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Credit Suisse bulletin, 2001/05

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INSEL<br />

Pater Ulrich Kurmann spricht nur ungern von sich selbst. Viel<br />

lieber erzählt er von der Geschichte der Ufenau. Schon seit über<br />

45 Jahren macht der Benediktiner Führungen auf der Insel, die<br />

dem Kloster Einsiedeln gehört. Auch wenn er sich nicht als<br />

Inselexperten bezeichnen mag, weiss er doch alles, was es über<br />

diesen Flecken Erde zu wissen gibt. Auf die Frage, ob er gerne<br />

Führungen auf der Insel leite, meint er: «Ich tue es, weil es meine<br />

Pflicht ist. Die Leute, die Interesse an der Ufenau zeigen, haben<br />

das Recht, mehr darüber zu erfahren.» Wenn er dann aber ins<br />

Erzählen kommt, spürt man, dass dies keine reine Pflichtübung<br />

ist. Mit Begeisterung spricht er von der Entstehung der Insel in<br />

der Eiszeit, dem früheren gallorömischen Tempel, der aussätzigen<br />

Regenlinde, dem heiligen Adalrich und vor allem von den<br />

zwei Kirchen. Und wenn Pater Ulrich sagt: «Im Jahr 965 hat uns<br />

Kaiser Otto I. die Insel geschenkt» und in seiner Kutte vor einem<br />

steht, fühlt man, wie lebendig Geschichte sein kann.<br />

Ufenau: Pater Ulrich macht Führungen auf der Klosterinsel<br />

Fotos: Thomas Schuppisser, Pia Zanetti, Georg Stärk<br />

Auf der Insel fliegen ihm die guten Ideen zu<br />

Die Kirche Sankt Peter ist für Pater Ulrich der wichtigste Ort auf<br />

der Insel. In ihr findet er Erholung und Inspiration: «Manchmal<br />

wusste ich bei meiner Arbeit, zum Beispiel bei einem Aufsatz,<br />

einfach nicht mehr weiter. Auf der Ufenau, besonders wenn ich<br />

ganz still in der Kirche sass, kamen mir dann auf einmal die<br />

Ideen, auf die ich im Büro vergeblich gewartet hatte.» Ausserdem<br />

schätzt er die Natur, die er als «schöpferisch» empfindet.<br />

Auch wenn der Benediktiner sonst nicht begeistert ist von «grünen<br />

Gedanken», ist er doch froh, dass die Ufenau so unberührt<br />

geblieben ist.<br />

Jahrelang war Pater Ulrich auch für die Verwaltung der Insel<br />

zuständig. Er hat aber nie auf der Ufenau gewohnt; zuerst lebte<br />

er in Pfäffikon, später in Einsiedeln. Nur einmal hat er auf der<br />

Ufenau übernachtet, als es dermassen stürmte, dass er nicht<br />

mehr mit dem Boot zurückfahren konnte. Die Nacht behält er in<br />

guter Erinnerung: «Ich war die ganze Zeit am Fenster und habe<br />

dem Gewitter zugeschaut. Die Silhouetten, die ich sah, wenn es<br />

blitzte, waren wunderschön.» Auf der Ufenau hat er einiges erlebt:<br />

einen Überfall auf den Gasthof, der dann zum Glück glimpflich<br />

ausging, Kirchenrenovierungen, Vandalismus, ein Kreuz, das<br />

während des Lothar-Sturms umfiel, und natürlich die Suche nach<br />

dem Skelett Ulrich von Huttens, der 1523 auf der Ufenau starb.<br />

Dieser berühmte Ritter, ein Anhänger Luthers, wurde zweimal<br />

ausgegraben. Das erste Mal im Jahr 1959; da wurden sterbliche<br />

Überreste gefunden, die man Ulrich von Hutten zuordnete. Gerne<br />

denkt Pater Ulrich an den damaligen Beerdigungsgottesdienst<br />

zurück. Für ihn war es die erste ökumenische Feier: «Es war sehr<br />

aufrichtig und eindrücklich. Für mich liegt die Bedeutung dieses<br />

‹ersten Hutten› darin, dass sich bei seiner Beerdigung Katholiken<br />

und Protestanten gefunden haben und das Ereignis von<br />

beiden Seiten gewürdigt wurde.» Zehn Jahre später führte ein<br />

Wissenschaftler, der nicht überzeugt war von der Authentizität<br />

des Skeletts, nochmals Grabungen durch. Er fand Knochen,<br />

deren Schwellungen genau mit Huttens Krankheitsgeschichte<br />

– er litt an Syphilis – übereinstimmten. «1959 dachten wir,<br />

wir hätten den richtigen Hutten gefunden. Wenn aber die Geschichte<br />

etwas anderes sagt, muss man das akzeptieren»,<br />

meint Pater Ulrich dazu. Jetzt ruhen beide «Hutten» im gleichen<br />

Grab, der Erste in einem Eichensarg, der Zweite in einem<br />

Kupfersarg.<br />

Das Kloster Einsiedeln habe es immer als grosses Glück<br />

betrachtet, dass ihm die Ufenau gehöre, sagt Pater Ulrich. Im<br />

Laufe der Jahrhunderte verlor Einsiedeln den Besitz mehrmals,<br />

das letzte Mal unter Napoleon. Das Kloster kaufte die<br />

Insel aber jedes Mal wieder zurück. Um die Beziehung zwischen<br />

Einsiedeln und der Ufenau zu beschreiben, zitiert Pater<br />

Ulrich General Wille: «In einer Karte an den Abt von Einsiedeln<br />

bezeichnet der General die Ufenau als ‹Juwel in der Krone des<br />

Klosters›. Das finde ich eine gute Beschreibung.»<br />

Martina Bosshard<br />

Credit Suisse<br />

Bulletin 5|<strong>01</strong><br />

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