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INTERRELIGIÖSER DIALOG<br />
1994 erschien Rodger Kamenetz’ Bestseller The Jew<br />
in the Lotus erstmals. Er ist die Dokumentation eines<br />
historischen Treffens zwischen dem Dalai Lama und<br />
jüdischen Führern in Indien. Er ist aber auch die Geschichte<br />
eines Mannes, der seine jüdische Identität und Spiritualität neu<br />
entdeckt hat. Zum 25-Jahre-Buchjubiläum erzählt der Autor,<br />
warum er weit reisen musste, um zu finden, was er<br />
längst zuhause hatte.<br />
Von Daniela Schuster<br />
Rodger Kamenetz:<br />
The Jew in the Lotus.<br />
A Poet’s Rediscovery<br />
of Jewish Identity in<br />
Buddhist India.<br />
HarperOne,<br />
336 S., € 13,98<br />
I<br />
m Oktober 1990 brach eine Gruppe<br />
von acht Rabbis nach Dharamsala im<br />
Nordwesten Indiens auf, um den Dalai<br />
Lama zu treffen. Seine Heiligkeit hatte<br />
die jüdische Delegation eingeladen und<br />
eine Bitte geäußert: „Verratet mir euer Geheimnis<br />
– das Geheimnis des spirituellen Überlebens<br />
im Exil.“ Er, der 1959 nach blutig niedergeschlagenen<br />
Straßendemonstrationen für die<br />
Freiheit und Unabhängigkeit Tibets aus seiner<br />
chinesisch besetzten Heimat hatte fliehen müssen<br />
und seitdem im indischen Bundesstaat Himachal<br />
Pradesh am Fuße des Himalaja lebte,<br />
erhoffte sich Hilfe und Antworten. Von den<br />
jüdischen Führern, vor allem aber von einem<br />
Volk, das selbst über Jahrtausende der Verfolgung<br />
ausgesetzt war und es dennoch geschafft<br />
hatte, seine religiösen Bräuche und esoterischen<br />
Traditionen zu bewahren.<br />
Über eine Woche hinweg entwickelte sich<br />
ein nie zuvor dagewesener interreligiöser Dialog.<br />
Es war ein Austausch über Unterschiede,<br />
aber vor allem eine Entdeckung von Gemeinsamkeiten,<br />
nicht zuletzt Mystik und Meditation<br />
betreffend. Und am Ende war es nicht nur<br />
der Dalai Lama, der von seinen Gästen lernte,<br />
sondern auch umgekehrt: „Das Judentum<br />
durch seine Augen zu betrachten, ließ es in seiner<br />
ganzen Schönheit erstrahlen“, erinnert sich<br />
Rodger Kamenetz.<br />
Der damals 40-jährige amerikanische<br />
Schriftsteller und spätere Professor für Englisch<br />
und religiöse Studien an der Louisiana State<br />
University in Baton Rouge war der Einladung<br />
seines guten Freundes Dr. Marc Lieberman gefolgt,<br />
der die Delegationsreise organisiert hatte.<br />
Er sollte die oft stundenlangen Gespräche dokumentieren.<br />
Auf den ersten Blick hätte Liebermans<br />
Wahl des Chronisten nicht schlechter ausfallen<br />
können. Denn Kamenetz war nicht sehr<br />
spirituell. Zudem hatte er kurz zuvor ein Kind<br />
verloren und wurde nicht nur von Schmerz, sondern<br />
auch von Selbstzweifeln zerfressen, nachdem<br />
er auch noch einen Buchauftrag verloren<br />
hatte. Kurz: Er fühlte sich der Aufgabe alles andere<br />
als gewachsen, wie er 1999 in einer filmischen<br />
Dokumentation über das Treffen erzählte:<br />
„Warum war ich dort? Keine Ahnung.“<br />
In Dharamsala und umgeben von der Not<br />
und Armut der Tibetaner, die ihr Schicksal mit<br />
Gleichmut und Entschlossenheit schulterten,<br />
begann seine Schutzfassade aus Zynismus und<br />
Selbstentwertung jedoch schnell zu bröckeln.<br />
Anfangs nur Zeuge der Gespräche zwischen<br />
den Rabbis und dem Dalai Lama über das spirituelle<br />
Überleben eines Volkes im Exil, entdeckte<br />
Rodger Kamenetz in ihren Lektionen<br />
bald einen Weg aus seinem persönlichen Exil<br />
des Schmerzes.<br />
Es war eine Erfahrung, die Kamenetz und<br />
sein Leben für immer verändern sollte und die<br />
er in seinem 1994 erschienenen Buch The Jew<br />
in the Lotus festhielt. Zum 25-Jahre-Jubiläum<br />
seines internationalen Bestsellers, der nicht<br />
weniger als 37-mal neu aufgelegt wurde und<br />
heute Pflichtlektüre im Religionsunterricht an<br />
vielen US-Colleges ist, bat WINA den Autor<br />
zum Interview.<br />
wına-magazin.at<br />
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