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13./14. APRIL 2019 3<br />
Geschichten, die ich erlebt habe<br />
von Erfahrungen, die er als Jugendlicher im Zuchthaus gemacht hat. Ein Gespräch über die Kunst der Beobachtung<br />
Interview: Frank Junghänel<br />
Nein, das hatte unmittelbar mit dem Mauerbau zu tun.<br />
Als die Grenze noch offen war, habe ich damals sehr begehrte<br />
Spiegelreflexkameras im Osten gekauft und im<br />
Westen verkauft, dann das Geld zur Wechselstube gebracht,<br />
eins zu drei getauscht. Ichdachte,dubist ein Geschäftsmann,<br />
du bist gut. Ich wusste, dass es illegal war,<br />
aber der Leichtsinn der Jugend eben. Ichwar siebzehneinhalb.<br />
Dann kam der 13. August, ich erinnere mich noch,<br />
als wäre esgestern gewesen. Sonntagmorgen, Frühstück<br />
bei meiner Mutter in Cottbus, imRias die Berichte vom<br />
Potsdamer Platz. Ichwusste sofort, mein Geschäftsmodell<br />
ist tot.<br />
Und deshalb wollten Sie weg? Das hieß ja, sein Leben<br />
zu riskieren.<br />
Wir saßen in den Tagen nach dem Mauerbau so<br />
rum, meine Kumpels und ich. Einer von uns war vorher<br />
aus dem Westen rübergekommen, weil er da so<br />
viele Alimente zahlen musste. Jetzt die Mauer,<br />
scheiße, wie komme ich zurück, sagte er. Sein Onkel<br />
hätte in Prerow einen Fischkutter. Und so kamen wir<br />
auf die Idee, esüber die Ostsee zu probieren. Die anderen<br />
waren so Mitte zwanzig, in meinen Augen ältereHerrschaften.<br />
Aber gut, ich war dabei. Kurz bevor<br />
wir los sind, haben sie uns am Strand erwischt. Einer<br />
von uns hatte eine Verlobte, aber das lief nicht so<br />
richtig, und er wollte ohne sie weg. Siewusste über alles<br />
Bescheid, hatte noch die dänischen Fahnen für<br />
uns genäht. Der Plan war ja, unter dänischer Flagge<br />
zu fahren. Kurz und gut, die Verlobte kam dahinter,<br />
dass er ohne sie weg wollte, und war dann dermaßen<br />
wütend, dass sie zur Polizei gegangen ist. Und sohaben<br />
sie uns gegriffen.<br />
Siemüssen die Frau gehasst haben.<br />
Ichhabe sie verstanden! Dieser Mann hatte ihreLiebe<br />
verraten. Eingroßes Drama.<br />
Kann man sich diesen poetischen Blick leisten, wenn man<br />
in den Knast kommt?<br />
Siehat so viel für uns gemacht. Stellen Siesich vor, wir<br />
hätten es geschafft, dann wäre sie dran gewesen, als Mitwisserin.<br />
So lief das.<br />
Solch ein Großmut, trotz der harten Strafe?<br />
Das hat mit Großmut nichts zu tun! Ich habe einen<br />
Trick gefunden in meinem Leben, wie ich diese ganzeGeschichte<br />
nicht als Strafe empfinden muss.Ich habe sie für<br />
mich genutzt. Eine Strafe wäre esgewesen, wenn ich bis<br />
heute darunter leiden müsste.Ich habe im Zuchthaus immer<br />
und überall genau hingeguckt und zugehört. Ichhabe<br />
das alles in den Fundus meiner Erlebnisse aufgenommen.<br />
Davonkann ich als Schauspieler profitieren.<br />
Dasheißt aber auch, dass Siedas nicht loswerden.<br />
Es ist wie eine trübe Erinnerung. Ich wusste, wenn es<br />
schiefgeht, bin ich eineWeile weg. Undesging schief.<br />
Diese Sicht ist heute schwer zu vermitteln. Siehaben ja kein<br />
Verbrechen begangen.<br />
Ich brauche keinen Vermittler. Maxim Gorki hat geschrieben,<br />
seine Universitäten seien die Geschichten der<br />
Landstraße gewesen. Meine Universitäten sind all die Geschichten,<br />
die ich erlebt habe,imKnast und danach.<br />
Wie lange haben Sie gesessen? Auf „Versuchte Republikflucht“,<br />
wie es damals hieß, standen mindestens zwei Jahre.<br />
Ich wurde nach meiner Verhaftung in Rostock in den<br />
Ulbricht-Express gesetzt.<br />
Waswar der Ulbricht-Express?<br />
Ein umgebauter Eisenbahnwaggon, der an einen normalen<br />
Zugangehängt wurde.Von außen sah er aus wie ein<br />
Postwagen, innen gab es lauter Einzelzellen. Derfuhr von<br />
Rostock durch die halbe DDR und machte überall Station.<br />
In Cottbus haben sie mich rausgeholt. Ichbin dortins Untersuchungsgefängnis<br />
im Zuchthaus Cottbus gekommen.<br />
DerStaatsanwalt forderte zweieinhalb Jahreinder Anklageschrift,<br />
die ich erst nach einem halben Jahr bekam. Mein<br />
Anwalt legte Widerspruch ein, da ich zur Zeit des Fluchtversuchs<br />
siebzehneinhalb war, also noch unter das Jugendstrafrecht<br />
fiel. Gegen den Verzicht auf Rechtsansprüche<br />
haben sie mich nach Anrechnung der U-Haft entlassen.Voneinem<br />
Tagauf den anderen. Da stand ich nun vor<br />
dem Tor... Ich erinnere mich noch genau daran, wie mir<br />
schwindlig wurde.Ich musste mich an einem Baum festhalten.<br />
Wirhatten zu viertineiner Einmannzelle aus Kaiser<br />
Wilhelms Zeiten gesessen und auf einmal diese Weite.<br />
So,mehr erzähle ich nicht.<br />
Am schönsten Arbeitsplatz der Welt: UweKockisch bei einer Drehpause in Venedig.<br />
T&T/ZOEST<br />
Nurnoch bitte, wie Siezur Schauspielerei gekommen sind.<br />
Nach meiner Entlassung musste ich mir eine Arbeit suchen,<br />
mit vielen Umwegen bin ich am Theater Cottbus gelandet.<br />
Dort war ich Nachtpförtner und Hilfsgarderobier.<br />
Ichbin dann während der Proben in den Rang hoch, wo<br />
mich keiner bemerkt hat und habe den Schauspielernauf<br />
der Bühne zugesehen. So fing alles an.