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Credit Suisse bulletin, 2001/05

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INSEL<br />

Ist die Schweiz<br />

eine Insel?<br />

Ja, was denn sonst?!<br />

Um dem Inseldasein der Schweizer auf den Grund zu gehen, gibt Autor und<br />

NZZ-Kolumnist Richard Reich Turnlehrer Meyer das Wort.<br />

Fotos: Pia Zanetti<br />

Sehr geehrtes Organisationskomitee!<br />

Ich bestätige hiermit den Eingang Ihres Schreibens vom 4. August<br />

dieses Jahres, worin Sie mich auffordern, einen tragenden Beitrag<br />

zu Ihrer Publikation «Die Welt an und für sich unter spezieller Berücksichtigung<br />

der Schweiz» zu verfassen.<br />

Es ist für mich natürlich eine Selbstverständlichkeit, nein: eine Ehre,<br />

alles mir Mögliche zum Gelingen dieses von der schweizerischen<br />

Öffentlichkeit ja nur zu lange schmerzlich entbehrten<br />

zukünftigen Standardwerks beizusteuern. Zugleich ist dies für<br />

mich, wie Sie sich wohl vorstellen können, eine höchst willkommene<br />

Gelegenheit, um einmal die ganzen Erkenntnisse und den<br />

ganzen Erfahrungsschatz eines ereignisreichen Lebens an geeigneter<br />

Stelle ausbreiten zu können.<br />

Deshalb habe ich mich, dies nur nebenbei, auch sofort vom Schuldienst<br />

freistellen lassen, um so dieser grossen Aufgabe meine geringen<br />

Kräfte wirklich ungeteilt zukommen lassen zu können.<br />

Natürlich wollte mein Rektor zwar zuerst gar nichts wissen davon.<br />

Meyer, sagte er, Meyer, was müssen Sie als Turnlehrer immer auch<br />

noch solches Zeug schreiben wollen?! Sagen Sie einmal, Meyer,<br />

sagte mein Rektor, ist Ihnen Ihr Beruf vielleicht nicht gut genug, dass<br />

Sie ums Verrecken immer auch noch in andern Fächern auffallen<br />

müssen? Ich meine, jetzt mal ehrlich, Meyer, sagte mein Rektor, wie<br />

wollen ausgerechnet Sie als wandelnde Reckstange, ausgerechnet<br />

Sie als x-beiniger Barren-Clown jetzt ausgerechnet etwas zu einem<br />

so grossen Topos wie «Die Welt an und für sich unter spezieller<br />

Berücksichtigung der Schweiz» zu sagen haben?<br />

Ich muss Ihnen, sehr geehrtes Organisationskomitee, ja wohl nicht<br />

erklären, dass so ein Rektor naturgemäss nicht die leiseste Ahnung<br />

hat, wie sehr gerade ein Turnlehrer mit allen Inhalten und Aspekten<br />

des privaten und öffentlichen Lebens konfrontiert ist. Ich sage nur:<br />

Ohne corps sanus keine mensa sana! Ich sage nur: Ohne geschulten<br />

Volkskörper keine stabile Eidgenossenschaft! Ich sage nur: Ohne<br />

gerade Wirbelsäule keine immerwährende Neutralität!<br />

Sie wissen, was ich meine. Nur wusste das mein Rektor nicht. Ums<br />

Verrecken wollte er nichts davon wissen. Erst als ich ihn darauf hinwies,<br />

dass heuer sowieso gerade mein dreissigjähriges Dienstjubiläum<br />

anfällt und dass ich daher von Rechts wegen einen längeren<br />

Urlaub zugut hätte, gab er sich, wenn auch sichtlich sauer,<br />

endlich geschlagen.<br />

Wie Sie also sehen können, sehr geehrtes Organisationskomitee,<br />

war mir kein Aufwand zu gross und kein Risiko zu gering, um der<br />

mir von Ihnen gestellten Aufgabe genügen zu können.<br />

Dies obwohl, und das muss ich bei allem Respekt nun doch hier<br />

einfliessen lassen, mich das von Ihnen mir zugeteilte, also das mir<br />

von Ihrem Komitee zugedachte Thema, ehrlich gesagt, am Anfang<br />

schon etwas irritiert hat. Ich musste, ehrlich gesagt, fast mit den<br />

Tränen kämpfen, als ich mir all die andern spannenden Kapitel des<br />

zukünftigen Buches vor Augen führte:<br />

Credit Suisse<br />

Bulletin 5|<strong>01</strong><br />

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