Die Kameliendame - GarboForever.com
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Recht einzunehmen und ihn standhaft zu behaupten gegen Personen,<br />
die mir höchst zuwider waren, weil ich sie mit Margarete lachen<br />
sah und weil ich mich für die Zielscheibe ihres Spottes hielt.<br />
Ich hatte große Lust, einen von ihnen zu ohrfeigen und ihn am<br />
folgenden Tage totzuschießen oder mich von ihm totschießen zu<br />
lassen; kurz, ich kann Ihnen nicht sagen, welche wunderlichen<br />
Gedanken mir in den Kopf kamen.<br />
Margarete und ihre Freundin verließen die Loge noch vor Beendigung<br />
des Schauspiels.<br />
Ich stand unwillkürlich auf<br />
„So wollen gehen?“, fragte Ernst.<br />
„Ja.“<br />
„Warum denn?“<br />
In diesem Augenblick bemerkte er, dass die Loge leer war.<br />
„Uh! Ich sehe es schon“, setzte er hinzu. „Gehen Sie nur, ich<br />
wünsche Ihnen viel Glück.“<br />
Ich ging hinaus. Ich hörte im Seiteneingang das Rauschen seidener<br />
Kleider und weibliche Stimmen. Ich trat auf die Seite und sah,<br />
ohne selbst bemerkt zu werden, die beiden Mädchen in Begleitung<br />
von zwei jungen Männern vorübergehen.<br />
In der Vorhalle des Theaters trat ein kleiner Bedienter auf sie zu.<br />
„Sage dem Kutscher, dass er vor dem Café Anglais warte“, sagte<br />
Margarete, „bis dahin gehen wir zu Fuß.“<br />
Einige Minuten später sah ich, auf dem Boulevard hin und her<br />
gehend, Margarete am Fenster eines der elegantesten Speisezimmer<br />
stehen und tändelnd eine Kamelie ihres Straußes entblättern.<br />
Einer der beiden Männer stand neben ihr und sprach mit ihr.<br />
Ich wählte mir in der Maison d’Or einen Salon im ersten Stockwerk<br />
und ließ das Fenster, hinter dem sich Margarete befand, nicht<br />
aus den Augen.<br />
Um ein Uhr nach Mitternacht stieg sie mit ihren drei Begleitern<br />
in den Wagen.<br />
Ich nahm mein Kabriolett und folgte ihr. Der Wagen hielt in der<br />
Rue d’Antin vor dem Hause Nr. 9. Margarete stieg aus und ging allein<br />
in das Haus.<br />
Es mochte wohl ein Zufall sein, aber dieser Zufall machte mich<br />
sehr glücklich.<br />
Von jenem Tage an sah ich Margarete oft im Theater oder in der<br />
Champs Elysées; ihre Stimmung war immer heiter, ich selber war<br />
unruhig und erregt.<br />
Vierzehn Tage verflossen dann, ohne dass ich sie irgendwo sah.<br />
Bei meinem nächsten Zusammentreffen mit Ernst erkundigte ich<br />
mich nach ihr.<br />
„Das arme Mädchen ist sehr krank“, antwortete er.<br />
„Was fehlt ihr denn?“<br />
„Sie leidet an einer Brustkrankheit, und da ihre Lebensweise keineswegs<br />
geeignet ist, sie zu heilen, so muss sie das Bett hüten und<br />
schwebt sogar in Lebensgefahr.“<br />
Das menschliche Herz ist doch ein sonderbares Ding. Ich war<br />
beinahe erfreut über diese Krankheit. Ich erkundigte mich täglich<br />
nach dem Befinden der Kranken, jedoch ohne mich einzuschreiben<br />
und ohne meine Karte zurückzulassen. Auf diese Weise erfuhr ich<br />
ihre Besserung und die Abreise nach Bagnères.<br />
Dann verstrich eine lange Zeit, in welcher der erste Eindruck und<br />
vielleicht auch die Erinnerung allmähliche in meiner Seele erlöschen<br />
sollte. Ich ging auf Reisen. Der Gedanke, der einst ausschließlich<br />
meinen Geist beschäftigt hatte, wich den mannigfaltigen<br />
Eindrücken und der Macht der Gewohnheit. Erste Arbeiten, zu denen<br />
mich die Vorbereitungen auf meinen künftigen Beruf nötigten,<br />
nahmen den meisten Teil meiner geistigen Tätigkeit in Anspruch,<br />
und wenn ich an dieses erste Abenteuer dachte, so erblickte ich darin<br />
nur eine jener Leidenschaften, von denen kein junger Mann verschont<br />
bleibt und über die man bald nachher lächelt.<br />
Es würde kein Verdienst gewesen sein, diese Erinnerung zu verbannen,<br />
denn ich hatte Margarete seit ihrer Abreise aus den Augen<br />
verloren; ich sagte Ihnen schon, dass ich sie nicht erkannte, als sie<br />
im Korridor des Varietétheaters an mir vorüberging.<br />
Sie war freilich verschleiert, aber zwei Jahre früher hätte ich sie<br />
trotz der dichtesten Verschleierung erkannt.<br />
Mein Herz schlug heftig, als ich erfuhr, wer sie war; die beiden<br />
Jahre, die ich verlebt hatte, ohne sie zu sehen, und die Ereignisse,