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JÜDISCH-ORTHODOXER ATHEIST<br />

nicht. Als ich einmal die Idee hatte, Jus zu studieren,<br />

sagten sie, das wäre nicht gut, wir wüssten ja nicht,<br />

in welches Land es uns noch verschlagen würde. Sie<br />

waren glücklich, wenn man Arzt werden wollte. Da<br />

schwingt auch die Erfahrung mit, dass man als Arzt<br />

nicht so leicht nach links gewiesen wurde.<br />

Auch das Leben im Provisorium, das Zwischenden-Stühlen-Sitzen,<br />

war in dieser Generation prägend,<br />

wie hast du das verarbeitet?<br />

❙ Mein Vater hat hier gelebt, ist aber in Israel begraben,<br />

mein Bruder lebt in Israel, und ich war eigentlich<br />

der linke Zionist und bin hier geblieben. Was mir<br />

meine Eltern, ohne es zu wollen, mitgegeben haben,<br />

ist aber: Ich bin ein Mensch ohne Heimat. Aber Israel<br />

war und ist uns wichtig.<br />

Ich bin nicht der Meinung, dass wir hier sein sollen,<br />

dass es eine jüdische Gemeinde außerhalb Israels<br />

geben muss, aber ich finde, dass die, die da sind,<br />

geschützt werden sollen.<br />

Es ist eine Tatsache, dass die jüdische Existenz auf<br />

unserem Erdball prekär ist. Sie ist aber in Europa<br />

nicht unsicherer als anderswo. Die Idee, man muss<br />

von hier fliehen, halte ich für übertrieben. Die Diaspora<br />

wird aber umso stärker, weil wir wissen, dass es<br />

Israel gibt.<br />

Israel ist kein Land mehr, das so anders ist. Es gibt<br />

in Israel Minderheiten, eine Globalisierung, migrantische<br />

Arbeiter, und insofern ist es auch nicht<br />

verwunderlich, dass Israelis nach Berlin gehen. Weniger<br />

normal ist, dass Berlin ein Thema ist und London<br />

und Paris weniger, das verweist auf einen anderen<br />

Teil der Geschichte.<br />

Die letzten Zeugen dieser Geschichte, denen du ja<br />

im Burgtheater ein Forum gewidmet hast, verstummen.<br />

Bleibt die Erinnerung an die Vergangenheit<br />

eine lebenslange Aufgabe?<br />

❙ Es gibt kein Leben jenseits der Erinnerung. Die<br />

Frage ist, was wir erinnern und was wir vergessen.<br />

Wir, so sagen die Überlebenden, haben eine Geschichte,<br />

die in diesem Land Jahrzehnte lang vergessen<br />

und verdrängt wurde. Stattdessen wurde die<br />

Erinnerung der Stalin-Kämpfer und Landser gepflegt<br />

und der Mythos vom ersten Opfer. Diese unsere<br />

Erinnerung, die ein Störfaktor war, wieder in das<br />

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„Esgibtdurchaus<br />

Dinge,<br />

die ich halte,<br />

Feste, die ich<br />

feiere, Lieder,<br />

die ich singe,<br />

aber nicht<br />

alsGläubiger,<br />

sondern als<br />

Teil einer Ehe,<br />

einer Familie<br />

und einer<br />

Gemeinde.“<br />

Zentrum zu rücken, war daher wichtig, und diese<br />

Erinnerung bleibt relevant, solange Menschen sagen,<br />

jetzt muss einmal Schluss sein. Es ist schwer,<br />

in Österreich jenseits der jüdischen Geschichte leben<br />

zu wollen, denn man wird hier immer wieder<br />

darauf zurückgeworfen.<br />

Rabbiner Paul Chaim Eisenberg hat einmal gesagt,<br />

Doron ist koscher genug. Wie hältst du es mit der<br />

Religion?<br />

❙ Die Existenz der Religiösen hat für mich als jüdisch-orthodoxen<br />

Atheisten eine besondere Notwendigkeit,<br />

nämlich, mich zurückzuweisen auf<br />

meine Toleranz, zu akzeptieren, dass ein anderer<br />

glaubt, auch wenn man das nicht nachvollziehen<br />

kann. Andererseits fordere ich Toleranz und<br />

Respekt vor der Säkularität. Der Staat muss getrennt<br />

sein von der Religion. Das ist besser für den<br />

Staat, aber auch besser für die Religion. Gleichzeitig<br />

verteidige ich die Religiösen sehr wohl, wenn<br />

es um Anwürfe von außen geht. Ich habe einmal<br />

für das Jüdische Museum einen Text mit dem Titel<br />

Wem koscher Blunzn ist geschrieben. Denn anders<br />

als in anderen Religionen kann man Jude sein,<br />

ohne an Gott zu glauben, aber der grundlegende<br />

Glaube, dass man ein Volk ist, bleibt. Damit ist erklärt,<br />

dass es immer schon ein säkulares Judentum<br />

geben konnte und seit der Aufklärung auch gibt.<br />

Es ist ein wichtiger Teil unserer Kultur. Man kann<br />

sagen, ja, ein Teil der Orthodoxie hat unsere Tradition<br />

weitergetragen, aber wichtig waren immer<br />

auch die Reformer. Sowohl das Festhalten wie auch<br />

das Anpassen haben den Fortbestand des Judentums<br />

ermöglicht.<br />

Und wie sieht dein persönliches Verhältnis zur Tradition<br />

aus?<br />

❙ Es gibt durchaus Dinge, die ich halte, Feste, die ich<br />

feiere, Lieder, die ich singe, aber nicht als Gläubiger,<br />

sondern als Teil einer Ehe, einer Familie und einer<br />

Gemeinde. Es gibt die Zeit, in der man als Kind in<br />

der Synagoge herumrennt, die Zeit, in der man als<br />

Jugendlicher davorsteht, dann gibt’s die Zeit, in der<br />

man hineingeht und vielleicht sogar mitliest, und<br />

die Zeit, in der man mit den Kindern hingeht, und<br />

das hat mit dieser Gemeinschaft zu tun.<br />

wına-magazin.at<br />

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