<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 87 · 1 3./14. April 2019 – S eite 32 ························································································································································································································································································· Panorama LEUTE Seine Heiligkeit,der Dalai Lama (83) eröffnet heute unseren Reigen alter, malad-vitaler Männer.Und los geht’s: Dasreligiöse Oberhaupt der Tibeter ist am Freitag aus einer Privatklinik in NeuDelhi entlassen worden, in die er sich wegen einer leichten Lungenentzündung am Dienstag begeben hatte. Er fühle sich„vollständig geheilt“, ließ der Dalai Lama mitteilen, bleibe aber noch in der indischen Hauptstadt, ehe er an seinen Exilsitz im nordindischen Dharamsala zurückkehrt. Mick Jagger (75) meldet sich nach seinem Krankenhausaufenthalt mit einem Foto bei seinen Fans.Auf Instagram und Twitter zeigte sich der Frontmann der Rolling Stones,dem vergangeneWoche eine Herzklappe eingesetzt werden musste,wieder in guterVerfassung: Lässig, leicht lächelnd steht er vorblühenden Büschen, locker mit Kappe,Hemd, Jeans und Sneakers.„EinSpaziergang im Park“, schrieb Jagger dazu. Günter Wallraff (76) hat sich bei einem Sturzmit dem Fahrrad schwer verletzt.„Ich bin noch in der Klinik, das dauertalles noch“, erklärte der Journalist und Schriftsteller am Freitag. Er habe einen komplizierten Trümmerbruch im Oberschenkel sowie Kopfverletzungen erlitten und sei vier Stunden lang operiertworden. Mit dem Rollstuhl unterwegs AFP/JAMIE MCCARTHY Elton John (72) ist gerade schlecht zu Fuß. Aber sein Bewegungsdrang ist ungebrochen: „Nicht mal ein verstauchter Knöchel konnte mich davon abhalten, eines der schönsten Museen der Welt zu sehen“, schrieb der britische Musiker auf Instagram. Dazu postete er ein Foto,auf dem er mit einem Trainingsanzug bekleidet im Rollstuhl sitzt und einen Schmollmund zieht – es wurde im Kunstmuseum Uffizien in Florenz aufgenommen. DirkNowitzki (40) hat soeben seine Karriereals Hochleistungssportler beendet. Jetzt möchte der Basketball-Superstar in Würde altern: „Ein bisschen Tennis spielen, ein bisschen Wein trinken und die Seele mal baumeln lassen.“ (schl./mit dpa) TIERE Arbeiter im Weinberg: Ouessantschafe in der Champagne. AFP Rasenmäher? Nicht doch. Diestinken entweder oder verbrauchen Strom, und sonn- und feiertags sind sie gar nicht erst einsetzbar.Anders das Ouessantschaf: Es blökt zwar recht vernehmlich, hat aber dafür eine äußerst positiveKlimabilanz. Obendrein ist es hübsch kompakt und recht anspruchslos,was Futter und Unterbringung angeht. Brav wirdalles abgegrast, was dem Gärtner nicht behagt. Neuerdings sieht man die kleinste Schafrasse Europas auch immer häufiger in Weinbergen, wo sie auf den engen Flächen zwischen den Rebstöcken prima durchkommt und das Unkraut in Schach hält. Pestizide,Adieu! (avo.) Artus-Sage: Ein nie versiegender Quell für Kostümschinken, Ritterfestspiele, Männermythen und Schlossführungen ist die Sage um den wackeren König Artus, der Britannien vor den Invasoren beschützt hat und um 500 nach Christus gelebt haben soll. Brexit steht nicht einfach nur für den Austritt der Briten aus der EU, inzwischen steht der Begriff auch für großes Theater im besten Shakespeare'schen Sinne. Drama, Baby, Drama! Rein, raus, sofort, ach nein, doch nicht, warte, ich bleibe noch …Das soll irgendwann vorbei sein? Nicht doch! Charles und Camilla sind so etwas wie Marianne und Michael des englischen Königshauses –jeder kennt sie, kaum