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13./14. APRIL 2019 5<br />
Friederikeund<br />
Lena bei ihrer<br />
Hochzeit im<br />
vergangenen Jahr.<br />
Ein Foto, auf dem<br />
sie beide zu<br />
erkennen sind,<br />
wollten sie lieber<br />
nicht in der <strong>Zeitung</strong><br />
sehen, und auch<br />
nicht ihre<br />
Nachnamen.<br />
PRIVAT<br />
aufgrund der immensen Kosten,die bei der<br />
sogenannten „heterologen Insemination“,<br />
also dem Verfahren der künstlichen Befruchtung<br />
durch Samenspende anfallen,<br />
häufig Anfragen von lesbischen Paaren kämen.<br />
Man dürfe allerdings lesbische Paare<br />
mit Kinderwunsch, die auf eine Samenspende<br />
zurückgreifen wollen, schlichtweg<br />
nicht unterstützen, das sei vom Gesetzgebersogeregelt.<br />
Als Lena im Winter die vomFamilienministerium<br />
betriebene Internetseite Informationsportal<br />
Kinderwunsch besucht,<br />
platzt ihrder Kragen.Sie stellt eine Anfrage<br />
an die Familienministerin Franziska Giffey:<br />
„Wie ist es möglich, dass ein Bundesministerium<br />
für Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend eine Internetseite betreibt, die<br />
sehr ausführlich über Kinderlosigkeit und<br />
Kinderwunschbehandlungen informiert,<br />
sich ausschließlich an heterosexuelle Paare<br />
richtet?“<br />
Der Kinderwunsch homosexueller<br />
Paare wird auf der Internetseite ausgeklammert–und<br />
somit auch die Lebenswirklichkeit<br />
vieler Menschen in Deutschland. Bei<br />
der Fragenachdem Beziehungsstatus gibt es<br />
drei Möglichkeiten: „Verheiratete heterosexuelle<br />
Paare“, „Unverheiratete heterosexuelle<br />
Paare“ und„Alle anderen“. Klickt man<br />
auf „Alle anderen“ in Bezug auf die Frage<br />
nach finanzieller Unterstützung, so gelangt<br />
man zu diesem Satz: „Es wird leider<br />
keine finanzielle Förderung gewährt, weil<br />
diese in Berlin nur anverheiratete und unverheiratete<br />
heterosexuelle Paarevergeben<br />
wird.“ Im Übrigen auch in allen anderen<br />
Bundesländern.<br />
Lena möchte wissen: Warum ist das so?<br />
Warum erhalten lesbische Paare keine Unterstützung?<br />
Warum sind Behandlungen,<br />
bei denenKinder durch Spendersamen entstehen,<br />
nicht genauso förderwürdig?<br />
Die Antwort des Familienministeriums<br />
erfolgt einen Monat später und gibt in trockener<br />
Paragrafensprache die Bestimmungen<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
wieder, wie sie im Fünften Buch Sozialgesetzbuch<br />
aufgeführt sind. Demnach dürfen<br />
sich die gesetzlichen Krankenkassen nur<br />
dann an den Behandlungs- und Medikamentenkosten<br />
beteiligen, wenn erstens das<br />
Paar verheiratet ist, zweitens das Paar ein<br />
bestimmtes Alter nicht überschritten hat<br />
und drittens ausschließlich Ei- und Samenzellen<br />
der Ehegatten verwendet werden.<br />
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen<br />
bei heterosexuellen Paaren, die<br />
diese Voraussetzungen erfüllen, 50 Prozent<br />
der Behandlungs- und Medikamentenkosten<br />
für drei Versuche.Darüber hinaus gibt es<br />
Förderungen durch einzelne Bundesländer,<br />
die sich aber nicht auf die Insemination beziehen,<br />
sondernauf die In-vitro-Fertilisation<br />
oder die aufwendigere Intrazytoplasmatische<br />
Spermieninjektion, kurz ICSI-Behandlung.<br />
Beide Verfahrensind um einiges teurer<br />
