Ufenau Lage: Zürichsee, bei Pfäffikon (Kanton Schwyz)
INSEL Pater Ulrich Kurmann spricht nur ungern von sich selbst. Viel lieber erzählt er von der Geschichte der Ufenau. Schon seit über 45 Jahren macht der Benediktiner Führungen auf der Insel, die dem Kloster Einsiedeln gehört. Auch wenn er sich nicht als Inselexperten bezeichnen mag, weiss er doch alles, was es über diesen Flecken Erde zu wissen gibt. Auf die Frage, ob er gerne Führungen auf der Insel leite, meint er: «Ich tue es, weil es meine Pflicht ist. Die Leute, die Interesse an der Ufenau zeigen, haben das Recht, mehr darüber zu erfahren.» Wenn er dann aber ins Erzählen kommt, spürt man, dass dies keine reine Pflichtübung ist. Mit Begeisterung spricht er von der Entstehung der Insel in der Eiszeit, dem früheren gallorömischen Tempel, der aussätzigen Regenlinde, dem heiligen Adalrich und vor allem von den zwei Kirchen. Und wenn Pater Ulrich sagt: «Im Jahr 965 hat uns Kaiser Otto I. die Insel geschenkt» und in seiner Kutte vor einem steht, fühlt man, wie lebendig Geschichte sein kann. Ufenau: Pater Ulrich macht Führungen auf der Klosterinsel Fotos: Thomas Schuppisser, Pia Zanetti, Georg Stärk Auf der Insel fliegen ihm die guten Ideen zu Die Kirche Sankt Peter ist für Pater Ulrich der wichtigste Ort auf der Insel. In ihr findet er Erholung und Inspiration: «Manchmal wusste ich bei meiner Arbeit, zum Beispiel bei einem Aufsatz, einfach nicht mehr weiter. Auf der Ufenau, besonders wenn ich ganz still in der Kirche sass, kamen mir dann auf einmal die Ideen, auf die ich im Büro vergeblich gewartet hatte.» Ausserdem schätzt er die Natur, die er als «schöpferisch» empfindet. Auch wenn der Benediktiner sonst nicht begeistert ist von «grünen Gedanken», ist er doch froh, dass die Ufenau so unberührt geblieben ist. Jahrelang war Pater Ulrich auch für die Verwaltung der Insel zuständig. Er hat aber nie auf der Ufenau gewohnt; zuerst lebte er in Pfäffikon, später in Einsiedeln. Nur einmal hat er auf der Ufenau übernachtet, als es dermassen stürmte, dass er nicht mehr mit dem Boot zurückfahren konnte. Die Nacht behält er in guter Erinnerung: «Ich war die ganze Zeit am Fenster und habe dem Gewitter zugeschaut. Die Silhouetten, die ich sah, wenn es blitzte, waren wunderschön.» Auf der Ufenau hat er einiges erlebt: einen Überfall auf den Gasthof, der dann zum Glück glimpflich ausging, Kirchenrenovierungen, Vandalismus, ein Kreuz, das während des Lothar-Sturms umfiel, und natürlich die Suche nach dem Skelett Ulrich von Huttens, der 1523 auf der Ufenau starb. Dieser berühmte Ritter, ein Anhänger Luthers, wurde zweimal ausgegraben. Das erste Mal im Jahr 1959; da wurden sterbliche Überreste gefunden, die man Ulrich von Hutten zuordnete. Gerne denkt Pater Ulrich an den damaligen Beerdigungsgottesdienst zurück. Für ihn war es die erste ökumenische Feier: «Es war sehr aufrichtig und eindrücklich. Für mich liegt die Bedeutung dieses ‹ersten Hutten› darin, dass sich bei seiner Beerdigung Katholiken und Protestanten gefunden haben und das Ereignis von beiden Seiten gewürdigt wurde.» Zehn Jahre später führte ein Wissenschaftler, der nicht überzeugt war von der Authentizität des Skeletts, nochmals Grabungen durch. Er fand Knochen, deren Schwellungen genau mit Huttens Krankheitsgeschichte – er litt an Syphilis – übereinstimmten. «1959 dachten wir, wir hätten den richtigen Hutten gefunden. Wenn aber die Geschichte etwas anderes sagt, muss man das akzeptieren», meint Pater Ulrich dazu. Jetzt ruhen beide «Hutten» im gleichen Grab, der Erste in einem Eichensarg, der Zweite in einem Kupfersarg. Das Kloster Einsiedeln habe es immer als grosses Glück betrachtet, dass ihm die Ufenau gehöre, sagt Pater Ulrich. Im Laufe der Jahrhunderte verlor Einsiedeln den Besitz mehrmals, das letzte Mal unter Napoleon. Das Kloster kaufte die Insel aber jedes Mal wieder zurück. Um die Beziehung zwischen Einsiedeln und der Ufenau zu beschreiben, zitiert Pater Ulrich General Wille: «In einer Karte an den Abt von Einsiedeln bezeichnet der General die Ufenau als ‹Juwel in der Krone des Klosters›. Das finde ich eine gute Beschreibung.» Martina Bosshard Credit Suisse Bulletin 5|<strong>01</strong> 11