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LEBENS ART<br />
Die Eloquenz<br />
unserer Anatomie<br />
Das Unbeschreibliche tanzen<br />
Die New Yorkerin Juliana F. May – ihre Großmutter<br />
stammte aus Wien und musste als Jüdin<br />
flüchten – ist so etwas wie eine Trauma-<br />
Expertin innerhalb der Performanceszene am<br />
Hudson River. Schon seit einem Jahrzehnt<br />
lässt sie dieses Motiv nicht los, und auch in<br />
ihrem aktuellen Stück Folk Incest geht es um<br />
scheinbar nicht darstellbare Themen wie den<br />
Holocaust, das sexuelle Trauma und die Fetischisierung<br />
junger Mädchen.<br />
Frau May, was kann Tanz besser ausdrücken<br />
als Worte?<br />
Tanz ist nicht sehr gut darin, lineare Erzählungen<br />
zu vermitteln. Aber seine Abstraktion kann<br />
den Zustand des Traumas nutzen, an den man<br />
sich oft abseits der genauen Reihenfolge und<br />
ohne Sprache erinnert.<br />
Sie verwenden auch Text in Ihrem Stück. Wozu<br />
braucht es das gesprochene und gesungene<br />
Wort?<br />
In Folk Incest benutze ich Text, um mich tiefer<br />
in die Person hinein zu bewegen oder sie<br />
zu verstecken. Wiederholungen und ständige<br />
Unruhe schaffen dabei ein Umfeld, in dem<br />
Wut und Humor koexistieren können. Die Lieder<br />
und Gesänge sollen Katharsis inmitten<br />
schwieriger Inhalte erzeugen.<br />
Wie schafft man es, etwas Unbeschreibliches<br />
in Tanz umzusetzen?<br />
Da Traumata im Körper gespeichert sind, vertraue<br />
ich auf die Kraft der Abstraktion und der<br />
Bewegung, um Ideen auszudrücken, die zu<br />
schmerzhaft sind, um sie zu<br />
verarbeiten.<br />
Wann haben Sie den letzten<br />
Wiener Walzer getanzt?<br />
1990 im Wohnzimmer meiner<br />
Großmutter mütterlicherseits,<br />
Rose Fallmann Gaster, in Connecticut.<br />
Rose und ihre Familie<br />
flohen 1939 aus dem nationalsozialistischen<br />
Wien nach<br />
Brooklyn. Sie ging nie zurück.<br />
60 wına| Juli_August 2019<br />
Auch in diesem Sommer<br />
übernehmen bei<br />
ImPulsTanz – Vienna<br />
International Dance<br />
Festival die Stars des<br />
zeitgenössischen Tanzes<br />
die Bühnen der<br />
Walzerstadt. WINA hat<br />
vier Künstlerinnen und<br />
Künstler aus den unterschiedlichsten<br />
Bereichen<br />
zum Interview gebeten,<br />
die alle jedoch eines eint:<br />
ihre jüdische Identität –<br />
oder die Suche danach.<br />
Sicherer Ort. Zvi<br />
Gotheiner arbeitet mit<br />
Tanzlehrenden.<br />
Wut und Humor. Juliana<br />
F. May lässt das Trauma-<br />
Thema nicht los.<br />
Ein Ort für Fragen<br />
In seinem Heimatland Israel begann Zvi<br />
Gotheiner bereits in jungen Jahren mit der<br />
Bühnenkunst, sowohl als Tänzer wie auch<br />
als Musiker. Er tanzte unter anderem mit der<br />
Joyce Trisler Dance Company und der Batsheva<br />
Dance Company. 1987 gründete er<br />
sein eigenes Ensemble, mit dem er bis heute<br />
erfolgreich in Nordamerika, Europa und Israel<br />
tourt. Zudem unterrichtet er als Lehrer Meisterklassen<br />
bei zahlreichen Spitzenkompanien<br />
und als Gastlehrer an renommierten Schulen<br />
sowie bei Festivals weltweit.<br />
Herr Gotheiner, gibt es etwas typisch Israelisches<br />
in der Art Ihres Tanzes oder in der Art,<br />
wie Sie lehren?<br />
Mittlerweile lebe ich ja bereits seit einigen Jahrzehnten<br />
in New York, aber ich bin sicher, dass<br />
meine Arbeit etwas „Israelisches“ enthält, das<br />
unbewusst aus meiner DNA hervorgeht …<br />
Was möchten Sie<br />
den Teilnehmern Ihres<br />
Workshops Meditating<br />
on teaching<br />
Ballet vermitteln?<br />
Ich möchte weniger<br />
„vermitteln“ und<br />
auch nicht versuchen,<br />
alte pädagogische<br />
Kriege beizulegen,<br />
oder sagen,<br />
dass mein Unterricht<br />
der einzige Weg ist.<br />
Ich möchte LehrerInnen<br />
und angehenden<br />
LehrerInnen einen sicheren Ort für Frage<br />
schaffen. Einen Ort, um den Fokus nach innen<br />
zu kehren und neue Prioritäten für den Tanzunterricht<br />
zu setzen, ihn aufzufrischen und zu<br />
personalisieren.<br />
Tanz bedeutet für Sie ganz persönlich:<br />
Alles!<br />
Wann haben Sie den letzten Wiener Walzer<br />
getanzt?<br />
Hoffentlich noch nicht!