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INTERVIEW MIT DORON RABINOVICI<br />

„Natürlich werde<br />

ich immer<br />

als Jude gelesen“<br />

Doron Rabinovici, kürzlich mit<br />

dem Theodor-Herzl-Preis der IKG<br />

ausgezeichnet, spricht über seine diversen<br />

Identitäten, seine Literatur und seine Rolle<br />

in der Öffentlichkeit, seine Beziehung zu<br />

Israel und zum Judentum, sein Leben als<br />

Sohn und das Erinnern in Österreich.<br />

WINA: Wenn von Doron Rabinovici gesprochen<br />

wird, ist oft auch von seinen verschiedenen Identitäten<br />

– israelisch-österreichisch, jüdisch-säkular,<br />

Historiker und Schriftsteller, links und unabhängig<br />

und noch mehr – die Rede. Wie fühlst du dich mit<br />

diesen Zuschreibungen?<br />

Doron Rabinovici: Ich bin Jude in Wien, ein<br />

deutschsprachiger Autor in Österreich, und meine<br />

israelische Identität ist trotzdem sehr stark. Ich<br />

glaube, was gewesen ist, macht das Wesen aus, aber<br />

es gibt immer etwas, das noch vor uns liegt. Die<br />

voll ausformulierte Identität wird erst auf meinem<br />

Grabstein zu finden sein. Bis dahin habe ich noch<br />

ein Wörtchen mitzuschreiben.<br />

„Mitzuschreiben“, das heißt wohl, du siehst dich primär<br />

als Schreibender und nicht als Wortmelder.<br />

Inwieweit beeinflussen jedoch politische und gesellschaftliche<br />

Situationen die Gewichtungen? In<br />

schlimmen Zeiten könnte ein jüdischer Schriftsteller<br />

seine Aufgabe ja vielleicht eher im öffentlichen<br />

Aktivismus als im stillen Romanschreiben sehen.<br />

❙ Ja, es gibt Zeiten, da ist man als Jude stärker gefordert.<br />

Zu dem Thema hat Hannah Arendt den<br />

kürzesten klaren Satz gesagt: „Wenn man als Jude<br />

angegriffen wird, hat es keinen Sinn, sich als etwas<br />

anderes zu verteidigen.“ Wenn es hingegen um allgemein<br />

menschliche Themen geht, hat es keinen<br />

Interview: Anita Pollak<br />

Foto: Daniel Shaked<br />

„Ich glaube,<br />

dass mir<br />

zunehmend<br />

das mir Wichtigewichtiger<br />

wird und mir<br />

dasDringliche<br />

immer mehr<br />

aufdieNerven<br />

geht.“<br />

Sinn, immer mit jüdischen Texten zu antworten.<br />

Wenn wir z. B. darüber reden, dass uns eine Klimakatastrophe<br />

droht, so muss ich das nicht unbedingt<br />

mit Moses behandeln. Aber natürlich werde ich immer,<br />

egal was ich sage oder schreibe, als Jude gelesen.<br />

Stört dich diese Punzierung als jüdischer Autor<br />

manchmal?<br />

❙ Ja, es stört mich, wenn ich in eine Schublade gelegt<br />

werde, und es stört mich, wenn es verleugnet wird.<br />

Ich wehre mich gegen die falsche Punzierung durch<br />

mein Schreiben, und ich glaube, dass sich meine Romane<br />

auch dagegen abschirmen. Bei uns als Juden<br />

spielt es eine andere Rolle, dessen sind wir uns bewusst,<br />

aber auch ein Tiroler Autor wird immer wieder<br />

mit Tiroler Fragen konfrontiert werden. Letztlich<br />

kann ich aber nicht immer nur als Jude sprechen,<br />

das wäre nicht richtig.<br />

Es gibt neben der nicht-jüdischen Rezeption wohl<br />

auch die Vereinnahmung von jüdischer Seite, in<br />

dem Sinne, was man als Jude schreiben darf oder<br />

nicht. Wie stehst du dazu?<br />

❙ Ich setze mich darüber hinweg. Letztlich war ich<br />

aber immer wieder erstaunt, wie wenig Widerstand<br />

ich erlebt habe. Oft wurde mir auch gesagt,<br />

wie mutig ich sei, ich finde, verglichen mit dem,<br />

was andere Leute auf unserer Welt riskieren, ist das<br />

24 wına| Juli_August 2019

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