Die Kameliendame - GarboForever.com
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Das brave Mädchen holte mir einen Mantel, warf ihn mir über<br />
die Schultern und erbot sich, zu der Witwe Arnould zu gehen und<br />
sich zu erkundigen, ob vielleicht doch ein Wagen zu haben sei; aber<br />
ich gab es nicht zu, denn ich war überzeugt, dass ich bei diesem<br />
vielleicht fruchtlosen Versuche mehr Zeit verlieren wurde, als ich<br />
brauchte, um die Hälfte des Weges zurückzulegen.<br />
Überdies bedurfte ich der frischen Luft und einer körperlichen<br />
Anstrengung, um mich gegen die auf mich einstürmenden Eindrücke<br />
abzustumpfen.<br />
Ich nahm den Schlüssel zu der Wohnung in der Rue d’Antin, und<br />
nachdem ich Naninen, die mich bis an das Gittertor begleitete, Lebewohl<br />
gesagt hatte, machte ich mich auf den Weg.<br />
Zuerst fing ich an zu laufen, aber die Erde war vom Regen erweicht,<br />
und ich erschöpfte meine Kräfte. Nach einer halben Stunde<br />
musste ich stehen bleiben, ich war in Schweiß gebadet. Ich schöpfte<br />
Atem und setzte meinen Weg fort. <strong>Die</strong> Nacht war so finster, dass<br />
ich jeden Augenblick fürchtete, gegen einen der am Wege stehenden<br />
Bäume zu stoßen, die mir plötzlich wie riesige Gespenster vor<br />
die Augen traten.<br />
Ich holte einige Karren ein, die ich bald weit zurückließ. Eine<br />
Kalesche fuhr in raschem Trabe in der Richtung gegen Bougival, In<br />
dem Augenblick, als sie an mir vorüberfuhr, kam mir der Gedanke,<br />
Margarete könne darin sitzen.<br />
Ich stand daher still und rief: „Margarete!“, Aber niemand antwortete<br />
mir, und die Kalesche setzte ihren Weg fort. Ich sah ihr eine<br />
Weile nach und ging dann weiter.<br />
Ich brauchte zwei Stunden bis zur Barriere de l’Etoile.<br />
Der Anblick von Paris gab mir wieder einige Kraft. Ich ging mit<br />
schnellen Schritten durch die lange Allee, die ich so oft durchwandert<br />
hatte, um Margarete zu begegnen.<br />
Der Tag fing eben an zu grauen; kein Mensch begegnete mir.<br />
Man hätte den prächtigen Baumgang für den Wandelpark einer ausgestorbenen<br />
Stadt halten können.<br />
Als ich in die Rue d’Antin kam, begann die Riesenstadt sich etwas<br />
zu regen, bevor sie wieder völlig zum Leben erwachte.<br />
Es schlug fünf Uhr auf der St. Rochuskirche, als ich in Margaretens<br />
Haus trat.<br />
Ich nannte meinen Namen. Der Hausmeister hatte genug<br />
Zweifrankstücke von mir erhalten, um zu wissen, dass ich ein Recht<br />
hatte, zu jeder Stunde bei Fräulein Gautier zu erscheinen. Ich ging<br />
also ungehindert an dem Fenster des Zerberus vorüber.<br />
Ich hätte ihn fragen können, ob Margarete zu Hause sei, doch er<br />
hätte meine Frage vielleicht verneinend beantwortet; ich wollte aber<br />
lieber einige Minuten länger im Zweifel bleiben, denn indem ich<br />
zweifelte, blieb mir noch einige Hoffnung.<br />
Ich ging hinauf An der Tür blieb ich lauschend stehen – kein Geräusch,<br />
keine Bewegung war zu vernehmen. <strong>Die</strong> ländliche Stille<br />
schien sich bis auf diese Prunkgemächer zu erstrecken.<br />
Ich schloss die Tür auf und trat ein.<br />
Alle Vorhänge waren dicht verschlossen. Ich zog die Vorhänge<br />
des Speisegemachs auf und öffnete hastig die Tür des Schlafgemachs.<br />
Kaum war ich eingetreten, so eilte ich ans Fenster und zog<br />
auch hier mit fieberhafter Ungeduld den Vorhang auf<br />
Ein mattes licht drang durch das Fenster. Ich eilte zum Bett – es<br />
war leer. Ich öffnete die Türen und eilte durch alle Zimmer. Niemand<br />
war da. Es war zum Rasendwerden.<br />
Ich ging in das Toilettenzimmer, öffnete das Fenster und rief<br />
Prudence zu wiederholten Malen.<br />
Das Fenster der Duvernoy blieb geschlossen.<br />
Dann ging ich hinunter zu dem Hausmeister und fragte, ob Fräulein<br />
Gautier am gestrigen Tage da gewesen sei.<br />
„Ja“, antwortete er, „sie ist mit Frau Duvernoy da gewesen.“<br />
„Hat sie keine Nachricht für mich hinterlassen?“<br />
„Nein.“<br />
„Wissen Sie, was die beiden Frauen nachher getan haben?“<br />
„Sie sind in einen Wagen gestiegen.“<br />
„In was für einen Wagen?“<br />
„In eine Herrschaftskutsche.“<br />
Was hatte das zu bedeuten? Ich eilte zu dem Nachbarhaus und<br />
zog die Glocke.<br />
„Zu wem wollen Sie?“, fragte mich der Hausmeister.