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Die Kameliendame - GarboForever.com

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„Nein, nein“, rief Margarete hastig, „tu das nicht! Dein Vater<br />

würde sagen, ich verhindere dich, zu ihm zu gehen, wenn er dich<br />

sehen will. Nein, nein! Du musst gehen, du musst! Überdies bin ich<br />

ja nicht krank, ich befinde mich sehr wohl, ich habe nur einen üblen<br />

Traum gehabt, und ich bin nicht gut erwacht. Weiter ist es nichts.“<br />

Von jenem Augenblick an versuchte Margarete, heiterer zu<br />

scheinen. Sie weinte nicht mehr; aber ich beobachtete diese scheinbare<br />

Ruhe und bemerkte von Zeit zu Zeit ein krampfhaftes, vergebens<br />

zurückgehaltenes Schluchzen, das ihr das Herz zersprengen zu<br />

wollen schien.<br />

Als die Scheidestunde kam, küsste ich Margarete und fragte, ob<br />

sie mich zur Eisenbahn begleiten wolle. Ich hoffte, der Spaziergang<br />

werde sie zerstreuen und beruhigen; zugleich wollte ich so lange<br />

wie möglich bei ihr sein.<br />

Sie nahm den Vorschlag an, nahm einen Mantel und begleitete<br />

mich mit Nanine, um den Rückweg nicht allein machen zu müssen.<br />

Zwanzigmal war ich im Begriffe, mein Vorhaben zu ändern und<br />

nicht abzureisen. Aber die Aussicht auf baldige Rückkehr und die<br />

Besorgnis, meinen Vater von neuem gegen mich aufzubringen, bewogen<br />

mich, meinen ersten Entschluss auszuführen, und ich fuhr<br />

mit dem ersten Wagenzuge ab.<br />

„<strong>Die</strong>sen Abend sehen wir uns wieder“, sagte ich, Margaretens<br />

Hand zum Abschiede drückend.<br />

Sie antwortete mir nicht.<br />

Sie hatte mir schon einmal auf dieselben Worte nicht geantwortet.<br />

Sie erinnern sich an die Ursache jenes Stillschweigens; aber jene<br />

Zeit war so fern, dass sie meinem Gedächtnis entrückt zu sein<br />

schien. Ich war besorgt; aber dass Margarete mich noch täuschen<br />

könne, kam mir nicht in den Sinn.<br />

Sobald ich in Paris ankam, eilte ich zu Prudence, die ich bitten<br />

wollte, Margarete zu besuchen; denn ich hoffte, dass sie meine Geliebte<br />

mit ihrer unverwüstlichen Heiterkeit und ihrem unerschöpflichen<br />

Witz zerstreuen würde.<br />

Ich trat ein, ohne mich melden zu lassen, und fand Prudence bei<br />

der Toilette.<br />

„Ach, Sie sind’s!“, sagte sie mit unruhiger Miene zu mir.<br />

„Jawohl. Sie wundern sich?“<br />

„Keineswegs“, stammelte Prudence. „Ist Margarete mitgekommen?“<br />

„Nein.“<br />

„Wie geht es ihr?“<br />

„Sie ist leidend.“<br />

„Wird sie nicht kommen?“, fragte Prudence mit steigender Unruhe.<br />

„Sollte sie denn kommen?“, fragte ich.<br />

Frau Duvernoy errötete und antwortete mit einiger Verlegenheit:<br />

„Ich meinte, da Sie in Paris sind, würde Margarete Sie vielleicht<br />

abholen.“<br />

„Nein.“<br />

Ich sah Prudence scharf an, sie schlug die Augen nieder. Ich<br />

glaubte in ihrem Gesichte die Besorgnis zu lesen, dass mein Besuch<br />

zu lange dauern würde.<br />

„Ich wollte Sie sogar bitten, hebe Prudence, Margarete diesen<br />

Abend zu besuchen“, erwiderte ich. „Wenn es ihre Zeit erlaubt,<br />

können Sie ihr Gesellschaft leisten und in Bougival übernachten.<br />

Ich habe Margarete noch nie in einer solchen Stimmung gesehen<br />

wie heute und fürchte, dass sie krank wird.“<br />

„Armer Junge“, sagte Prudence leise. – „Ich bin heute zum Diner<br />

eingeladen“, setzte sie laut hinzu, „und kann daher Margarete diesen<br />

Abend nicht besuchen; aber morgen werde ich kommen.“<br />

Ich verließ Frau Duvernoy, die mir fast ebenso nachdenklich und<br />

zerstreut schien wie Margarete, und begab mich zu meinem Vater,<br />

dessen erster Blick sich forschend auf mich richtete.<br />

Er reichte mir die Hand und sagte zu mir:<br />

„Deine beiden Besuche haben mir Freude gemacht, Armand, und<br />

ich habe mich der Hoffnung hingegeben, dass du die Sache reiflich<br />

erwogen hast, so wie ich sie in Erwägung gezogen habe.“<br />

„Darf ich fragen, lieber Vater, zu welchem Ergebnis Sie gekommen<br />

sind?“<br />

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass ich den von anderen<br />

erhaltenen Nachrichten allzu große Wichtigkeit beigelegt habe, und<br />

habe mir vorgenommen, minder streng mit dir zu sein.“

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