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WEIBLICHE FRIEDENSINITIATIVE<br />

„DieUnterstützerinnen<br />

kommen<br />

aus dem linken,<br />

rechten,religiösen<br />

und säkularen Lager<br />

ebenso wie aus dem<br />

Kreis der israelischenAraber,DrusenundBeduinen.“<br />

Angela Scharf<br />

Scharfs unternehmerische Tätigkeit war<br />

bereits zur Routine geworden, daher suchte<br />

sie nach einer zusätzlichen Herausforderung.<br />

„Ich war immer schon politisch sehr<br />

interessiert, und die Ideen dieser Gruppierung<br />

haben mich am ehesten angesprochen“,<br />

erzählt die Wienerin, die im Gymnasium<br />

Kundmanngasse im dritten Bezirk<br />

maturierte. Dass sie mit 18 Jahren nach Israel<br />

auswanderte, verdankte sie zwei Umständen:<br />

Erstens ging sie einer religiösen<br />

Freundin zuliebe in die Bnei Akiba. „Religiös<br />

wurde ich dort nicht, aber dafür stark<br />

zionistisch geprägt.“ Zweitens überredete<br />

sie die widerwilligen Eltern, sie doch gehen<br />

zu lassen, mit der wahrscheinlicheren Aussicht<br />

auf einen jüdischen Lebenspartner.<br />

Schon beim Studium der Politikwissenschaften,<br />

Nahoststudien und Arabisch<br />

an der Hebräischen Universität in Jerusalem<br />

dachte sie an eine Zukunft mit politischem<br />

Einschlag. „Ich wollte die neue<br />

Golda Meir werden“, schmunzelt Scharf.<br />

Während des Studiums jobbte sie im Jerusalemer<br />

ORF-Büro beim legendären Hans<br />

Benedict. Berufspolitikerin wurde sie nicht,<br />

aber wenigstens die Eltern konnte sie beruhigen:<br />

Angela heiratete einen französischen<br />

Studienkollegen, der in der Folge als<br />

Diplomat in Tel Aviv arbeitete.<br />

„Mein erstes Geld verdiente ich bei einer<br />

Firma, die Stoffe importierte, um dann<br />

fertige Kleidung nach Deutschland zu exportierten.<br />

Sie hatten mich vor allem wegen<br />

meiner Deutschkenntnisse angestellt“,<br />

erzählt die zierliche Mutter zweier erwachsener<br />

Kinder. „Dann haben sie mich einmal<br />

zur Frankfurter Messe mitgenommen und<br />

gesehen, dass ich gut mit Menschen umgehen<br />

kann. Sie steckten mich in den Verkauf,<br />

und ich stieg bis zur Import-Chefin auf.“<br />

Fünf Jahre arbeitete Angela dort, dann begann<br />

sie als selbstständige Handelsagentin,<br />

Stoffe aus Österreich, Italien, Deutschland<br />

und Frankreich nach Israel zu importieren.<br />

Mit der Versetzung ihres Mannes an die<br />

Botschaft in Südkorea erfolgte eine neuerliche<br />

Zäsur in Scharfs Leben. Für die<br />

eingeführte Agentur in Israel gewann sie<br />

ihre Bnei-Akiba-Freundin Paula Basch als<br />

Partnerin, die ab 1990 die Geschäfte in Israel<br />

weiterführte. Sie selbst begann, Stoffe<br />

von Seoul aus nach Israel zu importieren.<br />

Ab 1991 betreute die zweite Bnei-Akibaund<br />

Jugendfreundin Eva Kulcsar den österreichischen<br />

und ungarischen Markt. „Ich<br />

habe in rund zehn Staaten Subagenten aufgebaut,<br />

angefangen von Holland über Griechenland<br />

bis Italien, und wäre gerne mit<br />

meinem Mann von Südkorea nach Hongkong<br />

oder Vietnam gezogen“, berichtet sie.<br />

„Doch wir mussten auf Posten nach Köln.<br />

Das hat mich ziemlich deprimiert, denn ich<br />

bin nicht aus Österreich weggegangen, um<br />

in Deutschland zu landen.“ Ihre Arbeit in<br />

Korea hatte sich darauf konzentriert, Stofflieferanten<br />

zu finden und die Waren überprüft<br />

an die verschiedenen Vertretungen zu<br />

versenden. Damit war es jetzt vorbei, doch<br />

Angela Scharf begann von Köln aus, ihren<br />

Kundenstock in Deutschland und der Türkei<br />

aufzubauen, und nützte weiterhin ihre<br />

Kontakte in Asien.<br />

Women Wage Peace. Ab 1998 lebte die<br />

ganze Familie in Brüssel, von da aus konnte<br />

Scharf weiter ihren Markt in Deutschland<br />

betreuen. „Für die Kinder war Brüssel ein<br />

guter Ort, sie besuchten zuerst die jüdische<br />

