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Bunte Salze, weiße Berge

Wachstum und Wandel der Kaliindustrie zwischen Thüringer Wald, Rhön und Vogelsberg

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Neubürger in Herfa<br />

„Das sprunghafte Ansteigen der Bevölkerungszahl [in Heringen-Herfa]<br />

war nur durch das Ansiedeln und Eingliedern des Flüchtlings- und Vertriebenenstroms<br />

aus der SBZ [Sowjetische Besatzungszone], aus den deutschen<br />

Ostgebieten und aus dem Sudetenland möglich. ... ‚Altbürger’ und<br />

‚Neubürger’ halten sich heute anteilsmäßig in der Gemeinde die Waage.<br />

Alteingesessene und Neueingegliederte besitzen gleiche Wohnstätten, Berufspositionen<br />

und Konsumgewohnheiten. Ebenfalls sind in Sitten, Gebräuchen<br />

und in der Lebensführung kaum noch Unterscheidungsmerkmale,<br />

die gruppenspezifisch zu nennen wären, zu beobachten. Die ‚Neubürger’<br />

eigneten sich weitgehend Sprache, Sitten, Gebräuche ihrer alteingesessenen<br />

Nachbarn an. Beibehalten und teilweise von den ‚Altbürgern’<br />

übernommen wurden Nahrungsspezialitäten, z.B. die der Ungarndeutschen<br />

und die der Sudentendeutschen.<br />

Eine unterschiedliche Einstufung in der sozialen Rangordnung des Dorfes<br />

aufgrund der Herkunft, wie sie noch Anfang der 50er Jahre häufig beobachtet<br />

werden konnte, ist nicht mehr festzustellen. Zur Zeit bestimmen<br />

andere Kriterien maßgebend den Platz in dieser Rangordnung. Die Gruppe<br />

der Heimatvertriebenen dürfte vermutlich nach dem Ableben der jetzigen<br />

Elterngeneration völlig in der einheimischen Bevölkerung aufgehen.“<br />

Aus: Schwarz, Theodor: Veränderung der Lebensform in Herfa, Kreis Hersfeld.<br />

Maschinenschrift, o.O. [Herfa] 1966, S. 13-14.<br />

Kleinensee – Bergarbeiterdorf an der Zonengrenze<br />

„Kleinensee hätte ... verdient, vom Schicksal etwas milder behandelt zu<br />

werden. Verkehrstechnisch liegt es nämlich denkbar ungünstig. Fast kreisrund<br />

ist es auf allen Seiten von der Zonengrenze umgeben. Nur eine Lücke<br />

ist offen geblieben, und durch diese hindurch hat man nach der Zonengrenzziehung<br />

schnell einen Waldweg zu einer festen Straße ausgebaut.<br />

Auch diese ist noch recht schmal, so daß man wohl auf die Hinweisschilder<br />

mit den Fahrzeiten des Autobusses acht geben muß. Die alten Grenzsteine<br />

zwischen Preußen und Sachsen-Weimar stehen nun einmal, und<br />

sie trennen, was in Generationen organisch zusammengewachsen war.<br />

Gleich hinter der Zonengrenze liegt Großensee. An der mächtigen Linde<br />

ist die Straße doppelt gesperrt. „Attention!“ Ein Verbotsschild für Kraftfahrzeuge.<br />

„Halt! 50 m Zonengrenze!“ Noch einmal ein Schild mit dem<br />

Hinweis „Halt. Zonengrenze“. Gleich viermal wird man gewarnt. ... Ebenso<br />

ist die Straße nach Dankmarshausen gesperrt. Früher gingen die Bergleute<br />

dorthin und fuhren mit dem Zuge nach Heringen. Fast alle haben Geschwister,<br />

Verwandte drüben wohnen. Hier spürt man so recht die Tragik<br />

der Trennung und den ganzen Widersinn eines geteilten Deutschlands.“<br />

Aus: Kleinensee – Bergarbeiterdorf an der Zonengrenze. In: Salz und Oel. Werkzeitschrift<br />

Wintershall AG. 11. Jg. H. 5, Kassel 1961, S. 20.<br />

1 Die nach 1945 mit Unterstützung des Kaliwerks erbaute<br />

Werratal-Schule in Heringen<br />

2 Heringen, Kaliwerk Wintershall: Weihnachtliche Betriebsversammlung<br />

unter Tage<br />

3 Heringen, Kaliwerk Wintershall: Eine [vor 1959] mit Unterstützung<br />

des Kaliwerks Wintershall neu errichtete Bergarbeitersiedlung<br />

in Heringen-Leimbach<br />

Das galt besonders vor dem I. Weltkrieg, aber auch<br />

nach dem II. Weltkrieg, als das Werratal Grenzgebiet,<br />

die Infrastruktur zerstört, die Mobilität sowie<br />

die Reisemöglichkeiten der Menschen stark eingeschränkt<br />

waren. Und es gilt für alt eingesessene<br />

Bewohner ebenso wie für die vielen Ostvertriebenen,<br />

die hier eine neue Heimat fanden.<br />

Aber auch umgekehrt haben die Menschen ihren<br />

Arbeitsplatz mitgestaltet und in Krisenzeiten um<br />

ihn gerungen. Einige Beispiele: Es waren vor allem<br />

Mitarbeiter des Werkes (und eine Gruppe flämischer<br />

Arbeiter, die während des Krieges in den<br />

Bergwerken zwangsverpflichtet gewesen waren), die<br />

am Ostermontag 1945 einen brennenden bzw. explodierenden<br />

Munitionszug aus der Muna Herfa-<br />

Neurode auf dem Heringer Bahnhof unter Einsatz<br />

ihres Lebens löschten und ein Übergreifen des<br />

Brandes auf weitere Fabrikanlagen und Wohnhäuser<br />

verhinderten.<br />

Mitarbeiter des Werkes widersetzten sich später erfolgreich<br />

der Flutung der Schachtanlage Herfa und<br />

der Sprengung der Leichtmetall-Anlage Heringen II<br />

durch amerikanische Soldaten. Herfa blieb erhalten<br />

(was manchen allzu Wagemutigen auch dazu verführte,<br />

in die Schächte einzusteigen und sich mit<br />

der begehrten Kartuschenseide und „Eisernen Rationen“<br />

zu versorgen), und in der Leichtmetallfabrik<br />

konnten noch lange Zeit dringend benötigte<br />

Haushaltsgegenstände hergestellt werden.<br />

Die totale Grenzschließung am 30. Mai 1952 zwang<br />

mehrere Hundert auf den Kaliwerken Beschäftigte<br />

aus dem thüringischen Grenzbereich dazu, ihre<br />

Arbeitsplätze aufzugeben oder über die Grenze zu<br />

gehen. Viele wählten die zweite Möglichkeit. In der<br />

Heringer Steinbergstraße entstanden in der Folge<br />

156 Flüchtlingswohnungen, im Volksmund wurde<br />

die Straße lange Zeit „Stalin-Allee“ genannt.<br />

Der Ausbau der Werratal-Schule Heringen zur integrierten<br />

Gesamtschule mit gymnasialem Zweig ist<br />

ein besonders gutes Beispiel für die gegenseitige<br />

Befruchtung und Unterstützung von Verwaltung,<br />

Werken und Bürgern. So konnte den Kindern im<br />

Werratal bald nach der Schließung der Grenzen 1945<br />

und dem Verlust des Zuganges zu den weiterführenden<br />

Schulen in Vacha und Gerstungen eine zur Hochschulreife<br />

führende Schule angeboten werden.

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