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I WIE RABINOVICI<br />

nichts. Natürlich gibt es auch die Überlegung, was<br />

missverständlich sein könnte, aber letztlich ist es<br />

die Aufgabe des Schriftstellers, sich etwas einfallen<br />

zu lassen. Die Inspiration liegt immer auch in<br />

der Nähe der Impertinenz, das muss so sein. Der<br />

gute Einfall kommt von innen und von außen, als<br />

käme er von einem anderen Universum, und insofern<br />

kann ich mich nicht darum scheren, ob das gebührlich<br />

ist oder nicht.<br />

Wenn man zu einem öffentlichen Anlass einen<br />

aufrechten, über jeden Zweifel erhabenen Redner<br />

sucht, wendet man sich an Doron Rabinovici.<br />

Stimmt dieser Eindruck?<br />

❙ Als Jude bin ich immer schon das, was als „das andere<br />

Österreich“ zitiert wird, aber in Österreich sind<br />

die Autoren, da gibt es eine ganze Reihe wie z. B.<br />

auch Michael Köhlmeier, überhaupt eine Stimme,<br />

die auf einen Mangel hinweist. Der Mangel ist, dass<br />

die anderen Eliten, Politiker oder auch Wissenschaftler,<br />

nicht genügend klar sagen, was international<br />

Mindestmaß der Zivilisation ist. Das ist z. B. in<br />

Deutschland anders. Dort gibt es keinen Markt dafür,<br />

jetzt ist er allerdings wieder im Wachsen, weil es<br />

neue rechte Entwicklungen gibt. In Israel ist die Sache<br />

ganz klar, dort haben Autoren eine Aufgabe, die<br />

im jüdischen Kontext auch an die biblischen Propheten<br />

denken lässt, es sind klare Stimmen.<br />

Aber alle israelischen Autoren, mit denen ich Gespräche<br />

geführt habe – von Amos Oz bis Nir Baram<br />

– haben gesagt, unsere politische Meinung äußern<br />

wir als Kolumnisten in israelischen Medien, aber<br />

unsere Literatur halten wir frei davon.<br />

Ja, aber das glaube ich nicht ganz. Denn ganz so<br />

wertneutral kann einer einen Roman nicht schreiben,<br />

damit er dann noch was wert ist.<br />

Wo liegt bei dir im Schreiben die Pflicht und wo<br />

die Kür?<br />

❙ Näher bin ich mir beim Schreiben eines Romans.<br />

Das Problem ist aber, dass sich das Dringliche<br />

oft vor das Wichtige schiebt, das halte ich<br />

für ein Grundproblem unserer Zeit. Ich glaube,<br />

dass mir zunehmend das mir Wichtige wichtiger<br />

wird und mir das Dringliche immer mehr auf die<br />

DORON RABINOVICI,<br />

geboren 1961 in Tel Aviv,<br />

übersiedelte mit seiner<br />

Familie 1964 nach Wien,<br />

wo er seither als Historiker,<br />

Schriftsteller und Publizist<br />

lebt. Zu seinem umfangreichen<br />

Werk zählen Romane<br />

wie zuletzt Die Außerirdischen,<br />

Kurzgeschichten<br />

und Essays. Gemeinsam<br />

mit Natan Sznaider schrieb<br />

er Herzl Relo@ded. Kein<br />

Märchen. Sein Band I wie<br />

Rabinovici. Zu Sprachen<br />

finden erschien jüngst bei<br />

Sonderzahl. Rabinovici ist<br />

mit zahlreichen Preisen, u. a.<br />

mit dem Toleranzpreis des<br />

Österreichischen Buchhandels,ausgezeichnetworden.<br />

Nerven geht. Aber es gibt leider äußere Pflichten,<br />

wenn man z. B. einen Artikel zu einem bestimmten<br />

Thema von mir verlangt. Oft ist man aber dann<br />

nicht zufrieden, wenn ich genau das mache, wofür<br />

ich eigentlich bekannt bin. Ich sage dann Dinge,<br />

die zu schrill klingen. Wie soll man z. B. über Antisemitismus<br />

nicht schrill sprechen, wenn die Freiheitlichen<br />

gerade in der Regierung sind – oder auch<br />

wenn die Freiheitlichen gerade nicht in der Regierung<br />

sind. Ich kann aber die Reaktionen nicht immer<br />

voraussagen. Ich habe z. B. im steirischen Landtag<br />

eine ziemlich harte Rede gehalten, aber sie wurde<br />

gegen meine Erwartung gut aufgenommen.<br />

Fühlst du als Mitglied der Gemeinde, der du angehörst,<br />

eine bestimmte Verantwortung?<br />

❙ Die spüre ich schon, aber sie hindert mich nicht,<br />

gewisse Dinge zu äußern. Wir sind eine kleine Gemeinde<br />

und sollten von uns auch nicht zu viel erwarten.<br />

Wir sind aber gleichzeitig eine gewisse Autorität<br />

für dieses Land, weil wir nicht nur für uns sprechen,<br />

sondern schon auch ein Vermächtnis haben. Wir haben<br />

das bisher gar nicht so schlecht gemacht. Mehr<br />

als die offizielle Politik hat zum Beispiel die Gemeinde<br />

verstanden, dass mit den Freiheitlichen kein<br />

Staat zu machen ist und man ihrem Wandel nicht<br />

trauen kann.<br />

Dein jüngster Band I wie Rabinovici zeigt besonders<br />

berührend, wie sehr dein Leben als Sohn, als Angehöriger<br />

der Zweiten Generation, dein Dasein und<br />

deinen Lebensweg bestimmt hat. Das Verständnis<br />

für die Eltern nimmt offenbar zu, je älter man wird.<br />

❙ Ja, man muss aber nicht alles, was sie gemacht haben,<br />

wiederholen. Für meine Eltern waren wir das<br />

Wichtigste. Meine Eltern haben uns mit ihrer Liebe<br />

aber auch zum Teil überfordert. Alles, was wir gesagt<br />

haben, wurde einerseits hochgehalten, andererseits<br />

wurden wir ins Theater, in die Oper, in Ausstellungen<br />

mitgeschleppt, wir sollten Sprachen lernen, aber<br />

nicht Rumänisch oder Polnisch. Und als ich einmal<br />

meiner Mutter sagte, ich würde gern ein Buch auf Jiddisch<br />

schreiben, sagte sie: Wer soll das lesen? Mir ist<br />

es wichtig, dass Kinder auch Kinder sein können. In<br />

einer Situation, in der es wichtig war, weiterzuleben,<br />

den Aufstieg zu schaffen, aufzubauen, ging das aber<br />

26 wına| Juli_August 2019

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