 77f.75
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