Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
INSEL<br />
Richard Reich alias Turnlehrer Meyer<br />
«Der Schweizer ist der einzige Mensch,<br />
der immer in seiner Heimat leben<br />
und trotzdem immer Sehnsucht nach ihr haben kann.»<br />
Und das alles trifft, wie auch der Bescheidenste unter Ihnen sofort<br />
unschwer erkennen wird, nun natürlich absolut flächendeckend<br />
auf unser Land beziehungsweise auf uns, seine Insassen, die Ureinwohner,<br />
die Eingeborenen, die gebürtigen Schweizer zu.<br />
Gerade in einer dunklen Zeit wie dieser, meine Damen und Herren,<br />
ist es auch durchaus nötig, wieder einmal auf diese Tatsache<br />
hinzuweisen. Gerade in Zeiten, da Europa in jeder Richtung vor der<br />
Türe steht und die Amerikaner einfach über uns hinwegfliegen, ist<br />
es durchaus am Platz, wieder einmal festzuhalten:<br />
Jawohl, wir sind ganz einfach herausragend!<br />
Jawohl, wir stehen ganz gern allein da!<br />
Jawohl, wir haben halt am liebsten nur mit uns selber zu tun!<br />
Denn, meine Damen und Herren, nicht nur die Schweiz, sondern<br />
eben auch der Schweizer ist eben ein grosses Phänomen, ist eben<br />
ein unerklärliches Faszinosum. Führen wir uns doch uns einmal vor<br />
Augen, fassen wir uns doch einmal für uns zusammen:<br />
Ja, meine Damen und Herren, und genau aus dieser einzigartigen<br />
Besonderheit heraus haben, seit es die Schweiz gibt, immer wieder<br />
grosse Künstler unser besonderes Inseldasein aus tiefster<br />
Seele besungen. Man denke nur an den bedeutenden Berner<br />
Komponisten Peter Reber mit seinem herzzerreissenden Seeländer<br />
Welthit «Jede bruucht sy Insel». Oder man denke an den Fribourger<br />
Barden Jacques Brel mit seiner melancholischen Ode an<br />
die Eidgenossenschaft «Une île». Oder man denke an die Tessinerin<br />
Nella Martinetti, welche in ihrem patriotischen Eurovisions-Erfolg<br />
«Isola Bella» die Schweiz wohl am treffendsten, am endgültigsten<br />
beschrieben hat:<br />
Oh Isola bella<br />
Wo der Sommer nie endet, liegt eine Insel im Meer,<br />
Die möchte jeder besuchen, doch sie zu finden ist schwer,<br />
Oh, Isola bella<br />
Du bist so gut verborgen, dass dich auch die Sorgen<br />
nicht finden<br />
Oh Isola bella<br />
Wo die Blumen in blühenden Farben erblühen wie Lichter<br />
Wo der Kummer entflogen, dort sieht man nur frohe Gesichter,<br />
Oh Isola bella,<br />
Hier bin ich ja so gern zu Haus!<br />
Der Schweizer ist der einzige Mensch, der immer in seiner Heimat<br />
leben und trotzdem immer Sehnsucht nach ihr haben kann.<br />
Der Schweizer ist der einzige Mensch, der – genau wie der Insulaner,<br />
wenn er in den Wasserspiegel schaut – sich so richtig von Herzen<br />
freuen kann, wenn er sich selber sieht und wiedererkennt.<br />
Und der Schweizer ist übrigens auch der einzige Mechaniker auf<br />
der Welt, der absichtlich ein Auto erfindet, das so klein geraten ist,<br />
dass nur er allein darin Platz findet und mit dem er auch höchstens<br />
zweimal ums eigene Haus fahren kann.<br />
Und der Schweizer ist übrigens auch der einzige Musiker auf der<br />
Welt, der voller Begeisterung ein Instrument spielt, das wie ein Abwasserrohr<br />
aussieht und wie ein Schiff in Seenot tönt.<br />
RICHARD REICH<br />
geboren 1961 im Kanton Bern, aufgewachsen in der<br />
Gemeinde Maur, Mittelschule in Zürich. Abgebrochene<br />
Studien in Schauspiel und Geschichte in Wien und<br />
Zürich. 13 Jahre Sport- und Kulturjournalist bei der<br />
NZZ, dann je ein Jahr bei Facts und dem Tages-Anzeiger-Magazin.<br />
Heute Leiter des Literaturhauses der<br />
Museumsgesellschaft in Zürich, Sport-Kolumnist bei<br />
der NZZ und freier Journalist. Träger des Zürcher Journalistenpreises<br />
2000 für die Kolumne «Elf Fremde<br />
müsst ihr sein». Buchpublikation: «Ovoland – Nachrichten<br />
aus einer untergehenden Schweiz» (Herbst<br />
20<strong>01</strong> im Zürcher Verlag Kein & Aber).<br />
Credit Suisse<br />
Bulletin 5|<strong>01</strong><br />
29