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Berliner Zeitung 13.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 87 · 1 3./14. April 2019 27<br />

· ·<br />

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Feuilleton<br />

SONNTAGSKRIMI<br />

ist grad<br />

In<br />

aller<br />

Not<br />

nervös<br />

Ines Geipel über<br />

Denkverbote, Sprechverbote,<br />

das 89er Glückskapital<br />

und ihr Buch<br />

„Umkämpfte Zone“<br />

Interview: Christina Bylow<br />

Auch den Mythos der emanzipierten<br />

Ost-Frau nehmen Sie sich vor. „Denn<br />

mehr Patriarchat als im Osten war<br />

faktisch nicht drin“, schreiben Sie.<br />

Das politische System war zu 99<br />

Prozent männlich. Es gab Margot<br />

Honecker, es gab Inge Lange, und<br />

welche Frau an der Spitzebitte noch?<br />

Wir finden das ja klasse: diese universal<br />

mother, die Ostfrau als<br />

Leuchtstern, als Supermodell der<br />

Emanzipation. Aber was ist mit unseren<br />

starken Müttern und ihren<br />

elenden Verantwortungslosigkeiten,<br />

die die Gewalt der Männer nicht<br />

stoppten, sondern sie oft genug geschehen<br />

ließen, die sie wegguckten<br />

und ein Leben lang ausschwiegen?<br />

Natürlich bedeutet das was, wenn<br />

eine Frau gut ausgebildet ist und ihrenBeruf<br />

hat. Aber wie viel politische<br />

Verantwortung haben die Ostfrauen<br />

tatsächlich übernommen? Was hat<br />

ihnen die Diktatur überhaupt zugestanden?<br />

Reicht es uns aus, die endhat<br />

uns auch den noch weggenommen.<br />

Sicherlich, Buchenwald ist ein<br />

großer und komplexer Stoff. Er verträgt<br />

keine Kürzungen. Aber ein bisschen<br />

mehr an Realität, als wir in Sachen<br />

Buchenwald bislang zugelassen<br />

haben, könnten wir nach 30 Jahren<br />

schon hinkriegen. Die<br />

Forschung hält jedenfalls alles Notwendige<br />

parat dafür.<br />

Schon aus Ihren früheren Büchern<br />

kennen wir Teile Ihrer Familiengeschichte.<br />

Vater und Mutter als Kriegskinder<br />

aus Nazi-Familien, Ihr Vater,<br />

der Terroragent der Stasi wurde. Nun<br />

könnte man einwenden, das sei eben<br />

eine extreme Familie. Warum ist sie<br />

dennoch so exemplarisch?<br />

Sicher kommt da bisschen viel<br />

zusammen, aber die Zuspitzung,das<br />

Extrem macht letztlich doch auch<br />

das System kenntlich. Es kann sich ja<br />

jeder selbst zusammensetzen, dass<br />

es keine Luft gab zwischen Nationalsozialismus<br />

und DDR und sich also<br />

die Hitler-Zeit und die DDR-Gesellschaft<br />

zwangsläufig verschränkt haben.<br />

Diese Doppelung im eigenen<br />

Leben zusammenzukriegen, ist nur<br />

eben schwer.Dageht es am Ende um<br />

die Fragen, wo der Großvater im<br />

Krieg war, was der Onkel zu DDR-<br />

Zeiten gemacht oder wo die Mutter<br />

weggeguckt hat. Also um Denkverbote,<br />

Fühlverbote, Distanzverbote.<br />

Wir haben keine Analyseinstrumente<br />

für diese Doppelung, die am<br />

Ende ja oft Synapsen sind. DieAbwesenheit<br />

von Sigmund Freud in der<br />

DDR und damit die Abwesenheit des<br />

Unbewussten liegt da zusätzlich<br />

drunter.Noch immer heißt es in den<br />

Familien oft: Also,wenn du zur Therapie<br />

musst, bist du krank. Dass eine<br />

Therapie auch ein eigener Raum<br />

sein kann und die Möglichkeit, was<br />

zu verändern, bleibt dabei außen<br />

vor.<br />

Wie soll man sich verändern, wenn<br />

man buchstäblich abgekoppelt ist –<br />

etwa in ländlichen Gegenden Ostdeutschlands<br />

ohne Internet-Empfang,<br />

ohne die Möglichkeit, Arbeit zu<br />

finden?<br />

Die ländlichen Gebiete mit ihren<br />

starken Verwerfungen nach 1945<br />

sind ein Thema für sich. Dabei ist<br />