Schule und danach die europäische. Aber<br />

mein Traum war es, nach Israel zurückzukehren.“<br />

Seit drei Jahren lebt Angela – inzwischen<br />

geschieden – wieder in Tel Aviv<br />

und beliefert noch immer ihre Textil-Grossisten<br />

in Deutschland. „Die israelische Politik<br />

habe ich von überall mit großem Interesse<br />

verfolgt. Als ich dann wieder hier<br />

war, ging ich zu Konferenzen und Vorträgen,<br />

darunter einmal über das Thema Demokratie<br />

in Israel. Dort lernte ich eine AktivistinvonWomen<br />

Wage Peace kennen,und<br />

seit zwei Jahren bin ich voll dabei.“<br />

Heute gehört Scharf zu den einhundert<br />

Frauen, die sich regelmäßig zur Strategiebesprechung<br />

zusammenfinden, um die<br />

vielfältigen Aktivitäten gezielt zu planen.<br />

Das Vorbild der Gruppe ist die Bürgerrechtlerin<br />

und Politikerin Leymah Roberta<br />

Gbowee aus Liberia, die 2011 den Friedensnobelpreis<br />

verliehen bekommen hat.<br />

„Im Bürgerkrieg zwischen Christen und<br />

Muslimen hat der Frauenprotest u. a. auch<br />

mit Sitzstreiks den Konflikt beendet. Natürlich<br />

passen wir uns in Israel an unsere Situation<br />

an“, erzählt Scharf. „Hier begannen<br />

wir 2014 mit einem Friedensmarsch in das<br />

ständig bedrohte Sderot; 2015, am ersten<br />

Jahrestag des Gaza-Krieges, errichteten wir<br />

ein Zelt vor der Residenz des Premierministers:<br />

Dort fasteten hunderte Frauen 50<br />

Tage lang, und Tausende kamen dorthin,<br />

um ihre Solidarität zu bekunden.“<br />

Friedensmärsche durch das ganze Land<br />

und plakative Aktionen dieser Art wären<br />

aber zu wenig, um das Establishment aufzurütteln.<br />

„Wir haben professionelle Gruppierungen,<br />

die das Gespräch mit Diplomaten<br />

und Politikern im In- und Ausland<br />

suchen, um echte Bewegung in die festgefahrene<br />

Situation zu bringen. Und unter<br />

dem Titel Sayeret (Aufklärungstruppe)<br />

gehen wir zu Wahlauftritten von Politikern<br />

und konfrontieren diese mit Fragen nach<br />

ihren Friedensinitiativen. Ich war z. B. bei<br />

Benny Gantz von Blau-Weiß und auch bei<br />

Naftali Bennett. Wir informieren die anderen<br />

Frauen über das Gesagte oder Versprochene,<br />

und bei der nächsten Gelegenheit<br />

werden diese Politiker erneut zur Rede<br />

gestellt.“<br />

Individuelle Gespräche mit Knesset-<br />

Abgeordneten gehören ebenso zum wöchentlichen<br />

Geschäft von Frauen machen<br />

Frieden wie das Friedenszelt vor der<br />

Knesset: Da kommen die Frauen mit ihren<br />

weißen Blusen und türkisen Schals<br />

seit eineinhalb Jahren – während der Sitzungsperioden<br />

– jeden Montag hin, um<br />

alle Menschen, die hier ein- und ausgehen,<br />

von ihrem Projekt zu überzeugen. Derzeit<br />

hat WWP einen konkreten Gesetzesvorschlag<br />

ausgearbeitet und hofft, diesen<br />

durchzubringen. „Mit dem Gesetz Political<br />

Alternatives First möchten wir bewirken,<br />

dass jede Regierung nur dann in den<br />

Krieg ziehen kann, wenn sie vorher bewiesen<br />

hat, dass sie bereits auf politischer<br />

Ebene alles unternommen hat, um diesen<br />

zu vermeiden.“<br />

Ist es nicht schwer, die Menschen für<br />

die Friedensinitiative zu begeistern? Man<br />

scheint sich im Status quo doch irgendwie<br />

eingerichtet zu haben? „Ja, das Gefühl,<br />

dass man nichts machen kann, ist deprimierend“,<br />

konzediert die Aktivistin. „Aber<br />

wenn man in dieser Gruppe ist, bekommt<br />

man gegenseitig so viel Kraft und positive<br />

Energie. Das ist unwahrscheinlich aufbauend.“<br />

Einmal im Monat stehen an ca. 100<br />

Standorten in ganz Israel WWP-Frauen<br />

an Verkehrskreuzungen und halten Poster<br />

mit Aufschriften wie „Geht/Fahrt in Frieden“.<br />

„Ich wohne in Ramat Aviv, da habe<br />

ich mir eine Kreuzung ausgesucht, und da<br />

stehe ich dann fast zwei Stunden.“ <br />

wına-magazin.at<br />

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