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INSEL<br />
Ist die Schweiz<br />
eine Insel?<br />
Ja, was denn sonst?!<br />
Um dem Inseldasein der Schweizer auf den Grund zu gehen, gibt Autor und<br />
NZZ-Kolumnist Richard Reich Turnlehrer Meyer das Wort.<br />
Fotos: Pia Zanetti<br />
Sehr geehrtes Organisationskomitee!<br />
Ich bestätige hiermit den Eingang Ihres Schreibens vom 4. August<br />
dieses Jahres, worin Sie mich auffordern, einen tragenden Beitrag<br />
zu Ihrer Publikation «Die Welt an und für sich unter spezieller Berücksichtigung<br />
der Schweiz» zu verfassen.<br />
Es ist für mich natürlich eine Selbstverständlichkeit, nein: eine Ehre,<br />
alles mir Mögliche zum Gelingen dieses von der schweizerischen<br />
Öffentlichkeit ja nur zu lange schmerzlich entbehrten<br />
zukünftigen Standardwerks beizusteuern. Zugleich ist dies für<br />
mich, wie Sie sich wohl vorstellen können, eine höchst willkommene<br />
Gelegenheit, um einmal die ganzen Erkenntnisse und den<br />
ganzen Erfahrungsschatz eines ereignisreichen Lebens an geeigneter<br />
Stelle ausbreiten zu können.<br />
Deshalb habe ich mich, dies nur nebenbei, auch sofort vom Schuldienst<br />
freistellen lassen, um so dieser grossen Aufgabe meine geringen<br />
Kräfte wirklich ungeteilt zukommen lassen zu können.<br />
Natürlich wollte mein Rektor zwar zuerst gar nichts wissen davon.<br />
Meyer, sagte er, Meyer, was müssen Sie als Turnlehrer immer auch<br />
noch solches Zeug schreiben wollen?! Sagen Sie einmal, Meyer,<br />
sagte mein Rektor, ist Ihnen Ihr Beruf vielleicht nicht gut genug, dass<br />
Sie ums Verrecken immer auch noch in andern Fächern auffallen<br />
müssen? Ich meine, jetzt mal ehrlich, Meyer, sagte mein Rektor, wie<br />
wollen ausgerechnet Sie als wandelnde Reckstange, ausgerechnet<br />
Sie als x-beiniger Barren-Clown jetzt ausgerechnet etwas zu einem<br />
so grossen Topos wie «Die Welt an und für sich unter spezieller<br />
Berücksichtigung der Schweiz» zu sagen haben?<br />
Ich muss Ihnen, sehr geehrtes Organisationskomitee, ja wohl nicht<br />
erklären, dass so ein Rektor naturgemäss nicht die leiseste Ahnung<br />
hat, wie sehr gerade ein Turnlehrer mit allen Inhalten und Aspekten<br />
des privaten und öffentlichen Lebens konfrontiert ist. Ich sage nur:<br />
Ohne corps sanus keine mensa sana! Ich sage nur: Ohne geschulten<br />
Volkskörper keine stabile Eidgenossenschaft! Ich sage nur: Ohne<br />
gerade Wirbelsäule keine immerwährende Neutralität!<br />
Sie wissen, was ich meine. Nur wusste das mein Rektor nicht. Ums<br />
Verrecken wollte er nichts davon wissen. Erst als ich ihn darauf hinwies,<br />
dass heuer sowieso gerade mein dreissigjähriges Dienstjubiläum<br />
anfällt und dass ich daher von Rechts wegen einen längeren<br />
Urlaub zugut hätte, gab er sich, wenn auch sichtlich sauer,<br />
endlich geschlagen.<br />
Wie Sie also sehen können, sehr geehrtes Organisationskomitee,<br />
war mir kein Aufwand zu gross und kein Risiko zu gering, um der<br />
mir von Ihnen gestellten Aufgabe genügen zu können.<br />
Dies obwohl, und das muss ich bei allem Respekt nun doch hier<br />
einfliessen lassen, mich das von Ihnen mir zugeteilte, also das mir<br />
von Ihrem Komitee zugedachte Thema, ehrlich gesagt, am Anfang<br />
schon etwas irritiert hat. Ich musste, ehrlich gesagt, fast mit den<br />
Tränen kämpfen, als ich mir all die andern spannenden Kapitel des<br />
zukünftigen Buches vor Augen führte:<br />
Credit Suisse<br />
Bulletin 5|<strong>01</strong><br />
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