Die Kameliendame - GarboForever.com
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nicht abschließen können. Sie übernachtet in Paris oder wird vielleicht<br />
sogleich zurückkommen, denn sie kann sich wohl denken,<br />
wie sehr ich in Sorgen bin, und wird mich gewiss nicht in dieser<br />
peinlichen Ungewissheit lassen.<br />
Aber woher denn die Tränen? Das arme Mädchen hat sich gewiss,<br />
trotz ihrer Liebe zu mir, nicht entschließen können, ohne Tränen<br />
jenen Prunk hinzugeben, in dem sie bis jetzt ein glückliches,<br />
viel beneidetes Leben geführt hat."<br />
<strong>Die</strong>se trübe Stimmung verzieh ich ihr sehr gern. Indem ich mich<br />
in diesen Gedanken immer mehr zu bestärken suchte, erwartete ich<br />
ungeduldig meine Geliebte, um ihr mit zärtlichen Küssen zu sagen,<br />
dass ich die Ursache ihrer rätselhaften Abwesenheit erraten hätte.<br />
Inzwischen rückte die Nacht vor, und Margarete kam nicht. Meine<br />
Unruhe wurde größer. Vielleicht war ihr etwas Unangenehmes<br />
begegnet? Vielleicht hatte sie Schaden genommen oder war erkrankt,<br />
vielleicht gar tot? Vielleicht sollte ich bald einen Boten<br />
kommen sehen mit einer traurigen Nachricht? Vielleicht würde<br />
mich der Tagesanbruch noch in derselben Ungewissheit und Besorgnis<br />
finden?<br />
Dass Margarete mich betrügen könne zu der Stunde, wo ich sie<br />
so sehnsuchts- und sorgenvoll erwartete, kam mir nicht mehr in den<br />
Sinn. Nur eine von ihrem Wollen unabhängige Ursache konnte sie<br />
auf diese Weise fern von mir zurückhalten, und je länger ich darüber<br />
nachsann, desto mehr war ich überzeugt, die Ursache könne<br />
nichts anderes sein als ein Unglück. <strong>Die</strong> Eitelkeit der Männer zeigt<br />
sich doch unter allen Gestalten.<br />
Es schlug ein Uhr. Ich nahm mir vor, noch eine Stunde zu warten,<br />
aber um zwei Uhr wollte ich nach Paris gehen, um meiner Unruhe<br />
ein Ende zu machen.<br />
Unterdessen sah ich mich nach einem Buche um, denn ich suchte<br />
meinen Gedanken zu entfliehen.<br />
„Manon Lescaut“ lag auf dem Tische. Ich schlug das Buch auf.<br />
Es kam mir vor, als ob die Blätter hier und dort von Tränen benetzt<br />
wären. Nachdem ich einige Seiten flüchtig gelesen hatte, legte ich<br />
das Buch weg, die Worte erschienen mir durch einen Schleier meiner<br />
Zweifel ohne Sinn und Bedeutung.<br />
<strong>Die</strong> Stunde verstrich unausstehlich langsam. Der Himmel war<br />
bewölkt. Ein feiner Herbstregen schlug gegen die Fenster. Alles war<br />
düster um mich her. Das leere Bett schien mir von Zeit zu Zeit das<br />
Aussehen eines Grabes anzunehmen. Ich fürchtete mich beinahe.<br />
Ich öffnete die Tür und horchte; aber ich hörte nichts als das<br />
Brausen des Windes in den Bäumen. Kein Wagen fuhr auf der Straße<br />
vorüber. Auf dem Kirchturme schlug es halb zwei. Ich fing an zu<br />
fürchten, es könne jemand kommen, denn es schien mir, als ob zu<br />
dieser Stunde und in diesem düsteren Wetter nur ein Unglücksbote<br />
kommen könnte.<br />
Es schlug zwei. Eine kleine Weile wartete ich noch. <strong>Die</strong> Tischuhr<br />
allein unterbrach die Totenstille mit ihren eintönigen, gemessenen<br />
Pendelschlägen.<br />
Endlich verließ ich das Zimmer, in dem die geringsten Gegenstände<br />
jenes trübe Aussehen angenommen hatten, das bange Herzenseinsamkeit<br />
überall findet. In dem Nebenzimmer fand ich Nanine,<br />
die bei ihrer Arbeit eingeschlafen war. Bei dem Geräusch der<br />
aufgehenden Tür erwachte sie und fragte mich, ob Margarete wieder<br />
da sei.<br />
„Nein, aber wenn sie kommt“, erwiderte ich, „so sage ihr, ich<br />
hätte diese Unruhe nicht länger aushalten können und sei nach Paris<br />
gegangen.“<br />
„Jetzt wollen Sie nach Paris?“<br />
„Ja.“<br />
„Aber wie wollen Sie dahin kommen? Es ist jetzt kein Wagen zu<br />
haben.“<br />
„Ich gehe zu Fuß.“<br />
„Aber es regnet.“<br />
„Was liegt daran?“<br />
„<strong>Die</strong> gnädige Frau wir gewiss bald zurückkommen. Wenn sie<br />
aber nicht zurückkommt, so ist es ja am Tage noch immer Zeit,<br />
nachzusehen, was sie in Paris zurückgehalten hat. Es ist gefährlich,<br />
in der Nacht den Weg zu machen.“<br />
„Es hat keine Gefahr, liebe Nanine ... Lebe wohl, morgen bin ich<br />
wieder da.“