einer mag sie. Der Thronfolger, der wohl den Thron nie besteigen wird, fiel bei seinem Volk in Ungnade, nachdem seine außereheliche Affäre mit Camilla Parker Bowles bekannt wurde, die Charles 2005 heiratete. Diana, Königin der Herzen und ebenfalls nie versiegende Quelle des britischen Devotionalien- Handels, brachte frischen Wind ins britische Königshaus und bescherte ihm seine größte Krise seit der Affäre umEdwardVIII. und Wallis Simpson. Die Ex- Frau von Prinz Charles kam 1997 ums Leben. Eliteschulen in England, sie sind wie geschaffen für Kinder aus gutem Hause.Klangvolle Namen wie Eton, Harrow und Winchester lassen auch deutsche Elternherzen höher schlagen. Hier gibt es endlich den ersehnten Feinschliff für den Nachwuchs, dazu Schuluniformen, Ruderregatten und ein bisschen Hogwarts-Feeling. Das darf dann auch ruhig was kosten. Fettige Fish and Chips, bis die Fritteuse qualmt. Hier kommt dasYin undYang der britischen Küche: Panadenkrosser Kabeljau trifft auf pappigweiche Kartoffelstäbchen. Zusammengezwungen wird der wabbelharte Mixdurch einen ordentlichen Schuss Malzessig – den Ketchup der Engländer (sieheV). Guinness bleibt selbst einer Biertrinker-Nation wie Deutschland herzlich fremd. Dasirische Dunkelbier indes mundet den Briten in all seinen Darreichungsformen von Draught über Stout bis Redund Lager.Den meisten Alkohol hat Guinness Foreign Extra mit bis zu 8,8 Umdrehungen. Prost! Humor der allerfeinsten Sorte, auch dafür steht England. Unverblümte Direktheit gepaartmit Absurdität und Understatement, perfektioniert von der Komikertruppe Monty Python: Zur Tür raus, jeder nur ein Kreuz, linke Reihe anstellen! Irland, das heißt die Republik Irland, und das zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland verband lange Zeit ein brutaler Konflikt: irische Loyalisten gegen nordirische Royalisten. An der inneririschen Grenze wohnt seit jeher der Geist der Zwietracht …Erhört neuerdings auf den geheimnisvollen Namen Backstop und ist der wahre Grund fürs Brexit-Kuddelmuddel. Jugendkulturen Großbritanniens haben die Pop-Welt jahrzehntelang geprägt. Skinheads, Mods, Punks, New Wave, Gothic, New Romantic, Grebo und Brit-Pop bildeten die Blaupausen für Musik, Klamotten, Frisuren, Prügeleien und die richtige Haltung auf dem Schulhof. Kilt und Karos, sie sind der Inbegriff der Schottenkleidung. Ob der knielange Rock nun mit oder ohne Unterhose getragen wird, bleibt dem Geschmack und dem Hygieneempfinden des Trägers überlassen. Jedenfalls muss er aufgrund der vielen Falten und der Stoffdicke auch ohne Buxe nicht frieren. Come back and stay! Noch einmal aufatmen –der Brexit ist verschoben, doch nicht aufgehoben. Dabei beschert uns Großbritannien seit jeher viel Freude, Orangenmarmelade, Teeund eine reizende Königin VonAnne Vorbringer,Christian Schlüter und Marcus Weingärtner London ist teuer und hat ein Riesenrad. Aber sonst? Diebritische Hauptstadt lieben wir vorallem für ihren Nebel. Auch wenn er den Zustand höchster Vollkommenheit –nämlich als sattes Kompositum aus Nebel, Rauch und sonstigem Schmutz –nur selten erreicht, so lehrt er uns wohliges Grauen. Manchester ist die Wiege des Kapitalismus in seiner industriellen Ausprägung. Der Begriff „Manchesterkapitalismus“ rührt daher und meint nichts Gutes: Friedrich Engels’ Schrift „Die IMAGO IMAGES (5) Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845) beschreibt das ganze Arbeiterelend dieser Stadt. Nessie, oh Nessie! Was wäre die Filmbranche ohne ihr liebstes Seeungeheuer? Preziosen wie„The Secret of the Loch“ (1934), „Nessie – das verrückteste Monster der