klar: Die Anbindung an die Welt<br />

muss gewährleistet sein. Darin<br />

steckt aber auch das Abkoppeln von<br />

den gedanklichen Umbrüchen, die<br />

nach 89 stattgefunden haben. Wie<br />

soll es denn gehen? Ein neuer Zustand<br />

entsteht doch immer nur, indem<br />

das Andere dazukommt. Diese<br />

jetzt spürbare Härte, Aggressivität,<br />

das Degradieren des anderen, die einem<br />

im Osten begegnen können,<br />

dieses Dichtmachen, das Unversöhnliche<br />

–das ist doch vor allem<br />

Gewalt gegen sich, einfach viel<br />

Selbstdestruktion. Sich selbst zumuten,<br />

dass sich nichts verändern darf.<br />

Hat man da nicht sein Herz verschlossen?<br />

Da spielt das Gefängnis<br />

der Kindheit eine große Rolle.<br />

Sie haben einmal von den „starken<br />

inneren Mauern“ gesprochen, die<br />

viele Ihrer Generation davon abhielten,<br />

sich Veränderungen zu stellen.<br />

DieGeneration Mauer,also diejenigen,<br />

die heute zwischen 50 und 60<br />

sind, wuchsen noch mit einem klarenFeindbild<br />

auf, mit Gutund Böse,<br />

Freund und Feind. Während des Studiums<br />

mussten wir ins Zivilverteidigungslager<br />

und hatten die Stiefel vor<br />

den Betten so auszurichten, dass wir<br />

bei Nachtalarm sofort gen Westen<br />

laufen konnten, Richtung Feind. Wo<br />

sich der befand, war immer klar –<br />

und dabei spielt der Buchenwald-<br />

Mythos eben eine große Rolle: Wir<br />

sind die Guten, wir bauen das bessere<br />

Deutschland auf, der Feind<br />

hockt draußen, drüben halt. Das ist<br />

noch immer nicht aufgebraucht.<br />

ZUR PERSON<br />

Lebenslauf: Ines Geipel, geboren 1960<br />

in Dresden, war Anfang der 80er-Jahre<br />

Mitglied der Leichtathletik-Nationalmannschaft<br />

der DDR. Sie studierte Germanistik<br />

in Jena und floh im Sommer<br />

1989 in die Bundesrepublik, studierte<br />

dann noch einmal in Darmstadt Philosophie<br />

und Soziologie. Seit 2001 ist sie<br />

Professorin für Verssprache an der <strong>Berliner</strong><br />

Hochschule für Schauspielkunst<br />

„Ernst Busch“.<br />

Thema Doping: 2000 war sie Nebenklägerin<br />

im Prozess gegendie Drahtzieher<br />

des DDR-Zwangsdopings. Ihr Buch „Verlorene<br />

Spiele“ (2001) hat wesentlich<br />

dazu beigetragen, dass die Bundesregierung<br />

einen Entschädigungs-Fonds für<br />

DDR-Dopinggeschädigte einrichtete.<br />

2005 gabInes Geipel ihren 4x100-Meter-Staffelweltrekord<br />

zurück, weil er unter<br />

unfreiwilliger Einbindung ins DDR-<br />

Zwangsdoping zustande gekommen war.<br />

Bücher (Auswahl): Ines Geipel hat über<br />

in der DDR unterdrückte Literatur geforscht<br />

und Bücher dazu veröffentlicht,<br />

darunter die Inge-Müller-Biografie „Dann<br />

fiel auf einmal der Himmel um“ ,„DieWelt<br />

ist eine Schachtel“ und, zusammen mit<br />

Joachim Walther,„GesperrteAblage“. Sie<br />

porträtierte ihre „Generation Mauer“ und<br />

schrieb die Romane „Das Heft“, „Heimspiel“<br />

und „Tochter des Diktators“.<br />

Ines Geipel:<br />

Umkämpfte Zone<br />

Mein Bruder,der Osten und der Hass.<br />

Klett-Cotta, Stuttgart2019,<br />

277 S.,20Euro<br />

los Werktätige zu sein oder hat<br />

Emanzipation nicht noch ein paar<br />

andereKategorien?<br />

DerSommer 2015 hat Ihren Bekanntenkreis<br />

gespalten. EinMann, den Sie<br />

nur beim Vornamen nennen, ist<br />

heute aktiv in der AfD. Die Autorin<br />

Jana Hensel sprach im Zusammenhang<br />

mit der AfD in einem Interview<br />

in dieser <strong>Zeitung</strong> von einer „gigantischen<br />

Emanzipationsbewegung von<br />

rechts“. Zudem sagte sie in einem Gespräch<br />

im Deutschlandfunk: „Fremdenfeindlichkeit<br />

