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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 87 · 1 3./14. April 2019 5 *<br />
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Politik<br />
„Wir haben verlernt, dass Eigentum Verpflichtung bedeutet“<br />
Grünen-Chef Robert Habeck über hohe Mieten, mögliche Enteignungen und die soziale Marktwirtschaft im Geiste Ludwig Erhards<br />
Robert Habeck wirkt entspannt,<br />
als wir uns zum Interview<br />
treffen. Mit seinen<br />
jüngsten Äußerungen zum<br />
Thema Mieten und Wohnen hat er<br />
für Debatten gesorgt. Einem Grünen-Parteichef<br />
kann Schlimmeres<br />
passieren.<br />
Herr Habeck, Siesind seit Januar 2018<br />
Grünen-Vorsitzender.War es schwer für<br />
Sie, in Berlin eineWohnung zu finden?<br />
Normal schwierig, würde ich<br />
sagen.<br />
Weil es für andere sehr schwierig ist<br />
und wieder andere ihre Wohnungen<br />
verlassen müssen, haben Sie Enteignungen<br />
von Immobilienkonzernen<br />
ins Spiel gebracht. Können Sie noch<br />
mal genau sagen, warum?<br />
Ins Gespräch gebracht hat das<br />
eine Bürgerinitiative, die in Berlin<br />
Unterschriften sammelt für ein entsprechendes<br />
Gesetz. Als ich danach<br />
gefragt wurde,habe ich geantwortet,<br />
das sei eine denkbare Möglichkeit,<br />
wenn alle anderen Mittel versagen.<br />
Dass das so eine Welle ausgelöst hat,<br />
zeigt mir, dass die Geduld vieler<br />
Menschen mit den bisherigen Maßnahmen<br />
der Politik erschöpft ist.<br />
Inwiefern?<br />
Der exorbitante Anstieg der Mieten<br />
wurde durch die Politik nicht<br />
hinreichend gebremst. Also müssen<br />
wir uns neue Maßnahmen überlegen,<br />
die die Renditeerwartungen des<br />
Mietmarkts einhegen. Sonst leben in<br />
den Innenstädten bald nur noch die<br />
Reichen, und alle anderen, die sich<br />
das nicht leisten können, sind in die<br />
Peripherie verbannt. Nichts tun ist<br />
jedenfalls keine Alternative. Ich bin<br />
mir bewusst, dass das Wort „Enteignungen“<br />
auch böse Konnotationen<br />
auslöst. Aber es hat dazu beigetragen,<br />
dass über das Thema jetzt breit diskutiertwird.<br />
Unddas ist überfällig.<br />
Dasheißt, die Lage ist aus Ihrer Sicht<br />
heute so exorbitant anders, dass man<br />
mit Begriffen operieren kann, die vor<br />
zehn Jahren noch unter Sozialismusverdacht<br />
fielen.<br />
Siefielen vorzehn Jahren unter Sozialismusverdacht,<br />
vor60Jahren aber<br />
nicht. Denn wir haben verlernt, dass<br />
soziale Marktwirtschaft bedeutet: sozial<br />
gesteuerte Märkte zu haben. Und<br />
dass Eigentum auch Verpflichtung<br />
bedeutet. In einer Marktwirtschaft<br />
sollte das Leistungsprinzip gelten.<br />
Die großen Wohnungsgesellschaften<br />
profitieren aber gerade nicht von eigener<br />
Leistung, sondern davon, dass<br />
mehr Menschen in Städten leben<br />
wollen, und die Politik –wie in Berlin<br />
unter Rot-Rot –die öffentlichenWohnungen<br />
für Niedrigstpreise verscherbelt<br />
hat. Das wiederum führt dazu,<br />
dass sich manche Menschen Mieterhöhungen<br />
von 50Euro nicht mehr<br />
leisten können, während die Deutsche<br />
Wohnen und Vonovia Gewinne<br />
in Milliardenhöhe ausweisen. Da<br />
muss die Politik wach werden.<br />
ZUR PERSON<br />
BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK<br />
RobertHabeck, geboren 1969 in Lübeck, studierte Philosophie, Germanistik und Philologie<br />
und wurde im Jahr 2000 promoviert. Seit 2002 ist er Grünen-Mitglied. In Schleswig-Holstein<br />
