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HANDWERKLICHER AUSGLEICH<br />
Land zu ermöglichen und sozusagen aus<br />
den Stadtmäusen für jeweils einen Monat<br />
lang Landmäuse zu machen: „Ich war<br />
selbst monatelang im Ausland unterwegs<br />
und habe von dort meine Kunden betreut.<br />
In Tel Aviv habe ich dann von meinem<br />
Stammcafé oder von zu Hause gearbeitet“,<br />
erzählt der 30-jährige Unternehmer,<br />
der zuvor in Filmverleih, Marketing und<br />
Hightech tätig war. „Aber auf die Dauer<br />
war es doch irgendwie einsam und auch<br />
manchmal langweilig, und auch das viele<br />
Sitzen war unangenehm. Und man will ja<br />
auch Teil von etwas sein.“ In Südkorea war<br />
er erstmals auf die internationale Community<br />
der Urban Nomades gestoßen und<br />
hatte erlebt, dass das Arbeiten in der Gemeinschaft<br />
neue Kontakte und fruchtbare<br />
Interaktionen bringt, denn nach und nach<br />
schießen weltweit Initiativen wie Remote<br />
Year oder WiFi Tribe aus dem Boden, die<br />
diesem neuen Arbeitstrend gerecht werden<br />
wollen. Also suchte Har-Shai nach<br />
seiner Rückkehr nach einem Modell, das<br />
anderen Unternehmern, Bloggern, Designern,<br />
Hightechleuten und allen, die nicht<br />
an einen festen Arbeitsplatz gebunden<br />
sind, genau das in Israel bietet: eine neue<br />
Umgebung und die Vorteile, in einer Ge-<br />
Café im Kibbuz (hier<br />
Bluma im Kfar Blum) oder<br />
im Garten mit Naturblick:<br />
mögliche Arbeitsstätten für<br />
Gather-Teilnehmer.<br />
meinschaft arbeiten zu können. Wichtig<br />
war ihm dabei auch, dass es zum Ausgleich<br />
für die digitale Arbeit und das viele Sitzen<br />
auch handwerkliche oder körperliche Betätigungsfelder<br />
geben sollte.<br />
Vormittags Programmierer, nachmittags<br />
Schäfer oder Tischler. Der<br />
Kibbuz bot sich da als ideale Infrastruktur<br />
an. Jede dieser etwa 270 ländlichen Gemeinschaftssiedlungen<br />
in Israel hat immer<br />
noch ihren legendären gemeinsamen<br />
Speisesaal, Landwirtschaft, einen Swimmingpool<br />
und andere Sportanlagen, ein<br />
kleines Café oder Pub, einen Mini Market<br />
sowie Wäscherei, Post und andere für<br />
das tägliche Leben nötige Einrichtungen.<br />
Die kleinen Wohneinheiten haben meist<br />
eine Kochmöglichkeit, Dusche und WC.<br />
Es ist also für alles gesorgt, und man muss<br />
sich kaum um tägliche Hausarbeiten und<br />
Erledigungen kümmern. Har-Shai wollte<br />
das Phänomen der Volontäre wiederbeleben,<br />
die in den 60er- und 70er-Jahren<br />
zu Tausenden aus aller Welt in die Kibbuzim<br />
kamen, um in der Landwirtschaft<br />
mitzuarbeiteten und diese spezielle Lebensweise<br />
kennenzulernen. Sie bekamen<br />
dafür Kost und Quartier und einen Einblick<br />
in den Kibbuz und in den jungen<br />
Staat. Das bedeutete, mit den Hühnern<br />
aufzustehen, um noch vor der großen<br />
Hitze die Arbeit auf den Feldern, auf den<br />
Orangenplantagen oder in den Lagerhäusern<br />
zu verrichten. Aber das war es wert,<br />
wenn man das Leben in diesen einzigartigen<br />
Gemeinschaften erfahren wollte. Damals<br />
kamen laut Har-Shai jährlich etwa<br />
3.000 Volontäre in die Kibbuzim, heute<br />
sind es nur noch an die 500. Mit seinem<br />
Projekt Gather, der Name stammt von der<br />
englischen Übersetzung der Wortwurzel<br />
von „Kibbuz“, will Omer Har-Shai diese<br />
Erfahrung wiederbeleben und die Gegebenheiten<br />
der Kibbuzim nutzen, diesmal<br />
mit einem etwas anderen Konzept: „Jeder<br />
Kibbuz hat etwas Besonderes, ein pastorales<br />
Setting im Grünen oder in der Negev-Wüste.<br />
Und bei Gather kann jeder<br />
seine Stunden frei einteilen und sich aussuchen,<br />
ob, wo und wie viel er sonst noch<br />
im Kibbuz mitarbeiten will.“ So kann man<br />
zum Beispiel morgens am Laptop recher-<br />
© Almog Gurevich<br />
14 wına| Juli_August 2019