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Credit Suisse bulletin, 2001/05

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INSEL<br />

Brissago: Fiorenzo Risi pflegt den Garten Eden<br />

Fotos: Thomas Schuppisser, Pia Zanetti, Georg Stärk<br />

«Wenns richtig ruhig und windstill ist, riecht jede Ecke der Insel<br />

anders. Im Winter kann man manchmal sogar das Meer riechen.»<br />

Fiorenzo Risi arbeitet im botanischen Garten auf San Pancrazio,<br />

der grösseren der beiden Brissago-<strong>Inseln</strong> im Lago Maggiore. Er<br />

ist Chefgärtner und kümmert sich zusammen mit einem Team<br />

von sechs Gärtnern um die rund 2000 Pflanzenarten, die auf gut<br />

zweieinhalb Hektaren gedeihen.<br />

Zwischen März und Oktober, wenn der botanische Garten<br />

für das Publikum geöffnet ist, gibt es viel zu tun. Morgens um<br />

sieben kommt das ganze Team mit dem Boot auf die Insel. Zwischen<br />

sieben und zehn werden die Unterhaltsarbeiten erledigt,<br />

es wird geharkt, gejätet und geschnitten, bevor die Besucherströme<br />

auf die Insel einfallen. Pro Saison besuchen ungefähr<br />

100 000 Leute die Insel, im Tag sind das zwischen 500 und 600,<br />

zu sonntäglichen Spitzenzeiten steigt die Besucherzahl schon<br />

mal auf 1200 an. Eigentlich seien das zu viele Leute, findet<br />

Fiorenzo Risi, «am schönsten ist die Insel, wenns ruhig ist, gegen<br />

Abend, wenn keine Besucher mehr da sind». Die Insel sei dann<br />

eine eigene Welt. Dann spüre er die Kraft, die von ihr ausgehe.<br />

Eine ganz spezielle Energie, die nur diese Insel besitze.<br />

Neben der eigentlichen Gartenarbeit fallen noch andere Arbeiten<br />

an. Zum Beispiel von Zeit zu Zeit ein wachsames Auge<br />

auf die Besucher zu werfen. Denn immer wieder werden Pflanzen<br />

geklaut oder Baumrinden mit Sackmessern geritzt. «Wenn<br />

ich so einen erwische, nehme ich seine Personalien auf, und<br />

dann werfe ich sein Messer in hohem Bogen in den See», strahlt<br />

er. Fiorenzo Risi ist aber auch Lehrer, führt Schulklassen und botanisch<br />

Interessierte durch seinen Park. Er redet gerne über seine<br />

Pflanzen. Und er macht das mit einer Begeisterung, die mitreisst:<br />

«È bello – schau mal, wie schön», sind Worte, die er gerne<br />

und oft benutzt. Seine Arbeit macht ihm Spass, denn er kann<br />

dort sein, wo er am liebsten ist: draussen in der Natur.<br />

Der Duft der Pflanzen weist den Weg<br />

Einen botanischen Garten zu unterhalten, verlangt einem Gärtner<br />

nicht nur harte körperliche Arbeit ab, sondern auch viel Fantasie<br />

und Planungsarbeit. Im Park auf Brissago wachsen Pflanzen aus<br />

allen Teilen der Erde: vom Mittelmeerraum über Südafrika, Nord-,<br />

Zentral- und Südamerika, Australien bis hin zu den subtropischen<br />

Gebieten Asiens. Risi würde sich in seinem Garten auch<br />

mit verbundenen Augen zurechtfinden, allein aufgrund des Duftes,<br />

den die Pflanzen verströmen. «Ein normaler Gärtner arbeitet<br />

mit 150 verschiedenen Pflanzen, hier haben wir 2000 Arten»,<br />

sagt er. Alles müsse aufeinander abgestimmt werden, Farben,<br />

Formen, individuelle Bedürfnisse der Pflanzen. Für jemanden,<br />

der frisch aus der Gärtnerschule komme, sei das nichts. Da müsse<br />

man schon einige Jahre Erfahrung mitbringen. «Das ist wie<br />

bei einem Maler: Wenn einer immer nur Häuser anstreicht und<br />

dann plötzlich die Möglichkeit hat, eine Kirche zu renovieren…<br />

Das ist eine ganz andere Arbeit. Da braucht man eine grosse<br />

Vorstellungskraft.»<br />

An Erfahrung und Fantasie fehlt es Fiorenzo Risi nicht. Nach der<br />

Gärtnerlehre arbeitete er als Topfpflanzengärtner, ging dann für<br />

vier Jahre in die Deutschschweiz, bildete sich weiter zum Baumschulist<br />

und sammelte Erfahrung im Gartenbau. Ende 1988 kam<br />

er schliesslich nach Brissago. Die kreative Seite seiner Arbeit ist<br />

dem Vierzigjährigen sehr wichtig, er nimmt sich Zeit für seine<br />

Inspirationen, folgt seinen Intuitionen. «Diese Insel ist ein kleines<br />

Universum, alles muss zusammenstimmen. Alles ist eine einzige<br />

Kraft.» Es freut ihn besonders, wenn Besucher aus fremden<br />

Ländern erstaunt sind, Pflanzen aus ihrer Heimat auf Brissago<br />

zu finden.<br />

So wie Fiorenzo Risi über die Pflanzen und deren Herkunftsländer<br />

spricht, würde man meinen, er verbringe die meiste Zeit<br />

mit Weltreisen. Doch das einzige Mal, als er für längere Zeit wegkonnte,<br />

waren die sechs Monate, die er zwischen zwei Jobs<br />

in Amerika verbrachte. Er reist in der Fantasie, holt sich dort<br />

auch seine Inspirationen für die Gestaltung des Parks. Wenn er<br />

könnte, würde er gerne mit seinen drei Töchtern, die bei seiner<br />

geschiedenen Frau leben, eine Reise machen. Nach Äthiopien,<br />

Ägypten, in die Türkei oder nach Marokko. Dorthin, wo andere<br />

Kräfte und Energien herrschen. «Ein Traum wäre das schon, mit<br />

meinen Mädchen in ein solches Land zu reisen. Vielleicht bleibt<br />

es ein Traum. Aber wir alle leben ja von Träumen.»<br />

Ruth Hafen<br />

Credit Suisse<br />

Bulletin 5|<strong>01</strong><br />

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