Die Kameliendame - GarboForever.com
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mich eintreten sah, fiel sie mir um den Hals und weinte lange in<br />
meinen Armen.<br />
Ich drückte mein Befremden und meine Besorgnis über diesen<br />
plötzlichen Schmerz aus, aber sie gab mir keinen haltbaren Grund<br />
an: Sie schützte vor, was jede Frau, die die Wahrheit nicht antworten<br />
will, vorschützen kann.<br />
Als sie etwas beruhigt war, erzählte ich ihr die Ergebnisse meiner<br />
Reise, zeigte ihr das kurze Schreiben meines Vaters und gab ihr<br />
zu bedenken, dass die an mich ergangene Einladung gewiss eine<br />
gute Vordeutung sei.<br />
Als sie das Billett erblickte und meine Bemerkungen vernahm,<br />
brach sie wieder so heftig in Tränen aus, dass ich einen Nervenanfall<br />
befürchtete und Nanine herbeirief. Wir brachten das arme Mädchen<br />
zu Bett.<br />
Margarete schluchzte immerfort, ohne ein Wort zu sagen, aber<br />
sie hielt beständig meine Hände und bedeckte sie mit Küssen und<br />
Tränen.<br />
Ich fragte Nanine, ob Margarete während meiner Abwesenheit<br />
einen Brief oder einen Besuch erhalten habe, wodurch sie in diesen<br />
aufgeregten Zustand versetzt worden sei. Aber die Zofe antwortete,<br />
es sei niemand da gewesen, auch sei kein Brief angekommen.<br />
Es war indessen seit dem gestrigen Tage etwas vorgegangen, was<br />
mich um so besorgter machte, als Margarete ein Geheimnis daraus<br />
machte.<br />
Am späten Abend schien sie etwas ruhiger. Sie wies mir einen<br />
Platz vor ihrem Bette an und beteuerte mir wiederholt ihre Liebe.<br />
Dann lächelte sie mich an, aber dieses Lächeln war gezwungen, und<br />
ihre Augen füllten sich mit Tränen.<br />
Ich bot alles auf, um ihr das Geständnis der wahren Ursache dieses<br />
Kummers zu entlocken, aber sie gab mir immer die vorigen unbestimmten<br />
Gründe an.<br />
Endlich schlummerte sie ein, aber es war ein Schlaf, der mehr erschöpft<br />
als stärkt. Von Zeit zu Zeit fuhr sie mit einem Schrei auf<br />
Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass ich bei ihr war, küsste sie<br />
mich und ließ sich beteuern, dass ich sie stets lieben wolle.<br />
<strong>Die</strong>se in kurzen Zwischenräumen folgenden Aufwallungen des<br />
Gefühls dauerten bis gegen Morgen. Dann fiel Margarete in eine<br />
Art Betäubung. Sie hatte zwei Nächte nicht geschlafen.<br />
<strong>Die</strong>se Ruhe war indessen nicht von langer Dauer. Gegen zehn<br />
Uhr erwachte Margarete. Sie sah mich an und rief:<br />
„Willst du denn schon gehn?“<br />
„Nein, Margarete“, erwiderte ich, ihre Hände fassend;“aber ich<br />
wollte dich schlafen lassen. Es ist noch früh.“<br />
„Wann gehst du nach Paris?“, fragte sie.<br />
„Um vier Uhr.“<br />
„So früh! Bis dahin bleibst du noch bei mir, nicht wahr?“<br />
„Allerdings, ich bin ja immer bei dir.“<br />
„Welch ein Glück!“<br />
Ich befürchtete, Margarete würde in ein hitziges Fieber verfallen<br />
und sah sie mit ängstlicher Besorgnis an.<br />
„Wir frühstücken doch miteinander?“ fragte sie mit zerstreuter<br />
Miene.<br />
„Wenn du willst.“<br />
„Und bis zu deiner Abreise wirst du mich noch recht oft küssen?“<br />
„Ja, und ich werde so bald wie möglich wiederkommen.“<br />
„Du wirst wiederkommen?“, sagte sie, indem sie mich mit irren<br />
Bücken anstarrte.<br />
„Natürlich.“<br />
„Ja, ja, es ist richtig, du wirst diesen Abend wiederkommen, und<br />
ich werde dich erwarten, wie gewöhnlich, und du wirst mich heben,<br />
und wir werden glücklich sein, wie wir es sind, seit wir uns kennen.“<br />
Alle diese Worte wurden in einem so hastigen, abgebrochenen<br />
Tone gesprochen, und sie scheinen einen so peinlichen Gedanken<br />
zu verbergen, dass ich jeden Augenblick zitterte, Margarete den<br />
Verstand verlieren zu sehen.<br />
„Höre“, sagte ich zu ihr, „du bist krank, und ich kann dich jetzt<br />
nicht allein lassen. Ich will an meinen Vater schreiben, ich könne<br />
heute nicht kommen.“