war Habeck stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister.Seit dem 27. Januar<br />
2018 ist er Bundesvorsitzender der Grünen (mit Annalena Baerbock).<br />
FDP-Chef Christian Lindner sagt, Ihr<br />
Enteignungsvorstoß sei „brandgefährliche<br />
Klassenkampfrhetorik“. Andere,<br />
etwa Winfried Kretschmann, sagen,<br />
bei Enteignungen würden gigantische<br />
Entschädigungen fällig, sie brächten<br />
aber keine neuenWohnungen.<br />
Wenn man Debatten wie Christian<br />
Lindner ideologisch führt, kommt<br />
man in der Sache nicht weiter. Ich<br />
verweise dagegen auf den Oberbürgermeister<br />
von Tübingen, Boris Palmer,der<br />
in diesem Punkt so denkt wie<br />
ich und entsprechend agiert. In Tübingen<br />
ist die Dimension anders,weil<br />
es nur um einzelne Grundstücke<br />
geht. Es ist in der Logik aber das Gleiche.<br />
Ergreift ins Eigentumsrecht ein.<br />
Im Übrigen geht es gar nicht um normalen<br />
Privatwohnungsbesitz. Es geht<br />
einzig und allein um große, häufig<br />
börsennotierte Unternehmen, und<br />
nur wenn diese nicht anders zu sozialerem<br />
Verhalten gebracht werden<br />
können. Also als letztes Mittel.<br />
Haben Sienoch andereIdeen, um der<br />
Wohnungsnot zu begegnen?<br />
Wohnungseigentümer, die sich<br />
verpflichten, Wohnraum für Menschen<br />
mit niedrigem Einkommen zu<br />
schaffen, sollten gefördert werden.<br />
Regionale Mietobergrenzen oder ein<br />
Moratorium bei Mieterhöhungen<br />
würden die Mietenexplosion stoppen.<br />
Wir brauchen außerdem mehr<br />
Transparenz, wem Wohnungen eigentlich<br />
gehören. Denn in den Immobiliensektor<br />
ist viel illegales Geld<br />
geflossen. Um eine ArtSchwarzmarkt<br />
beim Wohnungsverkauf zu verhindern,<br />
brauchen wir ein einsehbares<br />
Register, welcher Eigentümer sich<br />
hinter der anonymen Gesellschaft,<br />
die im Grundbuch steht, wirklich verbirgt.<br />
Undschließlich leben zum Beispiel<br />
viele alte Leute in zu großen<br />
Wohnungen, die sie nur deshalb<br />
nicht verlassen, weil eine kleinere<br />
Wohnung bei einer Neuvermietung<br />
teurer wäre. Wie wäre esdenn, wenn<br />
die Rentnerin ihren Mietvertrag mit<br />
der jungen Familie tauschen und<br />
man in den Mietvertrag eines anderen<br />
eintreten könnte? Auch dann<br />
hätte man eine enorme Bremswirkung<br />
bei Mietpreissteigerungen. Das<br />
ist überdies eine Idee,die sehr nah an<br />
der Lebenswelt von Menschen ist<br />
und den Gemeinsinn stärkt.<br />
Unterm Strich sagen Sie: Weil Wohnungen<br />
ein besonderes Gutsind, können<br />
nicht die vollen marktwirtschaftlichen<br />
Regeln gelten.<br />
Ohne politischen Rahmen können<br />
die nirgends gelten, weil dann irgendwann<br />
kein Marktmehr existiert,<br />
sondern Wildwest und Anarchie.<br />
Was wir vorschlagen, ist auf der<br />
Ebene von Ludwig Erhard, Konrad<br />
Adenauer und Theodor Heuss bürgerlich<br />
im besten Sinne. ImGrundgesetz<br />
steht: „Eigentum verpflichtet.“<br />
Daswieder einzufordern, ist soziale<br />
Marktwirtschaft.<br />
DasGespräch führte Markus Decker.<br />
Umstrittene<br />
Waffengeschäfte<br />
©GEPA-pictures<br />
Ein türkisch-russischer Militärdeal erzürnt die USA<br />
VonFrank Nordhausen<br />
ImStreit um den Erwerb des russischen<br />
S-400-Raketenabwehrsystems<br />
riskiertdie Türkei eine schwere<br />
Krise mit den USA und der Nato.<br />
Während der türkische Staatspräsident<br />
Recep Tayyip Erdogan das umstrittene<br />
Waffengeschäft mit Russland<br />
