Hüter der schweizerischen Euroinsel Am 1. Januar 2002 wird der Euro als reelles Zahlungsmittel eingeführt. Der Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, Bruno Gehrig, zeigt sich im Gespräch mit dem Bulletin vom Franken und den Vorzügen einer unabhängigen Geldpolitik überzeugt.
Foto: Eva-Maria Züllig INSEL Interview: Daniel Huber, Redaktion Bulletin DANIEL HUBER Träumen auch Sie manchmal von einer eigenen Insel? BRUNO GEHRIG Eigentlich nicht. Ich habe lieber eine urbane Lebensumgebung, die einen offenen Dialog mit der Welt zulässt. Die Isolation suche ich nicht. D.H. Nun stehen Sie als Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank aber ausgerechnet einer geldpolitischen Insel vor. Haben Sie keine Mühe mit dieser Rolle? B.G. Das ist überhaupt kein Problem für mich. Ich trage sehr gerne dazu bei, dass dieses Land eine eigenständige Geldpolitik beibehalten kann. Das ist für mich persönlich eine interessantere Aufgabe als ein ausführendes Organ einer übergeordneten Instanz zu werden. D.H. Wie stark hängt das Herz der Schweizer an ihrem Franken? B.G. Man sollte die emotionale Bindung zu einer Währung nicht überschätzen. Ob man die eigene oder eine Gemeinschaftswährung bevorzugt, hängt meiner Meinung nach einzig davon ab, mit welcher man besser fährt. Solange im Schweizer Franken die langfristigen Zinssätze tiefer sind als im Euro, ist das Vertrauen in den Franken sicher gegeben. Die Chance, dass die Leute den Franken nicht mehr akzeptieren könnten, ist klein. D.H. Den Euro gibts bereits seit drei Jahren als Buchwährung. Wie hat das Ihre Arbeit bei der Schweizerischen Nationalbank verändert? B.G. Die Arbeit ist höchstens marginal anders geworden. Schliesslich lebten wir und die Welt unmittelbar um uns schon vorher mit festen Wechselkursen. Zudem hat damals schon mit der D-Mark eine Währung das System massgeblich dominiert. Jetzt gibt es nur noch eine Währung, den Euro. Das ist für unsere Wirtschaft zum Teil sogar eine Erleichterung, da die Abwertung einzelner Währungen – denken wir nur an die Lira vor einigen Jahren – nun nicht mehr möglich ist. D.H. Lässt sich bei einer so einseitigen Abhängigkeit von einem Währungsraum überhaupt noch eine autonome Geldpolitik verfolgen? Der 55-jährige Bruno Gehrig ist seit 1996 Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank. Dort ist er unter anderem verantwortlich für die «monetären Operationen». Im Januar 20<strong>01</strong> wurde er zum Vizepräsidenten des Direktoriums ernannt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. B.G. Dass es möglich ist, haben wir die letzten drei Jahre bewiesen. Obwohl wir grundsätzlich dieselben Ziele verfolgen wie unsere europäischen Partner – allen voran die Preisstabilität zu sichern –, haben wir bei geldpolitischen Entscheiden keinesfalls immer mit der Europäischen Zentralbank gleichgezogen, sondern unseren Kurs auf die speziellen Bedürfnisse der Schweiz ausgerichtet. D.H. Nun geht der Euro am 1. Januar 2002 in die entscheidende Runde der Bargeldeinführung. Welche Auswirkungen hat das auf die Währung? B.G. Dadurch, dass der Euro als Währung nun wirklich greifbar wird, wird auch die Akzeptanz und das Vertrauen im breiten Publikum grösser werden. Viele Leute werden überhaupt erst Anfang Januar merken, dass es den Euro tatsächlich gibt. Auf die Währung an sich und den Wechselkurs wird es kaum einen Einfluss haben. D.H. In der Schweiz wird man in der Migros, dem Coop oder auch im Restaurant nebenan in Euro bezahlen können. Ist bei dieser schleichenden Infiltrierung der Franken nicht zum Sterben verdammt? B.G. Ich bin überzeugt, dass der Euro den Franken als Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel oder auch Kreditwährung nicht verdrängen wird. Grundsätzlich haben die Schweizer die freie Wahl. Solange der Franken eine stabile, vertrauenswürdige Währung mit geringen Inflationserwartungen und entsprechend attraktiven Zinsen bleibt, habe ich keine Angst um ihn. Die Geschichte hat gezeigt, dass nationale Währungen immer erst dann verdrängt wurden, wenn sie selber in die Instabilität und Hyperinflation absanken. D.H. Es gibt auch noch die Möglichkeit, den Franken an den Euro zu binden. Was halten Sie von dieser Massnahme? B.G. Natürlich wäre es denkbar, den Franken über die Fixierung des Wechselkurses mit dem Euro zu verknüpfen. Doch das erachte ich als ein unzweckmässiges Mittel. Wir müssten in einem solchen Fall die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ohne Wenn und Aber übernehmen. Dadurch könnten wir der speziellen Situation der Schweiz und ihrer Wirtschaft nicht mehr Rechnung tragen. So müssten wir zwangsläufig die Zinssätze anpassen, was für ein Land wie die Schweiz mit einem respektablen Zinsbonus wenig attraktiv wäre. D.H. Dann gehen Sie also davon aus, dass sich die Schweiz den europäischen Wirtschaftstendenzen entziehen kann? B.G. Wir können uns nicht aus dem Konjunktur-Zusammenhang der Welt herauslösen. Doch wir können eine wohl dosierte Geldpolitik für die Schweiz verfolgen. Es gibt immer wieder Ereignisse, die verschiedene Volkswirtschaften auf unterschiedliche Weise treffen. So hat zum Beispiel der Technologieschock auf die schwedische Wirtschaft sehr viel schwerwiegendere Auswirkungen gezeitigt als auf die schweizerische. Solchen Besonderheiten kann man nur mit einer unabhängigen Geldpolitik Rechnung tragen. Gerade im Eurogebiet stellt sich nun das Problem, dass Länder mit teilweise sehr unterschiedlichen Credit Suisse Bulletin 5|<strong>01</strong> 17