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Credit Suisse bulletin, 2001/05

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INSEL<br />

Richard Reich alias Turnlehrer Meyer<br />

«Der Schweizer ist der einzige Mensch,<br />

der immer in seiner Heimat leben<br />

und trotzdem immer Sehnsucht nach ihr haben kann.»<br />

Und das alles trifft, wie auch der Bescheidenste unter Ihnen sofort<br />

unschwer erkennen wird, nun natürlich absolut flächendeckend<br />

auf unser Land beziehungsweise auf uns, seine Insassen, die Ureinwohner,<br />

die Eingeborenen, die gebürtigen Schweizer zu.<br />

Gerade in einer dunklen Zeit wie dieser, meine Damen und Herren,<br />

ist es auch durchaus nötig, wieder einmal auf diese Tatsache<br />

hinzuweisen. Gerade in Zeiten, da Europa in jeder Richtung vor der<br />

Türe steht und die Amerikaner einfach über uns hinwegfliegen, ist<br />

es durchaus am Platz, wieder einmal festzuhalten:<br />

Jawohl, wir sind ganz einfach herausragend!<br />

Jawohl, wir stehen ganz gern allein da!<br />

Jawohl, wir haben halt am liebsten nur mit uns selber zu tun!<br />

Denn, meine Damen und Herren, nicht nur die Schweiz, sondern<br />

eben auch der Schweizer ist eben ein grosses Phänomen, ist eben<br />

ein unerklärliches Faszinosum. Führen wir uns doch uns einmal vor<br />

Augen, fassen wir uns doch einmal für uns zusammen:<br />

Ja, meine Damen und Herren, und genau aus dieser einzigartigen<br />

Besonderheit heraus haben, seit es die Schweiz gibt, immer wieder<br />

grosse Künstler unser besonderes Inseldasein aus tiefster<br />

Seele besungen. Man denke nur an den bedeutenden Berner<br />

Komponisten Peter Reber mit seinem herzzerreissenden Seeländer<br />

Welthit «Jede bruucht sy Insel». Oder man denke an den Fribourger<br />

Barden Jacques Brel mit seiner melancholischen Ode an<br />

die Eidgenossenschaft «Une île». Oder man denke an die Tessinerin<br />

Nella Martinetti, welche in ihrem patriotischen Eurovisions-Erfolg<br />

«Isola Bella» die Schweiz wohl am treffendsten, am endgültigsten<br />

beschrieben hat:<br />

Oh Isola bella<br />

Wo der Sommer nie endet, liegt eine Insel im Meer,<br />

Die möchte jeder besuchen, doch sie zu finden ist schwer,<br />

Oh, Isola bella<br />

Du bist so gut verborgen, dass dich auch die Sorgen<br />

nicht finden<br />

Oh Isola bella<br />

Wo die Blumen in blühenden Farben erblühen wie Lichter<br />

Wo der Kummer entflogen, dort sieht man nur frohe Gesichter,<br />

Oh Isola bella,<br />

Hier bin ich ja so gern zu Haus!<br />

Der Schweizer ist der einzige Mensch, der immer in seiner Heimat<br />

leben und trotzdem immer Sehnsucht nach ihr haben kann.<br />

Der Schweizer ist der einzige Mensch, der – genau wie der Insulaner,<br />

wenn er in den Wasserspiegel schaut – sich so richtig von Herzen<br />

freuen kann, wenn er sich selber sieht und wiedererkennt.<br />

Und der Schweizer ist übrigens auch der einzige Mechaniker auf<br />

der Welt, der absichtlich ein Auto erfindet, das so klein geraten ist,<br />

dass nur er allein darin Platz findet und mit dem er auch höchstens<br />

zweimal ums eigene Haus fahren kann.<br />

Und der Schweizer ist übrigens auch der einzige Musiker auf der<br />

Welt, der voller Begeisterung ein Instrument spielt, das wie ein Abwasserrohr<br />

aussieht und wie ein Schiff in Seenot tönt.<br />

RICHARD REICH<br />

geboren 1961 im Kanton Bern, aufgewachsen in der<br />

Gemeinde Maur, Mittelschule in Zürich. Abgebrochene<br />

Studien in Schauspiel und Geschichte in Wien und<br />

Zürich. 13 Jahre Sport- und Kulturjournalist bei der<br />

NZZ, dann je ein Jahr bei Facts und dem Tages-Anzeiger-Magazin.<br />

Heute Leiter des Literaturhauses der<br />

Museumsgesellschaft in Zürich, Sport-Kolumnist bei<br />

der NZZ und freier Journalist. Träger des Zürcher Journalistenpreises<br />

2000 für die Kolumne «Elf Fremde<br />

müsst ihr sein». Buchpublikation: «Ovoland – Nachrichten<br />

aus einer untergehenden Schweiz» (Herbst<br />

20<strong>01</strong> im Zürcher Verlag Kein & Aber).<br />

Credit Suisse<br />

Bulletin 5|<strong>01</strong><br />

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