als die klassische Insemination. Der erste<br />
Versuch der IVF kostet etwa 4000 Euro, der<br />
ersteVersuch der ICSI um die 5600 Euro.<br />
EinGesetzesentwurfder Grünen aus dem<br />
Jahr 2016, der Lesben sowie unverheiratete<br />
PaarebeimZugangzur künstlichen Befruchtung<br />
mit verheirateten Heterosexuellen<br />
gleichstellen sollte, wurde von der großen<br />
Koalition abgelehnt.<br />
„Warum ist denn unser Kinderwunsch<br />
weniger förder-oderunterstützenswürdig<br />
als der Kinderwunsch heterosexueller<br />
Paare?“, fragen Lena und Friederike. Bis<br />
heute haben sie umdie zehntausend Euro<br />
ausgegeben. Der Betrag bezieht sich auf<br />
einen Zeitraum von etwa einem Jahr, in<br />
dem sie nicht nur Geld, sondern auch<br />
Hoffnung und jede Menge Nerven verloren<br />
haben. Das alles nagt an der Psyche.<br />
Es gibt Zeiten, in denen es schwierig ist,<br />
den Alltag so locker zu meistern, wie sie es<br />
vorher taten. Lena arbeitet in einem Universitätsbüro,<br />
Friederike ist Erzieherin,<br />
das Geldist ohnehin knapp.Die beiden leben<br />
sparsam für ihren großen Traum, der<br />
in den Ohren der meisten Menschen doch<br />
so bescheiden klingt: ein Kind zu haben,<br />
zu lieben, gleichberechtigte Elternteile<br />
„Wie ist es möglich, dass ein Bundesministerium für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Internetseite<br />
betreibt, die sehr ausführlich über Kinderlosigkeit und<br />
Kinderwunschbehandlungen informiert, sich<br />
ausschließlich an heterosexuelle Paare richtet?“<br />
Aus dem Brief Friederikes und Lenas an das Familienministerium<br />
und darüber hinaus als Familie ein ganz<br />
normaler Teil einer Gesellschaft zu sein.<br />
Innerhalb des kleinen Kosmos, in dem<br />
Friederike und Lena leben, sei alles liebevoll,<br />
aufrecht und klar, sagen sie. Die beiden haben<br />
ähnliche Vorstellungen, Ziele und eine<br />
eindeutige Definition von Glück. Aber dann<br />
sitzen sie in Beratungsgesprächen, sind intimsten<br />
Fragen zu ihrem Privatleben ausgesetzt,<br />
müssen ihre Elterntauglichkeit beweisen<br />
und fühlen sich plötzlich doch wie Menschen<br />
zweiter Klasse. Ein Gefühl, das sie aus<br />
ihrem alltäglichen Leben schlichtweg nicht<br />
kennen.<br />
„Es kam ein Brief vonder Kinderwunschklinik,<br />
der uns die psychosoziale Beratung<br />
bei geplanter Familiengründung bescheinigte.Esfühlte<br />
sich so an, als hätten wir den<br />
Eignungstest bestanden“, sagt Friederike<br />
kleinlaut. Seither sind sie in einen Prozess<br />
aus Hormonbehandlung, Inseminationen,<br />
immer wieder Wartezeit und Sorgen geraten.<br />
Washinzu kommt und worüber Lena und<br />
Friederike oft sprechen, ist das spätere Verfahren<br />
der Stiefkindadoption. Hat das lesbische<br />
Paar die zahllosen Hürden genommen<br />
und ist das Kind schließlich da, so ist die sogenannte<br />
Co-Mutter dazu verpflichtet, das<br />
Kind zu adoptieren, wenn sie die gleichen<br />
Rechte wie die leibliche Mutter besitzen will,<br />
während bei heterosexuellen Paaren automatisch<br />
der Ehemann der Frau als leiblicher<br />
Vater gilt und keine weiteren Schritte unternehmen<br />
muss. Die Stiefkindadoption allerdings<br />
kann sich bis zu drei Jahrehinziehen –<br />
Jahre, in denen die Co-Mutter keinerlei<br />
Rechte hat.<br />
2018 bringen die Grünen erneut einen<br />
Gesetzesentwurf ein, mit dem die abstammungsrechtlichen<br />
