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ISRAEL BLOG<br />

Das einsame Leben von<br />

Israels Lone Soldiers<br />

Ungefähr vier Prozent der Soldaten im aktiven Dienst der<br />

IDF sind Lone Soldiers. Im vergangenen Jahr machten sie<br />

30 Prozent aller Selbstmorde unter den Soldaten aus.<br />

E<br />

s ist Wochenende in der Militärbasis im<br />

Norden Israels, und die Soldaten fahren<br />

nach Hause zu ihren Familien. Rafael hat<br />

nicht wirklich ein Zuhause hier. Er ist alleine<br />

von Boston nach Israel gekommen,<br />

um seinen Kindheitstraum zu erfüllen –<br />

dem jüdischen Staat zu dienen und der israelischen Armee<br />

beizutreten. Rafael ist ein Lone Soldier oder Chayal<br />

Boded, ein Soldat ohne Familie im Land. Bereits als<br />

Teenager kannte er alle Einheiten der IDF und konnte es<br />

Von Iris Lanchiano<br />

kaum erwarten, in das Flugzeug<br />

zu steigen, um Baseballkappe,<br />

Jeans und Turnschuhe<br />

gegen die Uniform zu tauschen. Doch nach dem<br />

ersten Jahr seines Militärdienstes, nachdem die Aufregung<br />

und das Abenteuer zur Routine geworden sind,<br />

kommen ihm die ersten Zweifel. An der Wand in seinem<br />

kleinen Zimmer in einem Kibbuz in der Nähe von<br />

Aschkelon hängen die amerikanische und israelische<br />

Fahne nebeneinander. Ein Tattoo des Wappens Jerusalems<br />

ziert seinen Rücken: „Am Israel Chai.“ – Das<br />

Volk Israel soll leben. Er putzt seine Stiefel und macht<br />

sein Essen in der Mikrowelle warm. Er hatte Glück,<br />

dass niemand seiner Kameraden ihn wieder darum gebeten<br />

hat, die Wochenendschicht zu übernehmen. Obwohl<br />

es Organisationen gäbe, die in genau solchen Fällen<br />

„Adoptivfamilien“ vermittelt, um den Lone Soldiers<br />

ein Zuhause in Israel zu bieten, ist es einfach nicht dasselbe.<br />

Nach dem Herumreichen zwischen den Familien<br />

hatte Rafael das Gefühl, er sei eine Last.<br />

Er verbringt den Abend lieber alleine und<br />

streamt das Spiel seiner Lieblingsfootballmannschaft<br />

aus dem Internet.<br />

Depressionen und emotionale Belastungen,<br />

sowohl während des Militärdienstes<br />

wie auch unmittelbar nach der Entlassung,<br />

und die Schwierigkeit, sich auf<br />

Hebräisch richtig auszudrücken, machen<br />

vielen Lone Soldiers zu schaffen.<br />

Eine Reihe an Selbstmorden unter IDF-<br />

Soldaten aus dem Ausland hat rote Fahnen<br />

gehisst und die Probleme hervorgehoben,<br />

mit denen junge Menschen in Stresssituationen<br />

ohne ihre Familien konfrontiert sind.<br />

Die 19-jährige Michaela Levit aus Miami, von ihren<br />

Freunden „Mica“ genannt, nahm sich im Mai das Leben<br />

und wurde auf ihrer Militärbasis gefunden. Es war<br />

der dritte Selbstmordfall unter Lone Soldiers in diesem<br />

Jahr. Die Organisation Why They Fell will mehr Bewusstsein<br />

für die Situation der Lone Soldiers schaffen.<br />

„Es ist wahr, es gibt Vergünstigungen für Lone Soldiers.<br />

Aber das hilft nicht gegen das Gefühl der Einsamkeit.<br />

Dieser Eimer füllt sich von Tag zu Tag mehr und<br />

mehr, bis es viele nicht mehr ertragen. Sie wollen diese<br />

Depressionen und emotionale Belastungen, sowohl<br />

während des Militärdienstes wie auch unmittelbar<br />

nach der Entlassung, und die Schwierigkeit,<br />

sich auf Hebräisch richtig auszudrücken,<br />

machen vielen Lone Soldiers zu schaffen.<br />

Einsamkeit einfach nicht mehr. Einige denken, sie seien<br />

Versager, weil sie aufgeben möchten, oder dass sie einfach<br />

zu schwach sind. Oft wird ihnen gesagt, jeder erlebt<br />

diese Krise, da muss man durch – aber das klappt<br />

nicht immer“, erzählt Noam, einer der Sozialarbeiter,<br />

die sich um die Lone Soldiers kümmern.<br />

Für Rafael, der sich als Kind gerne als Soldat verkleidet<br />

hat und mit den Kochlöffeln seiner<br />

Mutter auf Spielfiguren schoss, ist<br />

Aufgeben keine Option. Seinen Militärdienst<br />

macht er fertig, auch wenn er danach<br />

wieder zurückgeht, „dann kann ich<br />

mit ruhigem Gewissen sagen, ich habe<br />

dem jüdischen Staat gedient.“ Währenddessen<br />

packt Noam Micas letzte persönliche<br />

Gegenstände zusammen, die sie in<br />

Israel hatte, um diese an ihre Familie zurückzuschicken.<br />

<br />

Israel ist stolz auf seine Lone<br />

Soldiers, doch es fehlt an<br />

Beratung und Betreuung.<br />

© flash90<br />

22 wına| Juli_August 2019

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