<strong>1933</strong>entwurf dazu im polnischen Außenmin<strong>ist</strong>erium <strong>vor</strong>. Dann herrscht fürsechs <strong>Wochen</strong> Funkstille zwischen Warschau und Berlin. Piłsudski versuchtin dieser Zeit ein drittes Mal, Paris zu animieren, einer zukünftigenWiederaufrüstung Deutschlands durch einen Präventivkrieg zu<strong>vor</strong>zukommen.Als Frankreich ihm erneut die kalte Schulter zeigt, entschließtsich der polnische Staatschef, seine Außenpolitik zu ändern.“ 195Warschau hegt jetzt die Hoffnung, dieses <strong>neue</strong> Deutschland könne zumVerbündeten gegen die Sowjetunion werden. Die antikommun<strong>ist</strong>ischeund antijüdische Einstellung macht Hitler für Warschau als denkbarenPartner viel attraktiver als die Vorgänger, die sich mit der Sowjetunionverbündet <strong>hat</strong>ten, um die Isolation Deutschlands durch die Verträge vonVersailles und Saint-Germain zu durchbrechen.Auch der französische Kriegsmin<strong>ist</strong>er Daladier sucht den Ausgleich mitHitler. Zweimal schickt er den Grafen Fernand de Brinon nach Berlin.Der Journal<strong>ist</strong> mit exzellenten Beziehungen zu Finanzkreisen soll sehen,wie Frankreich weiter mit Deutschland zusammenarbeiten kann. Hitlergewährt ihm ein Interview, das am 23. November im Pariser Matin undim Berliner Völkischen Beobachter zu lesen <strong>ist</strong>. Hitler sagt darin, dass esjetzt darum geht, die Zugehörigkeit des Saarlandes zu Deutschland oderzu Frankreich zu klären, damit es keine Streitfragen in den Beziehungenmehr gibt, die Kriege rechtfertigen. Wörtlich sagt Hitler: „Man beleidigtmich, wenn man weiterhin erklärt, dass ich den Krieg will.“ 196 De Brinonfragt nach, ob später wirklich keine <strong>neue</strong>n Schwierigkeiten zwischen denbeiden Ländern auftreten werden, und Hitler antwortet ihm: „Wenn ichmein Wort gebe, so bin ich gewohnt, es zu halten.“ Der Journal<strong>ist</strong> möchteaußerdem wissen, ob Deutschland in den Völkerbund zurückkehrenwird, worauf Hitler sagt: „Wir werden nicht nach Genf zurückkehren.Ich bin aber stets bereit, Verhandlungen mit einer Regierung aufzunehmen,die mit mir sprechen will.“ 197 Hitler strebt hier solche zweiseitigenVerträge wie in den Verhandlungen mit Warschau an.Doch nirgendwo <strong>ist</strong> man so unmittelbar mit den <strong>neue</strong>n Herren in Berlinkonfrontiert wie in Deutschland selbst und jeder sucht seinen Weg, ummit den ungewohnten Umständen klarzukommen. Dabei sind sich viele195Schultze-Rhonhof, S. 406196<strong>Das</strong> Dritte Reich I, S. 273197Ebd., S. 27386
<strong>1933</strong>Leute nicht sicher, wie viel Reichskanzler Hitler von den Zuständen imLand weiß. Vielleicht glaubt der Kanzler ja, Kundgebungen wie eine am13. November im Berliner Sportpalast widerspiegelten die Meinungender me<strong>ist</strong>en Chr<strong>ist</strong>en in der evangelischen Kirche. So setzt sich GustavHeinemann* am 29. November aufgewühlt an seinen Schreibtisch undrichtet einen scharfen Brief an ihn: „Sehr verehrter Herr Reichskanzler!Wieder einmal versucht die »Glaubensbewegung Deutscher Chr<strong>ist</strong>en«,hohe Regierungsstellen durch falsche Berichte über den wahren Zustandder evangelischen Kirche irrezuführen (vgl. heutige Telegramme über<strong>Es</strong>sener Vorgänge).“ 198 Sicher brodelt es überall im Reich, aber in <strong>Es</strong>senkennt er sich aus, da <strong>ist</strong> er seit <strong>Jahr</strong>en zu Hause, da <strong>ist</strong> er Justiziar undProkur<strong>ist</strong> bei den Rheinischen Stahlwerken sowie Kirchen<strong>vor</strong>steher derEvangelischen Gemeinde <strong>Es</strong>sen-Altstadt. In seinem Brief nimmt er auchStellung zu den jüngsten Einlassungen von Studienrat Dr. Krause imBerliner Sportpalast, der dort zum Aufbau einer Volkskirche aufrief,wozu erst einmal die „Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienstund im Bekenntnismäßigen“ 199 gehört. Weiter sagte er: „Die Juden sindnicht Gottes Volk. Wenn wir Nationalsozial<strong>ist</strong>en uns schämen, eine Krawattevom Juden zu kaufen, dann müssten wir uns erst recht schämen,irgendetwas, das zu unserer Seele spricht, das innerste Religiöse vomJuden anzunehmen. Hierher gehört auch, dass unsere Kirche keineMenschen judenblütiger Art mehr in ihre Reihen aufnehmen darf.“ 200In seinem Brief an den Reichskanzler setzt sich Dr. Heinemann damitauseinander: „Die ungeheuerlichen Angriffe des Berliner GauobmannesDr. Krause auf die Grundlagen des Chr<strong>ist</strong>entums und der evangelischenKirche haben eine gewaltige Erregung in den hiesigen Gemeinden her<strong>vor</strong>gerufen.Diese Erregung steigert sich täglich, nicht zuletzt deshalb,weil eine plötzlich eintretende Nachrichtensperre für die hiesige Presseden Gerüchten Tür und Tor öffnet.“ 201 Obwohl Gustav schon 34 <strong>Jahr</strong>e alt<strong>ist</strong>, oder vielleicht gerade weil er erst 34 <strong>ist</strong>, <strong>hat</strong> er den Drang, seinemKanzler die Wahrheit über die Stimmung in seinem Reich zu vermitteln;wie soll es der Kanzler in Berlin sonst auch erfahren, wenn es ihm keinersagt? „17 Pfarrer des Kirchenkreises <strong>Es</strong>sen haben heute ihren Austritt198Werner Koch, Ein Chr<strong>ist</strong> lebt für morgen. Heinemann im Dritten Reich, S. 47199Koch, S. 46200Koch, S. 46201Ebd., S. 4787
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