Welt“ (1985), „Loch Ness –Die Brut aus der Tiefe“ (2001) und „Mein Freund, der Wasserdrache“ (2007) bleiben für die Ewigkeit. Orderrrr! John Bercow ist als Sprecher des britischen Unterhauses der mittlerweile fernsehberühmte Zeremonienmeister des Brexit-Spektakels. Erst durch den 56-jährigenTory-Politiker mit der Zauselfrisur und seinen unendlich variantenreichen „Order“-Rufen gewinnt der parlamentarische Streit sein theatralisches Format. Plumpudding ist eine britische Extremform des Serviettenkloßes und enthält traditionell Rindfleisch oder Hammel, Zwiebeln und getrocknete Früchte. Eine kulinarische Mutprobe ersten Ranges. Queen Elizabeth II. ist seit 1952 Oberhaupt des Vereinigten Königreichs und hat alle und alles überstanden: Kriege, Krisen, Kabinette.Die 1926 geborene Regentin erfreut sich mit zunehmendem Alter der stetig wachsenden Zuneigung ihresVolkes –ein Fels in der britischen Brandung. Rolls-Royce ist die britische Nobelmarke schlechthin, Inbegriff des automobilen Luxus. Besonders apart ist die „Bespoke“- Abteilung für individuelle Kundenwünsche: Sei es das Familienwappen im Lederpolster, ein spezieller Champagner-Kühler oder die passende Farbe zum Nagellack der Gattin. Nichts ist unmöglich! Shakespeare hat mit „Romeo und Julia“ unser Verständnis von Liebe mehr als nachhaltig geprägt.William Shakespeare(1564 – 1616) ist der bedeutendste englische Dramatiker und seine Werke zählen zu den bedeutendsten der Weltliteratur. Zudem sind seine Stücke die am häufigsten aufgeführten und verfilmten überhaupt. Teatime ist wohl das britische Ritual schlechthin und im Gegensatz zur englischen Küche eine köstliche Angelegenheit. Idealerweise zwischen 15.30 Uhrund 17 Uhr wird Tee getrunken, dazu gibt es Sandwiches und Teegebäck. Das Abendessen in der Unterschicht wirdtraditionell als High Tea bezeichnet, in der Oberschicht indes als Dinner. United Kingdom, oder wie Aristoteles zu sagen pflegte: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. UK, das sind nicht nur England,Wales,Schottland und Nordirland. Dassind auch Erinnerungen an eine große Seefahrernation, an Monarchen und Macht. Wasfür eine Geschichte! Vinegar ist mitnichten nur „saurer Wein“, wie das Wort ja nahegelegt, sondern kann in seiner geschmacklich herausforderndsten Version aus Ale gemacht sein, einem Bier aus gemälzter Gerste. Der würzige Geschmacksturbo verleiht auch dem fettigsten Klops noch britische Leichtigkeit. Wimbledon ist das deutsche Synonym für Boris Becker, eine fahle Erinnerung an eine juvenile Tennishysterie. Xhaka kommt eigentlich aus der Schweiz und heißt mit Vornamen Granit. Wie passend, spielt der 26-Jährige doch in der härtesten Liga der Welt, der Premier League. Im Mutterland des Fußballs wird echter Brutalo-Fußball gepflegt. Finanziell lukrativ, versteht sich: Gladbach bekam für Xhaka vom FCArsenal die Rekord- Ablöse von45Millionen Euro. YellowPress oder YellowJournalism ist als Begriff eigentlich amerikanischen Ursprungs, in England aber feiertdie Promi-notorische Sensationsberichterstattung die aggressivsten Blüten. Vordem jüngsten Gerücht ist hier niemand sicher. Zeitzone oder auch Greenwich Mean Time (GMT)ist die mittlere Sonnenzeit am Greenwicher Nullmeridian. Der Stadtteil Greenwich im Südosten Londons war der Ort, vondem aus in den Jahren 1884 bis 1928 die Weltzeit bestimmt wurde. 