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AKTIONSJUDE<br />
Sammelkuvert. Darin befanden<br />
sich die Dokumente<br />
Robert Böhmers, die ihm im<br />
KZ ausgestellt wurden.<br />
Robert Böhmer. Geboren 1912 in<br />
Wien, wuchs er jüdisch, großbürgerlich<br />
und kaisertreu auf. Ab April<br />
1939 überlebte er mehrere KZs.<br />
Screenshots aus dem Film: © Ronny Böhmer<br />
dass es damals schon ein<br />
Glück sein konnte, verhaftet<br />
und nach Dachau geschickt<br />
zu werden, ergibt<br />
sich heute aus der historischen<br />
Rückschau.<br />
Nach dem „Anschluss“<br />
versprach der ehrgeizige<br />
Gauleiter Odilo Globocnik<br />
dem „Führer“, Wien<br />
binnen kürzester Zeit „judenrein“ zu machen.<br />
In einer der Abschreckung dienenden<br />
„Aktion“ wurden etwa 6.000 Juden<br />
nach Dachau transportiert, in der Hoffnung,<br />
die anderen Juden Wiens würden<br />
dann schnellstens freiwillig ausreisen.<br />
Robert Böhmer wurde als einer dieser so<br />
genannten „Aktionsjuden“ erst nach Dachau<br />
und einige Monate später von dort<br />
nach Buchenwald deportiert, wo er gemeinsam<br />
mit anderen „Aktionsjuden“ im<br />
April 1939 entlassen wurde. Ausgefolgt<br />
wurde ihm dabei seine gesamte spärliche<br />
Habe, penibel aufgelistet auf der „Effektenkarte“,<br />
auf der unter anderem „2 Binder“,<br />
also Krawatten verzeichnet waren.<br />
Bei der Einlieferung<br />
war es kurioserweise<br />
nur einer gewesen.<br />
„Aber was macht ein<br />
Häftling im KZ überhaupt<br />
mit Krawatten?“<br />
Das ist nur eine der<br />
Fragen, die sich Ronny<br />
heute stellt. Auch die<br />
„Schreibstubenkarte“<br />
und eine Art Kontoblatt, das Einnahmen<br />
und Ausgaben vermerkte – „mein<br />
Vater war in Relation zu anderen Häftlingen<br />
ein reicher Mann“ – gehört zu<br />
den erstaunlichen Dokumenten, die sich<br />
beim „International Tracing Service“ im<br />
deutschen Bad Arolsen fanden. Allesamt<br />
Zeugen der bürokratisch höchst präzisen<br />
Verwaltung des mörderischen Systems.<br />
Robert Böhmer ist zwar nicht unbeschadet,<br />
aber doch noch einmal davongekommen.<br />
„In Wien wäre er sicherlich<br />
erst in eine Sammelwohnung und später<br />
vielleicht nach Auschwitz gekommen“,<br />
ist der Sohn heute überzeugt. Nach seiner<br />
Entlassung ging der Vater in Wien<br />
„Wasmachtein<br />
Häftling im KZ<br />
mitKrawatten?“<br />
Ronny Böhmer<br />
zunächst zur „Fuß- und Handpflege“ und<br />
danach zur Auswanderungsstelle, wo ihn<br />
ein Beamter mit den Worten „Nehmen<br />
Sie Platz, Herr Böhmer“ empfing. Es war<br />
Adolf Eichmann. Nach dem KZ habe er<br />
diese höflichen Worte „wie ein neues Leben“<br />
empfunden, an diese verblüffende<br />
Erzählung des Vaters kann sich Ronny<br />
gut erinnern.<br />
Das neue Leben sollte dann doch<br />
noch etwas auf sich warten lassen, aber<br />
schließlich ist Robert Böhmer in Buenos<br />
Aires vom Schiff gestiegen und dort geblieben.<br />
Er hat eine Berliner Jüdin, Ronnys<br />
Mutter, geheiratet und zwei Söhne<br />
bekommen. 1954 wollte er mit der Familie<br />
dann „für zwei Jahre“ nach Wien<br />
zurück, um seiner Mutter beim Schuhgroßhandel,<br />
den sie restituiert bekamen,<br />
zu helfen. „Meine Eltern sind noch immer<br />
da, allerdings auf dem Friedhof.“ Robert<br />
Böhmer war 1960 ein Mitbegründer<br />
der Bnai-Brith-Loge in Wien und<br />
im Vorstand der Hakoah, womit er in die<br />
Fußstapfen seines Vaters trat, der bereits<br />
vor dem Krieg Präsident der Hakoah-<br />
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