INSEL Salagnon: Ernst Pflüger hat die Insel für sich allein KARIN BURKHARD Wann sind Sie, Herr Pflüger, reif für die Insel? ERNST PFLÜGER Immer wieder, nur komme ich nicht oft genug auf die Insel. K.B. Welche Lektüre nehmen Sie auf die einsame Insel mit? E.P. Im Moment lese ich mit grossem Interesse Erwin Jaeckle. Erst war es seine «Phänomenologie des Lebens» und nun die «Phänomenologie des Raums». K.B. Wo liegt für Sie die Insel der Glückseligen? E.P. Das tönt mir zu religiös! Nun, diese Illustrierten-Fragen, die immer dann gestellt werden, wenn ins Innere einer Persönlichkeit geleuchtet werden soll, haben im Fall von Ernst Pflüger einen realen Hintergrund: Der 58- jährige Zürcher Treuhänder ist Besitzer der Insel Salagnon im Genfersee, unweit von Montreux, auf der Höhe von Clarens. Sein Vater hat das 1452 Quadratmeter grosse Eiland 1947 gekauft. In den Fünfzigerjahren hat die Familie sogar ganzjährig hier gewohnt. Für Ernst und seine Schwester Verena hiess das, morgens erst mit dem Boot und dann mit dem Tram in die Schule, was nicht bei jeder Witterung möglich war. Ernst war für die Festlandkinder ein Insulaner, dem man gemischte Gefühle entgegenbrachte. «Wenn ich eine Kinderparty machte, wollten alle eingeladen werden, umgekehrt haben sie mich manchmal ganz schön geneckt und immer scharf beobachtet.» Aus heutiger Sicht sieht Ernst Pflüger das Inseldasein als «etwas Dialektisches: Abgetrennt vom Festland hat man einen abgeklärteren Blick auf die Welt. Gleichzeitig fühlt man sich auf sich selbst gestellt. Eine Prise Robinson-Gefühl ist immer vorhanden. Insulaner werden von der Umwelt auch anders wahrgenommen.» Mit Blick auf die Schweiz meint Ernst Pflüger: «All die Behauptungen, die Schweiz betrachte sich als Insel, die sich den Alleingang leisten könne, halte ich für Unterstellungen. Wir Schweizer sind ausgesprochen offen, was sich allein schon an unserer Vielsprachigkeit und der Bereitschaft, diese einzusetzen, zeigt.» Mit einer Handbewegung streicht er über die NZZ-Ausgaben der vergangenen Woche: «Nichts als Auslandthemen auf der Front, welches Land zeigt so viel Interesse für das Ausland?» Ein gewisser Alleingang der Schweiz sei durchaus sinnvoll, weil wir nur so unsere Neutralität behalten könnten: «Unsere guten Dienste können wir nur anbieten, wenn wir uns aus fremden Händeln heraushalten und nicht unnötig Partei ergreifen.» Aus diesem Grund lehnt er einen EU-Betritt ab, befürwortet aber das Mitmachen bei der UNO: «In diesem Gremium können wir uns als neutrale Schlichtungsinstanz noch viel besser einbringen.» Selbst gemalte Ölbilder beleben das Inselpalais Ernst Pflüger als Politiker? Er winkt ab. Sicher, das hätte ihn schon auch interessiert. Schliesslich war sein Grossvater, der Sozialist Paul Pflüger, Zürcher Stadtrat und Nationalrat. Aber Ernst Pflüger – er ist mit einer Buchhändlerin verheiratet, die als Friedensrichterin amtet, und hat zwei fast erwachsende Söhne – pendelt zwischen zwei anderen Welten: zwischen diskretem Charme der Bourgeoisie und launiger Bohème. Neben seinem Treuhandgeschäft ist er leidenschaftlicher Kunstmaler, der Ölbilder anfertigt, die sein klassizistisches Inselpalais beleben. An beflügelnden Vibrationen fehlt es auf Salagnon nicht. Der französische Porträtist Théobald Chartran, der die Insel 1900 kaufte und zwei namhafte Architekten mit dem Bau seiner Villa beauftragte, soll hier seine gelungensten Werke geschaffen haben. Auch der nächste Besitzer, der Industrielle Robert Dorer, lebte seine künstlerische Ader als Bildhauer aus. Und wo sich Künstler aufhalten, fehlt es nie an Anekdoten, die von Ausschweifungen, Exzentrik und Tragödien berichten. Der Schriftsteller Paul Ilg etwa, der bei den Dorers Sommergast war, belegt das Haus in seinem Roman «Ein Sommer auf Salagnon» mit einem Fluch. Geschichten und Geschichtchen, über die sich Ernst Pflüger mit Humor und Sarkasmus hinwegsetzt und die er in Gegenwart seiner zahlreichen Gäste, die den Sommer durch hier ein- und ausgehen, gerne kolportiert. Was in diesem kleinen üppig bepflanzten Inselparadies mit der hinreissenden Sicht auf See und Berge auch nicht sonderlich schwer fällt. Auf Salagnon verleitet alles zum Betrachten und Staunen über die Schönheiten der Natur – und zum Nachdenken über die Ewigkeit und die eigentliche Endlichkeit. Ernst Pflüger gesteht: «Mit Arbeiten und Lesen ist es jeweils nicht weit her, man wird hier einfach nur beschaulich und geniesst das Jetzt.» Karin Burkhard Fotos: Thomas Schuppisser, Pia Zanetti, Georg Stärk 8 Credit Suisse Bulletin 5|<strong>01</strong>
Salagnon Lage: Genfersee, bei Clarens (Kanton Waadt) Credit Suisse Bulletin 5|<strong>01</strong> 9