1972 wurde die GMT von der Koordinierten Weltzeit (UTC) abgelöst. NACHRICHTEN Lebenslange Haft für Freier wegen Prostituiertenmord Mehr als einVierteljahrhundertnach dem Mord an einer Prostituierten in Augsburgist ein Freier der Frau zu lebenslanger Haft verurteilt worden. DasLandgericht Augsburgerklärte den 50 Jahrealten Deutschen aufgrund vonIndizien für überführt. DerMann wurde außerdem wegen Vergewaltigung einer Bekannten verurteilt. DieProstituierte hatte Anfang der 90er-Jahreauf dem Augsburger Straßenstrich gearbeitet. In einer Nacht im September 1993 wurde sie erwürgt. DieLeiche wurde an einer Bahnlinie abgelegt. In den 90ernkonnte die Kripo den Fall trotz aufwendiger Ermittlungen nicht klären. Voreinigen Jahrennahm sich die Polizei den ungeklärten Mordfall nochmals vorund fand neue DNA-Spuren an der Kleidung des Opfers.Dies führte dann zu der Festnahme des nun Verurteilten. In dem Prozess schwieg er zu dem Mordvorwurf. (dpa) Vermeintlich tote Schlangen halten Feuerwehr in Atem Zwei vermeintlich tote Würgeschlangen haben im nordrheinwestfälischen KlevePolizei und Feuerwehr auf den Plan gerufen. Der Schlangenbesitzer hatte die beiden Reptilien für tot gehalten und in einem Garten begraben. Ein120 Zentimeter langer Python war bereits am Donnerstag in einem Gestrüpp entdeckt worden –das scheinbar tote Tier war jedoch lediglich in Kältestarreverfallen. Aufdem Behandlungstisch eines Tierarztes zeigte das wechselwarme Reptil wieder Lebenszeichen. Diezweite,etwa 80 Zentimeter lange Schlange blieb zunächst verschwunden. DieBehörden gingen davon aus,dass sich auch dieses Tier wegen der zurzeit vergleichsweise tiefen Temperaturen in einer Kältestarrebefindet. Polizei und Ordnungsamt baten die Bevölkerung um Hinweise auf den Verbleib der ungiftigen Schlange. (AFP) Polizei muss wegen Karotten im Essen ausrücken Wegen unerwünschter Karotten im Essen hat die Polizei im baden-württembergischen Lörrach zu einem Einsatz in einem Restaurant ausrücken müssen. EinGast habe wegen einer Allergie gegen das Gemüse sein bestelltes Gericht nicht essen und auch nicht bezahlen wollen, teilte die Polizei in FreiburgamFreitag mit. Er hatte demnach Hühnchen mit Reis und Gemüse bestellt. Im Gemüse erkannte der Gast allerdings die Karotten und verweigerte Verzehr und Bezahlung. EinAngestellter des Restaurants rief daraufhin die Polizei. Noch bevor die Beamten eintrafen, erklärte sich die Begleitung des Mannes dann dazu bereit, das Gericht zu essen. Es wurde im Anschluss auch bezahlt. (AFP) Fotografieren untermRock: Gesetz soll Frauen schützen WerFrauen unter den Rock fotografiert, muss künftig in England und Wales mit bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen.Verurteilte werden außerdem als Sexualstraftäter registriert.„Es gibt keine Entschuldigungen für diesesVerhalten und die Täter müssen die volle Härte des Gesetzes spüren“, so Justiz-Staatssekretärin Lucy Frazer.Die Opfer des sogenannten Upskirting waren 2018 nach Angaben der britischen Polizei sieben bis 70 Jahrealt. DieMotiveder Täter hätten vonDemütigung bis zu sexueller Befriedigung gereicht. (dpa)
MAGAZIN Ah, Venedig! VomZuchthaus Cottbus an den Canal Grande: Das bewegte Leben des Uwe Kockisch SEITEN 2/3 Der Staat im Ehebett „Heiraten dürft ihr,aber Kinder?“ Die Odyssee zweier Frauen, die offenbar Unerhörtes wollen – als lesbisches Paar eine Familie gründen Der lange Weg nach Westeros „Game of Thrones“ beschäftigt auch die Wissenschaft. Eine <strong>Berliner</strong> Professorin bietet in Harvard kulturgeschichtliche Seminare zur Serie an Jochen-Martin Gutsch hat das herrliche Husten Seite 10 Werschminkt das graue Berlin? Um in der Hauptstadt Kunst zu sehen, braucht man nicht ins Museum. Werwachen Auges durch die Straßen geht, entdeckt zwar keinen Banksy.Aber fast THOMAS &THOMAS/ZOEST SEITEN 4/5 SEITE 7 SEITE 10