<strong>1933</strong>können, oder sie hätten im Leichenschauhaus nach seinem Namen geforscht.Darum fuhren sie lieber heimlich hinaus, ein paar Täter nur, insDunkel der Nacht. Darum wählten sie jene unbedachte, übereilte Formdes Mordes, durch die sie die Entdeckung unfreiwillig beschleunigten.Sie meinten, besonders schlau zu sein, wenn sie ihr Opfer nicht erschossen,sondern <strong>vor</strong>sichtshalber, allen unnötigen Lärm vermeidend, erwürgten.Sie wähnten, besonders gerissen zu handeln, wenn sie eineLeiche verscharrten, die nichts weiter als ein Hemd an<strong>hat</strong>te, so dassman aus der Bekleidung oder aus den Insignien keinerlei Rückschlüsseauf den Träger ziehen konnte. Aber sie vergaßen, dass es jene <strong>Jahr</strong>eszeitwar, wo die Äcker nur eine kleine Weile brach liegen, bis der Landmannkommt, sie zu bestellen. Sie bedachten nicht, dass man Leichen tiefervergraben muss als bloße zwanzig Zentimeter, deren dünne Erdschichtder Sturmwind verweht oder der Pflug umwühlt. Erst recht ahnten sienichts von der Findigkeit ihrer eigenen Polizei, der sie sich selbstvermessenzugehörig fühlten und von der sie sich trotzdem nicht <strong>vor</strong>zustellenvermochten, diese gelernten Kriminal<strong>ist</strong>en könnten so schnell undgründlich zur Stelle sein – ja, hätten diese »Hilfspoliz<strong>ist</strong>en« nur wenigeStunden an einem kriminal<strong>ist</strong>ischen Anfängerkurs teilgenommen, siehätten sich schon darauf eingerichtet, dass man auch von Toten Fingerabdrückenehmen kann.Was aber wurde aus Reineking, als alles <strong>vor</strong>über war? Der Standartenführerfeierte alsbald Hochzeit. Er heiratete eine reiche Bauerntochter,für seine Verhältnisse machte er eine gute Partie. Auch seiner jungenFrau muss es zunächst so geschienen haben, als neige sich der Himmelauf die Erde. Niemals sah man auf ihrem schlichten Dorf eine prächtigereVermählungsfeier. Die gesamte SA der Umgebung paradierte, die örtlichenWürdenträger waren vollzählig anwesend, und für die Dorfbevölkerunggab es ein noch glänzenderes Schauspiel. Man denke sich, derStaatsrat Karl Ernst, dieser so oft in den Zeitungen abgebildete hohe SA-Führer, fuhr mit seinem Gruppenstabe persönlich <strong>vor</strong>. Eine prunkvollereKolonne von Luxusautomobilen <strong>hat</strong>te man bis dahin <strong>vor</strong> dem kleinenDorfkirchlein nicht gesehen. Hinterher floss der Alkohol in Strömen.Eine Zeit lang soll es dann im Haushalte des Standartenführers hochhergegangen sein. Wie hätte dieser Glückspilz, der sich noch <strong>vor</strong> <strong>wenigen</strong>Monaten auf dem Protokollantenschemel langweilte und mit demdas Schicksal augenscheinlich so hoch hinaus wollte, auch Maß haltenkönnen! Er passte sich dem <strong>neue</strong>n Lebensstil in aller Unbekümmertheit76
<strong>1933</strong>an. <strong>Es</strong> dauerte aber nur ein paar Monate, dann war die stattliche Geldsumme,die Reineking zur Belohnung erhalten <strong>hat</strong>te, verjubelt. Raschsank er in die Vergessenheit zurück. Nach dem 30. Juni 1934, anlässlichder großen Auskämmaktion innerhalb der SA entkleideten sie ihn seinerhohen Charge. Er wurde wieder einfacher SA-Mann und trug fortan seinschäbiges Zivil von ehedem . . . Ende 1934 hörten wir, man habe Reinekingwegen staatsgefährlicher Äußerungen ins KonzentrationslagerDachau eingeliefert. Danach brauchten wir nicht mehr lange zu warten.Einige Monate später stand sein Name in der großen Verlustl<strong>ist</strong>e. LautPolizeibericht – und Polizeiberichte sind immer richtig – <strong>hat</strong>te er sich inder Lagerzelle an seinem Hosenträger erhängt.