weiterhin strikt verteidigt, erhöht<br />
Washington den Druck auf den<br />
Nato-Partner. Führende US-Senatoren<br />
drohten der Türkei diese Woche<br />
in einem beispiellosen Appell mit<br />
wirtschaftlichen Sanktionen, sollte<br />
das Land an dem Deal festhalten.<br />
„Das ist unser Souveränitätsrecht.<br />
Niemand kann<br />
verlangen, dass wir<br />
darauf verzichten.“<br />
Recep Tayyip Erdogan,<br />
Präsident der Türkei<br />
Zugleich wurde im US-Senat ein<br />
Gesetz eingebracht, das Visa-Sperren<br />
und das Einfrieren von Vermögenswerten<br />
türkischer Staatsfunktionäre<br />
vorsieht, die „für unrechtmäßige<br />
Festnahmen von US-Bürgern<br />
und -Angestellten verantwortlich“<br />
seien. Unterdessen meldeten türkische<br />
Medien, dass Ankara erwäge,<br />
außer den für umgerechnet 2,2 Milliarden<br />
Euro bereits bestellten Einheiten<br />
des Waffensystems noch weitere<br />
vonMoskau zu kaufen.<br />
DieUSA halten den gleichzeitigen<br />
Erwerb und Betrieb des amerikanischen<br />
Tarnkappenflugzeugs F-35 für<br />
unvereinbar. Sie sind besorgt, dass<br />
Russland bei einem Einsatz der hochmodernen<br />
S-400-Raketenabwehr in<br />
der Türkei geheime technische Daten<br />
der Nato-Flugzeuge erhält und erfährt,<br />
wie man diese erkennen, verfol-<br />
gen und abschießen kann. DieTürkei<br />
müsse sich daher zwischen dem US-<br />
Kampfjet und dem mit Nato-Anlagen<br />
inkompatiblen russischen S-400-System<br />
entscheiden, schrieben vier Senatoren<br />
beider Kongressparteien in<br />
einem am Dienstag veröffentlichten<br />
Gastbeitrag für die New York Times.<br />
„Sie wirdnicht beides bekommen.“<br />
Die Unterzeichner Jim Inhofe<br />
und Jim Risch sind die republikanischen<br />
Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses<br />
und des Auswärtigen<br />
Ausschusses im Senat, Jack<br />
Reed und Bob Menendez die hochrangigsten<br />
Demokraten in den beiden<br />
Gremien. „Sanktionen werden<br />
die türkische Wirtschaft schwer treffen“,<br />
warnen sie. Das Pentagon hat<br />
bereits die Abnahme türkischer Produktionskomponenten<br />
ausgesetzt<br />
und die geplante Auslieferung von<br />
drei F-35-Maschinen der Firma<br />
Lockheed an Ankaragestoppt.<br />
Nachdem Erdogan auf einem<br />
Moskau-Besuch am Montag erklärt<br />
hatte, der Kauf der vier S-400-Abwehrsysteme<br />
sei ein „abgeschlossener<br />
Deal, wir sind jetzt bei der Lieferung“,<br />
zitierten ihn türkische <strong>Zeitung</strong>en<br />
inzwischen mit den Worten, er<br />
erwäge sogar, den für Juli geplanten<br />
Transportder Waffen vorzuziehen.<br />
Tatsächlich würde der Kauf des<br />
Raketenabwehrsystems den Beginn<br />
einer strategischen Militärpartnerschaft<br />
der Türkei mit Russland bedeuten<br />
und sogar die US-Flugzeuge<br />
bedrohen, die vonder Nato-Luftwaffenbasis<br />
Incirlik in der Türkei starten,<br />
was Washington aufs Höchste<br />
alarmiert. Die Türkei steckt in einer<br />
Zwickmühle: Falls sie sich in letzter<br />
Minute doch noch aus dem Geschäft<br />
zurückzieht, werden erhebliche<br />
Kompensationszahlungen an Moskau<br />
fällig. Erdogan würde damit<br />
auch riskieren, dass der Kreml die<br />
nur aufgeschobene Bombardierung<br />
Türkei-naher Dschihadisten in der<br />
syrischen Provinz Idlib beginnt.<br />
Noch scheint es, als ob alle Seiten<br />
darauf setzen, dass ihr Gegenüber<br />
blufft –das aber könnte sich als gefährlicher<br />
Fehler erweisen.<br />
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