Regelungen an die Einführung<br />
gleichgeschlechtlicher Ehen angepasst<br />
werden sollen. Hierzu wird die sogenannte<br />
gesetzliche Fiktion, wonach der Ehemann<br />
der Mutter automatisch der zweite<br />
rechtliche Elternteil des Kindes ist, auf die<br />
Ehefrau der Mutter erweitert. Damitbekommen<br />
alle Kinder,die in eine Ehe hineingeborenwerden,von<br />
Geburtanzweigesetzlich in<br />
Verantwortung stehende Elternteile. Darüber<br />
hinaus eröffnet die Regelung die Möglichkeit<br />
der Mutterschaftsanerkennung analog<br />
zur Vaterschaftsanerkennung. So sollen<br />
Kinder, die in eine lesbische Partnerschaft<br />
hineingeboren werden, mit solchen, die in<br />
eine heterosexuelle Partnerschaft hineingeboren<br />
werden, im Abstammungsrecht<br />
gleichgestellt werden.<br />
Vorwenigen Wochen,am18. März, wurde<br />
der Gesetzesentwurf zur Anpassung des Abstammungsrechts<br />
von Bündnis 90/ Die Grünen<br />
in einer öffentlichen Anhörung des<br />
Rechtsausschusses diskutiert, mit besonderer<br />
Berücksichtigung des Modells „Mutter-Mutter-Kind“.<br />
Die Fragen der Abgeordneten betrafen<br />
vor allem mögliche Auswirkungen der<br />
vorgesehenen Änderungen auf die Rolle der<br />
biologischen Väter, die Unterschiede zwischen<br />
Abstammungs- und Adoptionsrecht<br />
undWeiterentwicklungen dieser Regelungen<br />
sowie die Möglichkeiten, eine Elternschaft<br />
anzufechten. DerGroßteil derSachverständigen<br />
war sich über die Notwendigkeit einer<br />
Modernisierung des Abstammungsrechts im<br />
Zuge der eingeführten Ehe für alle einig. Es<br />
gab aber auch Kritik an einer Abweichung von<br />
Prinzipien des geltenden Abstammungsrechts.Sosprachsich<br />
beispielsweise der Bundesverein<br />
Väteraufbruch für Kinder gegen<br />
den Entwurf aus. Ein Kind könne biologisch<br />
nur voneinem Mann und einer Frau abstammen,<br />
die genetische Abstammung müsse daher<br />
Grundsatz im Abstammungsrecht sein.<br />
Zudem seien Kinder Träger eigener Rechte<br />
und nicht das Zuordnungsobjekt von Bedürfnissen<br />
Erwachsener.<br />
Bundesjustizministerin Katarina Barley<br />
(SPD) hat außerdem einen „Diskussionsteilentwurf“<br />
des BMJV für eine Reform des Abstammungsrechts<br />
vorgestellt, auf den in der<br />
Anhörung verwiesen wurde. Darin heißt es:<br />
„Ziel ist ein Abstammungsrecht, das für herkömmliche<br />
und neuere Familienkonstellationen<br />
unter Berücksichtigung der modernen<br />
Fortpflanzungsmedizin ein angemessenes<br />
Regelungsgefüge bereithält.“ Kommt<br />
jetzt etwas in Bewegung?<br />
Ein paar Wochen nach dem Gespräch,<br />
ein Besuch in dem Kinderladen, in dem<br />
Friederike arbeitet. Gibt es Neuigkeiten?<br />
Friederike schüttelt zaghaft den Kopf, leider<br />
nein. Auch die letzte Insemination<br />
war erfolglos. Ein Mädchen setzt sich auf<br />
Friederikes Schoß, „liest du mir was vor?“.<br />
Sofort ist sie von einer Schar Kinder umringt.<br />
Manchmal fragt sie sich, wie es sein<br />
wird, wenn diese Kinder groß sind. Ob es<br />
für sie normal sein wird, dass zwei Frauen<br />
nicht nur heiraten, sondern auch ein Kind<br />
bekommen können. Fünf Versuche,<br />
schwanger zu werden, hat Friederike bis<br />
jetzt hinter sich. Der nächste ist in Vorbereitung.<br />
Anne-Kathrin Heier,zweifache Mutter,<br />
hätte einen Eignungstest wohl<br />
nicht bestanden. Zu viel Prüfungsangst