und Rassismus im<br />

Osten ist (sic) immer Träger von Systemkritik.“<br />

Werden da Begriffe wie<br />

Emanzipation und Kritik umdefiniert?<br />

Die Mythologisierung der Rechten<br />

kann nicht der Wegsein. Das ist<br />

nicht Emanzipation, sondern daist<br />

ganz klar der Systembruch gewollt.<br />

Und das ist dann kein Sprachspiel<br />

mehr,sondernderVersuch der Rechten,<br />

das Land auszuhebeln und, vor<br />

allem, möglichst viel Angst zu verbreiten.<br />

Wenn Studien im letzten<br />

Herbst sagen –fast jeder zweite Ostdeutsche<br />

ist fremdenfeindlich, fast<br />

jeder zweite will keine Einwanderung<br />

von Muslimen, und die Gewalt<br />

ist dreifach höher als im Westen –<br />

dann haben wir unabweisbar ein<br />

Problem, auch wenn wir hektisch die<br />

Zahlen hoch- und runterrechnen.<br />

Die kleine Gruppe Radikalisierter ist<br />

etwas für den Verfassungsschutz,<br />

aber die große Korona, die dabei Beifall<br />

klatscht und sich mühelos auf die<br />

rechte Straße schieben lässt, das ist<br />

nicht hinzunehmen. Wie wollen Ost<br />

undWest denn miteinander in politische<br />

Verantwortung kommen, wenn<br />

wir das abnicken?<br />

Wasschlagen Sievor?<br />

Einen Zehn-Punkte-Plan wird es<br />

dafür nicht geben. Einfache Antworten<br />

auch nicht. Der Osten hat für<br />

sich herausgefunden, dass er politisch<br />

ernst genommen wird, wenn<br />

er möglichst zu allem Nein sagt und<br />

die AfD hochbläst. Er ist dabei, sein<br />

89er Glückskapital zu verspielen.<br />

Die Ostdeutschen habe eine friedliche<br />

Revolution geschafft. Sie haben<br />

Deutschland die Einheit gebracht.<br />

Werkann das in seinem kleinen Leben<br />

schon vonsich sagen? Heißt das<br />

Nein heute, wir nehmen das alles<br />

wieder zurück? Wo wollen wir damit<br />

enden?<br />

BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK (2)<br />

Getragen wird die rechte Bewegung<br />

im Osten vorallem vonMännern Ihrer<br />

Generation und den etwa zehn<br />

Jahrejüngeren. Warum ist das so?<br />

DieJungs meiner Generation, die<br />

im Osten die AfD-Kernwähler bilden,<br />

sind noch immer mit dem etwas<br />

barocken Habitus des starken<br />

Mannes unterwegs: Draufhalten,<br />

keine Widerrede. Dabei machen sie<br />

ja nichts anderes, als ständig den<br />

kleinen Jungen in sich totzuschlagen.<br />

Aber der ist da. Sein Schmerzist<br />

da. Es kommt mir so vor, als ob unsere<br />

inneren Schauplätze soeben<br />

mühelos neu beatmet würden. Es ist<br />

doch merkwürdig, dass sich diese<br />

letztgeborene Generation, die noch<br />

einen emotionalen Bezug zum alten<br />

Jahrhunderthat, im Hinblick auf Radikalisierung<br />

und Destruktion derart<br />

aufladen lässt. EinSchlüssel dafür ist<br />

in meinen Augen die Gewalterfahrung,<br />

die in dieser Generation liegt,<br />

all das Autoritäre, auch Zersetzende,<br />

das zersetzend nachwirkt. Nun gibt<br />

es die AfD und ihreStrategie der politischen<br />

Kuhwärme. Das ist das neue<br />

Kollektiv. Aber gerade, weil es dieses<br />

Jahr politisch um so viel geht,<br />

braucht der Osten endlich die öffentliche<br />

Anerkennung seiner langen<br />

Schmerzgeschichte, erbraucht Differenzierung,<br />

und die Erfahrungen<br />

des Ostens sollten viel stärker nach<br />

draußen, in den politischen Raum,<br />

in dieBildung, vorallem aber an den<br />

Familientisch.<br />

In kaum einem Buch von Ihnen finden<br />

sich so viele Fragezeichen wie in<br />

„Umkämpfte Zone“. Immer wieder<br />

halten Sie Zwiesprache mit sich<br />

selbst, fragen sich, wonach Siesuchen<br />

und weshalb. Esist die Haltung des<br />

