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INNERE TRANSFORMATION<br />
Und es gibt auch Belege dafür, dass in der Zeit, in der<br />
die Bibel geschrieben wurde, Meditation von einem<br />
großen Teil des israelischen Volkes praktiziert wurde.<br />
Doch ich erinnere mich noch genau, wie erstaunt<br />
und erhellt ich selbst war, als ich damals durch den<br />
Dialog der Rabbis Zalman Schachter-Shalomi und<br />
Jonathan Omer-Man mit dem Dalai Lama lernte,<br />
welch mächtige Werkzeuge zur inneren Transformation<br />
das Judentum eigentlich bietet. Ich denke,<br />
so wie mir, geht es vielen Juden: Obwohl die Sehnsucht<br />
und der Bedarf danach groß sind, ist das Wissen<br />
um die spirituellen und esoterischen Techniken<br />
des Judentums verloren gegangen. Kein Wunder also,<br />
dass sich viele Juden anderen fernöstlichen Praktiken<br />
wie Tantra oder Yoga oder auch dem Buddhismus<br />
zuwenden, bei dem etwa Meditationslehren jedem<br />
offen stehen.<br />
Welche Gründe sehen Sie für das (Ver-)Schwinden<br />
der spirituellen und esoterischen Techniken des Judentums?<br />
❙ In einer schnellen, modernen, säkularisierten Welt<br />
haben es Mindfulness, Achtsamkeit und Spiritualität<br />
insgesamt nicht leicht – obwohl sie als Gegengewicht<br />
umso wichtiger wären. Aber es liegt nicht nur<br />
daran: Auch die jüdische Aufklärung, die den Intellekt<br />
ansprechen wollte und Rationalismus auf Kosten<br />
anderer jüdischer Werte propagierte, hat sicher<br />
zum Verschwinden der jüdischen Mystik und speziell<br />
der Meditation beigetragen. Vor ungefähr 150 Jahren<br />
verschwanden einfach alle Bezüge darauf aus der<br />
jüdischen Mainstreamliteratur. Hinzu kommt auch<br />
noch, dass etwa Meditationstechniken oft geheim<br />
gehalten und nur von einer kleinen Elite praktiziert<br />
wurden. Nur wenigen war gestattet, in die Geheimnisse<br />
eingeweiht zu werden. Frauen war es zum Beispiel<br />
nicht erlaubt. Der Dalai Lama ermutigte uns<br />
übrigens zur Öffnung: „Wenn man zu viele Geheimnisse<br />
um etwas macht, dann wird die Tradition verschwinden“,<br />
sagte er.<br />
Wie und wo hat diese Öffnung inzwischen stattgefunden?<br />
RODGER KAMENETZ,<br />
geboren 1950 in Baltimore,<br />
hat Abschlüsse in Yale, Johns<br />
HopkinsundStanford.Ander<br />
LouisianaStateUniversitywar<br />
er Professor für Englisch und<br />
fürReligionswissenschaftund<br />
gründetedasMFA-Programm<br />
für kreatives Schreiben und<br />
das Nebenfach Judaistik. Er<br />
lebt heute in New Orleans.<br />
Kamenetz war Mitglied jener<br />
Gruppe jüdischer Gelehrter<br />
und Rabbiner, die<br />
1990 den 14. Dalai Lama<br />
in Dharamsala besuchten.<br />
Über seine Erlebnisse und Erfahrungendortberichteteder<br />
AutormehrererGedichtbände<br />
und Prosawerke in The Jew in<br />
theLotus,daszuminternationalen<br />
Bestseller wurde.<br />
rodgerkamenetz.com<br />
„Ich lasse<br />
meine ‚jüdische<br />
Seele‘ jeden<br />
Tag wachsen.<br />
Dank meiner<br />
Erfahrungen<br />
inIndienkann<br />
ich das heute<br />
überall tun.“<br />
❙ Inzwischen holt unter anderem die Jewish-Renewal-Bewegung<br />
diese uralten Traditionen wie etwa<br />
jüdische Meditation zurück in die Moderne und<br />
ins Leben und macht sie so für jeden zugänglich.<br />
Und das Internet und die Globalisierung erleichtern<br />
es natürlich, etwas über die esoterischen Geheimnisse<br />
des Judentums zu erfahren. Ich begrüße<br />
diesen Weg zur Spiritualität ohne Umwege über<br />
buddhistische Meditation oder hinduistisches<br />
Yoga. Wenn wir es schaffen, den Menschen die<br />
Schönheit, die Freude und die Tiefe des Judentums<br />
zu vermitteln, wenn wir ihnen etwas bieten,<br />
wo sie anknüpfen können und wollen, dann werden<br />
sie sich auch nicht etwas anderem zuwenden.<br />
Wie gehen Sie den spirituellen Pfad, den Sie vor<br />
fast 30 Jahre beschritten haben, heute und im<br />
Alltag weiter?<br />
❙ Meine Suche nach innerer Transformation wird<br />
nie abgeschlossen sein. Ich lasse meine „jüdische<br />
Seele“ jeden Tag wachsen. Dank meiner Erfahrungen<br />
in Indien kann ich das heute überall tun<br />
– in der Synagoge, in der Natur, zuhause ... Es<br />
ist dabei gar nicht so sehr die Ausübung meines<br />
Glaubens, die sich seit damals verändert hat.<br />
Ich zelebriere zum Beispiel den Sabbat-Abend<br />
mit meiner Familie noch genauso wie vor meiner<br />
Reise. Aber heute ist da mehr als nur die äußere<br />
Form, das reine Befolgen einer Reihe von traditionellen<br />
Handlungen. Wenn ich jetzt die Kerzen anzünde<br />
und der Segen über Brot und Wein gesprochen<br />
wird, geschieht das achtsam, mit Kawana.<br />
Indem ich mich etwa auf meinen Atem konzentriere,<br />
versuche, mich selbst körperlich, seelisch<br />
und geistig mit dem Geist des Sabbats zu verbinden.<br />
Es ist schön, dass ich unsere Gebete und Zeremonien<br />
inzwischen als Weg erleben kann und<br />
darf, um dieses friedvolle, zufriedene Gefühl des<br />
Feiertages noch zu vertiefen. Und ich kann jedem<br />
nur nahelegen, sich aufzumachen, den spirituellen<br />
Reichtum zu entdecken, der sich in unserer<br />
mystischen Tradition und der Thora verbirgt.<br />
Welch ein Gewinn!<br />
wına-magazin.at<br />
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