Die Kameliendame - GarboForever.com
Die Kameliendame - GarboForever.com
Die Kameliendame - GarboForever.com
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Die</strong>se Vermutung hatte viel Wahrscheinliches, und dennoch hatte<br />
Armands Schmerz einen so wahren Ausdruck gehabt, dass ich mir,<br />
von einem Extrem zum anderen übergehend, bald darauf vorstellte,<br />
der Schmerz sei zur Krankheit geworden und er sei außer Stande,<br />
sein Versprechen zu halten.<br />
Ich fühlte mich unwillkürlich zu Armand hingezogen. Vielleicht<br />
lag etwas Selbstsucht in der Zuneigung, die ich für ihn fühlte; vielleicht<br />
hatte ich unter diesem Schmerz eine rührende Geschichte gewittert,<br />
und der Wunsch, diese kennen zu lernen, mochte an meiner<br />
Bekümmernis über Armands Stillschweigen einen gewissen Anteil<br />
haben.<br />
Da er nicht zu mir kam, so beschloss ich, zu ihm zu gehen. Es<br />
war nicht schwer, einen Vorwand für meinen Besuch zu finden; ich<br />
wusste aber leider seine Wohnung nicht, und unter allen denen, die<br />
ich fragte, wusste sie niemand anzugeben.<br />
Ich begab mich in die Rue d’Antin. Vielleicht wusste der Pförtner<br />
des Hauses, in welchem Margarete gestorben war, wo Armand<br />
wohnte. Aber meine Erkundigung blieb erfolglos. Ich fragte sodann,<br />
auf welchem Friedhof sie beerdigt worden sei. Man nannte mir den<br />
Père Lachaise.<br />
Der April war wieder gekommen, das Wetter war schön, die<br />
Gräber hatten gewiss nicht mehr das öde, winterliche Aussehen,<br />
und es war schon warm genug, um die Lebenden zum Besuch bei<br />
den Toten einzuladen. Ich begab mich auf den Friedhof und sagte<br />
zu mir selbst:<br />
„An Margaretens Grabe werde ich erkennen, ob Armands<br />
Schmerz noch nicht erloschen ist, und ich werde vielleicht erfahren,<br />
was aus ihm geworden ist.“<br />
Ich trat in das Häuschen des Aufsehers und fragte ihn, ob am 22.<br />
Februar eine gewisse Margarete Gautier auf dem Friedhof Père Lachaise<br />
beerdigt worden sei.<br />
Der Aufseher schlug ein großes Buch auf, in dem alle, die in die<br />
Zufluchtsstätte kommen, aufgezeichnet stehen, und antwortete mir,<br />
dass man wirklich am 22. Februar um die Mittagsstunde eine Frau<br />
dieses Namens beerdigt habe.<br />
Ich ersuchte ihn, mich zu diesem Grabe führen zu lassen, denn es<br />
ist unmöglich, sich in dieser Totenstadt, die ihre Straßen hat wie die<br />
Stadt der Lebenden, ohne Führer zurechtzufinden. Der Aufseher rief<br />
einen Gärtner, dem er die nötigen Weisungen gab und der ihn mit<br />
den Worten unterbrach:<br />
„Ich weiß schon ... Oh, das Grab ist leicht zu erkennen“, setzte er<br />
hinzu, indem er sich zu mir wandte.<br />
„Warum?“, fragte ich.<br />
„Weil Blumen darauf stehen, die von den andern Blumen ganz<br />
verschieden sind.“<br />
„Und Sie pflegen diese Blumen?“<br />
„Ja, mein Herr, und ich wünschte, dass alle Leute für ihre verstorbenen<br />
Angehörigen so sorgten wie der junge Herr, der dieses<br />
Grab schmücken lässt.“<br />
Nach einigen Umwegen blieb der Gärtner stehen und sagte zu<br />
mir: „Hier ist es.“<br />
Ich stand vor einem sorgfältig gepflegten Blumenbeet, das man<br />
nie für ein Grab gehalten hätte, wenn nicht an einem Ende ein weißer<br />
Marmorstein zu sehen gewesen wäre, der den Namen der<br />
Verstorbenen trug. Das ganze Beet war mit weißen Kamelien<br />
bedeckt und von einem niedrigen Eisengitter umgeben.<br />
„Was sagen Sie dazu, mein Herr?“, fragte der Gärtner schmunzelnd.<br />
„Es ist sehr schön.“<br />
„Und sooft eine Kamelie verblüht, muss ich eine Frische an die<br />
Stelle setzen.“<br />
„Wer hat Ihnen das aufgetragen?“<br />
„Ein junger Herr, der bei seinem ersten Besuch bitterlich geweint<br />
hat; ohne Zweifel ein alter Verehrer der Verstorbenen, denn sie<br />
scheint eine lockere Pflanze gewesen zu sein. Dabei soll sie sehr<br />
schön gewesen sein. Haben der Herr sie gekannt?“<br />
„Ja.“<br />
„Ebenso wie der andere?“, fragte der Gärtner mit einem pfiffigen<br />
Lächeln.<br />
„Nein, ich habe nie ein Wort mit ihr gesprochen.“