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EDITORIAL
Schwerpunkt: «Inseln»
Wenn die Welt Schiffbruch erleidet
«No man is an island», kein Mensch ist eine Insel.
Schon der Renaissancedichter John Donne beschäftigte
sich mit dem Phänomen «Insel». Kein Mensch
ist eine Insel, aber jeder lebte wohl gerne ab und zu
auf einer. Schön überschaubar und beschaulich sind
sie, die Inseln unserer Träume. Welches Kind hat
sie nicht verschlungen, die Inselabenteuer par excellence,
«Robinson Crusoe» von Daniel Defoe und die
«Schatzinsel» von Robert Louis Stevenson. Reale
und imaginäre Inseln faszinieren immer wieder aufs
Neue. Wie anders liesse sich erklären, dass in einer
Zeit, wo man den Mond kartografiert und Wasser
auf dem Mars gefunden hat, Unbeirrbare immer
noch versuchen, die Existenz der versunkenen Insel
Atlantis und der Inseln der Seligen nachzuweisen?
«Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich
weiss von nichts als meiner seligen Insel», behauptete
Friedrich Hölderlin an der Schwelle zum 19.
Jahrhundert. Selig werden dürften im 21. Jahrhun-
dert vor allem diejenigen, die mit Inselträumen Geld
verdienen: Die Reiseindustrie schickt gestresste
Erwerbstätige zur ultimativen Erholung auf die Trauminsel,
Süsswarenkonzerne verkaufen ihre Schokoriegel
dank Inselsujets besser, Hollywood füllt in der
Sommerflaute die Kinos mit moderner Robinson-
Dramatik. Und Fernsehstationen bolzen europaweit
Quoten mit Formaten, die Inselromantik und Mobbingstrategien
zu einem dümmlichen Unterhaltungsbrei
vermischen.
«Kein Mensch ist eine Insel, sich selbst genug;
jeder Mensch ist ein Teil des Kontinents, ein Teil des
Ganzen.» Die Zeilen John Donnes sind fast 400 Jahre
nach ihrer Niederschrift gültiger denn je. Wenn die
Welt über Nacht Schiffbruch zu erleiden droht, ist der
Rückzug auf die imaginäre Insel der Seligen kein
Ausweg. Kein Mensch ist eine Insel, keine Nation
ein Eiland fernab des Geschehens. Was auf der
Welt geschieht, geht alle etwas an.
Ruth Hafen, Redaktion Bulletin,
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Bulletin 5|01
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