Die Kameliendame - GarboForever.com
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„Und Sie machen ihr hier einen Besuch; das ist sehr hübsch von<br />
Ihnen, denn das arme Mädchen würde sonst gar keinen Besuch bekommen.“<br />
„Es kommt also niemand?“<br />
„Nein, ausgenommen der junge Herr, der nur einmal hier war.“<br />
„Nur einmal?“<br />
„Ja, mein Herr, nur einmal; aber er wird wieder kommen, wenn<br />
er von seiner Reise zurückgekehrt ist.“<br />
„Er ist also abwesend?“<br />
„Ja.“<br />
„Wissen Sie, wo er ist?“<br />
„Ich glaube, er ist bei der Schwester der Verstorbenen.“<br />
„Was macht er da?“<br />
„Er will um die Ermächtigung bitten, den Leichnam in ein anderes<br />
Grab bringen zu lassen.“<br />
„Wozu diese Veränderung?“<br />
„Sie wissen ja, mein Herr, dass man mit den Toten oft eigene Ideen<br />
hat. Wir sehen das hier täglich. <strong>Die</strong>ser Platz ist nur auf fünf<br />
Jahre gekauft worden, und dieser junge Herr will einen größeren<br />
Platz und auf ewige Zeiten; in dem neuen Quartier wird es besser<br />
sein.“<br />
„Was nennen Sie das neue Quartier?“<br />
„<strong>Die</strong> neuen Plätze, die dort links von der Statue Casimir Périers<br />
angekauft worden sind. Wenn der Friedhof immer verwaltet worden<br />
wäre wie jetzt, so würde er seinesgleichen in der Welt nicht haben;<br />
aber es ist noch viel zu tun, bevor er ist, was er sein soll. Und dann<br />
haben die Leute auch manchmal drollige Ideen!“<br />
„Wieso?“<br />
„Ich meine, es gibt Leute, die sogar hier noch Stolz und hoffärtig<br />
sind. Da haben wir nun dieses Fräulein Gautier. Sie scheint, mit<br />
Verlaub zu sagen, das Leben tüchtig genossen zu haben. Jetzt ist sie<br />
tot, und es ist von ihr gerade so viel übrig geblieben, als von anderen,<br />
denen nichts nachzusagen ist und die wir täglich begießen. Als<br />
nun die Verwandten der Frauen, die neben ihr begraben liegen, in<br />
Erfahrung brachten, wer sie war, erklärten sie, solche Personen<br />
dürften da nicht begraben liegen und man müsse ihnen abgesonder-<br />
te Begräbnisplätze anweisen wie den Armen! Hat man schon so was<br />
erlebt? Ich habe ihnen aber ordentlich die Meinung gesagt. <strong>Die</strong> reichen<br />
Hausherren und Kapitalisten kommen nicht viermal im Jahre,<br />
um ihren verstorbenen Angehörigen einen Besuch zu machen; sie<br />
bringen die Blumen selbst mit – und sehen Sie, was für Blumen!<br />
<strong>Die</strong>se selbstsüchtigen Menschen geben ihren Toten nicht einmal<br />
anständige Blumen, sie schreiben auf die Grabsteine etwas von Tränen,<br />
die sie nie vergossen haben, und rümpfen die Nase über die<br />
Nachbarschaft! Sie mögen mir es glauben oder nicht, mein Herr, ich<br />
habe das Fräulein nicht gekannt, und ich weiß nicht was sie getan<br />
hat; aber sie ist mir lieb, die arme Kleine, und ich lasse ihr die Kamelien<br />
zu den billigsten Preisen. Sie ist mein Liebling. Wir müssen<br />
den Toten wohl gut sein, denn wir haben so viel mit ihnen zu tun,<br />
dass wir beinahe nicht Zeit haben, an die Lebenden zu denken.“<br />
Ich sah den Mann an, und er schien zu bemerken, dass ich ihm<br />
mit Vergnügen zuhörte, denn er fuhr fort:<br />
„Man sagt, dieses Fräulein habe vielen Männern die Köpfe verdreht<br />
und einige sollen ihretwillen Bankrott gemacht haben. Glauben<br />
Sie aber wohl, dass auch nur einer von diesen Anbetern gekommen<br />
ist, um ihr eine Blume zu kaufen? Sie kann sie freilich<br />
nicht beklagen, denn sie hat ihr eigenes Grab, und der eine, der an<br />
sie denkt, macht wieder gut, was die andern versäumt haben. Aber<br />
wir haben hier andere Mädchen desselben Schlages und Alters, die<br />
man in die allgemeine Grube wirft, und das zerreißt mir das Herz,<br />
wenn ich die armen Leichen in die Tiefe fallen höre. Und kein<br />
Mensch denkt mehr an sie, wenn sie tot sind. Unser Geschäft ist<br />
nicht immer ein Vergnügen, zumal wenn man noch etwas Gefühl<br />
hat. Ich habe manchmal recht melancholische Gedanken. Ich habe<br />
eine zwanzigjährige Tochter, ein schönes großes Mädchen, und<br />
wenn man eine Tote von ihrem Alter hierher bringt, so denke ich<br />
immer an meine Nannette; es mag nun eine vornehme Dame oder<br />
eine Bettlerin sein, so wird mir ganz wehmütig ums Herz. Doch ich<br />
langweile Sie gewiss mit meinen Geschichten, denn Sie sind nicht<br />
hierher gekommen, um mich schwatzen zu hören. Ich sollte Sie zu<br />
dem Grabe des Fräuleins Gautier führen. Wir sind da; kann ich Ihnen<br />
mit etwas dienen?“