“ 182<strong>Das</strong> <strong>ist</strong> die Nachbetrachtung, die Hans-Bernd Gisevius anstellte, der imSommer so froh war, dass er jetzt eine Stelle bei der politischen Polizei<strong>hat</strong>te und von erfahrenen Kriminal<strong>ist</strong>en sein Handwerk von der Piekeauf lernen kann: „Log Rall? Nein, er log nicht. Alles, was er sagte, <strong>ist</strong> insich glaubwürdig. Und selbst wenn uns hier und da ein Zweifel käme:den besten Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Schilderung liefertenseine früheren SA-Führer mit der für ihn so fatalen Schlussfolgerung,dass sie ihn umbrachten. Lassen wir einen Augenblick den KomplexLubbe beiseite und begnügen wir uns mit der Brandlegung als solcher.Nichts spricht dann gegen den geschilderten Hergang der Tat. Im Gegenteil,sämtliche Sachverständigen bezeugten <strong>vor</strong> Gericht aus eigenenÜberlegungen, so und nicht anders müsse die Tat begangen wordensein. Rall enthüllte daher nicht, er lüftete kein Geheimnis, im Grundebestätigte er bloß, was sich alle dachten, höchstens, dass er an Stelle derimaginären Kommun<strong>ist</strong>en die konkreten Nazis bei ihren wahren Namennannte. Insofern müssen wir uns einzig vergewissern, ob er etwa dieFalschen bezichtigte, besonders, ob er nicht diesen oder jenen Richtigenverschwieg. Wir vermissen [den Berliner SA-Chef] Helldorf, der so oftgenannt wurde, oder [den Min<strong>ist</strong>erialdirektor in der Polizeiabteilung]Daluege, der doch eigentlich hätte mit dabei sein müssen. Goebbelswurde verdächtig kurz gestreift, während Göring überhaupt kaum erwähntwurde. Ohne Göring gab es jedoch zwölf <strong>Jahr</strong>e lang in der Weltmeinungkeinen Reichstagsbrand. Indessen gerade diese Sparsamkeit inder Erzählung erhärtet Ralls Bericht.182Gisevius I, S. 83-8577
- Seite 4 und 5:
1933Der Führer sagt: Jetzt kommt d
- Seite 7 und 8:
1933mit verschwindenden Ausnahmen b
- Seite 9 und 10:
1933tag über die politische Lage u
- Seite 11 und 12:
1933angegeben wurde. »Military spo
- Seite 13 und 14:
1933nüchternen Vergleich, so ist D
- Seite 15 und 16:
1933liest der siebzehnjährige Paul
- Seite 17 und 18:
1933Experten vom Amt suspendiert. E
- Seite 19 und 20:
1933Möglichkeit gibt, den öffentl
- Seite 21 und 22:
1933Von nutzbringender und obendrei
- Seite 23 und 24:
1933Revolution vor fünfzehn Jahren
- Seite 25 und 26: 1933treibt die Aufräumaktion auch
- Seite 27 und 28: 1933er, den Frieden zu erhalten und
- Seite 29 und 30: 1933Präsident des Reichsverbandes
- Seite 31 und 32: 1933uns von den Ketten des 1. Buche
- Seite 33 und 34: 1933Einer anderer, der diesen Tag a
- Seite 35 und 36: 1933ich geschwiegen; ich war ja kei
- Seite 37 und 38: 1933Dass es diesen Straßenjungs ga
- Seite 39 und 40: 1933Dabei ist wichtig, dass das auc
- Seite 41 und 42: 1933wittert auch hier Morgenluft. O
- Seite 43 und 44: 1933dem anderen nehmen und in die G
- Seite 45 und 46: geht im Saft die deutsche Frau,droh
- Seite 47 und 48: 1933Monaten ist die Partei in sich
- Seite 49 und 50: 1933auch bei ihnen geklärt, was in
- Seite 51 und 52: 1933men in ein reich besticktes Par
- Seite 53 und 54: 1933Winterhilfe. Schlaue, Kluge und
- Seite 55 und 56: 1933Der junge Mann findet in dem ä
- Seite 57 und 58: 1933äußerung nicht anders zu erkl
- Seite 59 und 60: 1933Ablehnung in der Bevölkerung t
- Seite 61 und 62: 1933rer Hotelhalle saß und dabei z
- Seite 63 und 64: 1933und verbindlichen Gestalt vor i
- Seite 65 und 66: 1933Aussage im Fluss. Der Zuchthäu
- Seite 67 und 68: 1933die noch ausstand. Aber plötzl
- Seite 69 und 70: 1933letzte Fanfare. Statt dessen bi
- Seite 71 und 72: 1933tigen Asyl, seine Bekanntschaft
- Seite 73 und 74: 1933le zu schreiben. O nein, jetzt
- Seite 75: 1933Dort, wo die Gelegenheit günst
- Seite 79 und 80: 1933Auslese der Kolonne überwacht.
- Seite 81 und 82: 1933Zaungast des Weltgeschehens. Na
- Seite 83 und 84: 1933Während Dr. Gisevius auf den L
- Seite 85 und 86: 1933Der Herbst ist voller Überrasc
- Seite 87 und 88: 1933Leute nicht sicher, wie viel Re
- Seite 89 und 90: 1933löst bleibe.“ 206 Der jugend
- Seite 91: 1933bürger sich im ersten Revoluti