Zweifels.<br />

Je länger man über einen Raum,<br />

eine Zeit, eine Gesellschaft nachdenkt,<br />

umso mehr Aspekte kommen<br />

dazu. Dinge werden konturierter,<br />

Überflüssiges fällt weg, der eigene<br />

Blick bekommt zwangsläufig mehr<br />

Etagen. Der Osten ist grad nervös,<br />

vielleicht ist er am Kippen. Aber ich<br />

begegne auch vielen, die fragen, die<br />

zweifeln, die suchen. Wie will man<br />

denn rauskommen?<br />

Christina Bylow<br />

las vonInes Geipel zuerst<br />

die Inge-Müller-Biografie.<br />

VonFrank Junghänel<br />

Das Krankenhaus ist nicht nur<br />

der beliebteste Schauplatz im<br />

deutschen Fernsehen, sondernauch<br />

der verlogenste.Woman hinschaut,<br />

trifft man auf supersympathisches<br />

Klinikpersonal, das sich um supersympathische<br />

Patienten kümmert<br />

und im Schatten der OP-Lampe hin<br />

und wieder noch die Muße für eine<br />

flüchtige Romanze findet. Insofern<br />

ist es schon mal sehr verdienstvoll,<br />

dass diese Station in Dortmund wie<br />

eine Station für gesetzlich Versicherte<br />

aussieht. Eine sympathische<br />

Ärztin gibt es in dem „Tatort“ aus der<br />

Notaufnahme zwar auch, sogar eine<br />

Affäre, die man bei dem Stress, den<br />

Depressionen, dem notorischen<br />

Schlafmangel und dem Wahnsinn<br />

drumherum aber kaum so nennen<br />

mag. Krank sind auch die Gesunden.<br />

Derrichtige Fall für Fabers Abteilung<br />

also, die ja auch dauernd am Limit<br />

taumelt. Zwei Berufsgruppen treffen<br />

aufeinander,deren Arbeitsalltag von<br />

emotionaler Überforderung geprägt<br />

ist, wobei sie sich bei Strafe ewiger<br />

Schuldgefühle keine Fehler erlauben<br />

dürfen. Es geht um Leben und Tod.<br />

Totist hier zunächst einmal die<br />

Internistin der Notambulanz, eine<br />

Pflegerin findet sie unter seltsamen<br />

Umständen im Ruheraum. Bis auf<br />

die Unterwäsche entkleidet, ihr Kopf<br />

steckt in einer Plastiktüte. Sexunfall,<br />

Suizid oder Verbrechen? Das Buch<br />

von Markus Busch, der bisher unter<br />

anderem an Filmen von Dominik<br />

Graf beteiligt war, konzentriert sich<br />

ganz klassisch auf die Ermittlung.<br />

Ein Mord, ein Ort, ein Täter. Nur<br />

wenn es die kriminalistische Dramaturgie<br />

erfordert, verlässt der Film das<br />

Krankenhaus,das in der präzisen Inszenierung<br />

von Richard Huber wie<br />

ein Organismus wirkt, der auf ganz<br />

eigene Weise in diesen mysteriösen<br />

Vorfall verwickelt ist.<br />

Die Kamera ist in Großaufnahme<br />

immer ganz nah bei den Ermittlern,<br />

denen die psychischen Verwerfungen<br />

tatsächlich ins Gesicht geschrieben<br />

sind. Fabers Alpträume, Frau<br />

Böhnischs Müdigkeit, Nora Dalays<br />

Panik –was bisher mitunter zur Pose<br />

geriet, wirkt in diesem außergewöhnlichen<br />

Film so authentisch wie<br />

noch nie. Es gibt niemanden, der<br />

nicht in Not wäre. Schließlich dringt<br />

Faber zum Herz der Finsternis vor:<br />

Es schlägt in ihm.<br />

Tatort–Inferno So, 20.15 Uhr,ARD<br />

Faber (Jörg Hartmann) und Frau Bönisch<br />

(Anna Schudt, l.) mit der Notärztin Dr.<br />

Müller-Seibel (Doris Schretzmayer) ARD<br />

TOP 10<br />

Donnerstag,11. April<br />

1 Kommissar Dupin ARD 4,63 15 %<br />

2 Euro-League RTL 4,62 14 %<br />

3 Tagesschau ARD 4,30 15 %<br />

4 Euro-League, 2 RTL 4,19 17 %<br />

5 heute ZDF 3,88 17 %<br />

6 Gipfelstürmer ZDF 3,75 12 %<br />

7 Notruf Hafenkante ZDF 3,58 13 %<br />

8 SokoStuttgart ZDF 3,56 19 %<br />

9 heute-journal ZDF 3,40 12 %<br />

10 Werweißdenn...? ARD 3,34 19 %<br />

ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %

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