NARRATIVE LEBENSGESCHICHTEN Brigitte Ungar- Klein: „Es ist der Wunsch, auch wenn die Vorzeichen sehr negativ sind, dass wir doch in eine positive Zeit gehen.“ 28 wına| Juli_August 2019
INTERVIEW MIT BRIGITTE UNGAR-KLEIN Als U-Boot ÜBERLEBT Die Wiener Historikerin Brigitte Ungar-Klein legt nun mit Schattenexistenz ihre langjährige Forschung zum Überleben als U-Boot in der NS-Zeit in Buchform vor. Insgesamt haben an die 1.000 Jüdinnen und Juden im Verborgenen in Wien überlebt, sagte Ungar-Klein im Interview mit WINA. WINA: Was war Ihre Motivation, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen? Brigitte Ungar-Klein: Es waren mehrere Zufälle. Der erste Zufall war, dass ich von Bekannten gehört habe, dass sie während des Krieges in einem Keller versteckt gelebt haben und dass sich ihre Lebenssituation danach sehr verändert hat, dass aus einem lebenslustigen Mann ein eher depressiver Mensch geworden ist, wo man nach 45 gemerkt hat, da war eine Zäsur und er konnte an das vorherige Leben nicht wirklich anschließen. Wann haben Sie davon erfahren? ❙ Das war Anfang der 1980er-Jahre. Etwas später, als ich mit meinem Studium bereits fertig war, aber weiterforschen wollte, hat mich Erika Weinzierl gefragt, ob ich mich mit U-Booten beschäftigen will. Ich habe eigentlich sofort zugesagt, ohne dass ich mir vorstellen konnte, erstens wie lange ich brauchen werde – wobei natürlich ein ganzes Berufsleben zwischen dem Anfang und jetzt dem Buch steht. Aber ich wusste auch überhaupt nicht, wo ich Informationen herbekommen könnte. Und es war auch nicht so, dass ich mir einfach Literatur hernehmen konnte, das hat es zum damaligen Zeitpunkt nicht gegeben. Was es gegeben hat, war das Buch von Erika Weinzierl Zu wenig Gerechte und, als Einstieg in diese Forschung, Briefe, die sie bekommen hat, nachdem sie einen Aufruf in Zeitungen gemacht hat, wer hat Juden geholfen? So bin ich zu den ersten Namen gekommen. Sie haben in der Folge mehrere Jahrzehnte an diesem Thema gearbeitet. Wie sah zu Beginn die Quellenlage aus, und haben sich über die Jahrzehnte auch neue Quellen aufgetan? ❙ Quellen hat es nur sehr beschränkt gegeben. Eben diese Briefe. Dann die bekannte Familie, die ich dazu Interview: Alexia Weiss Fotos: Daniel Shaked „Einige wenige haben das dann überlebt, abereinGroßteil dieser Aufgegriffenen ist genauso deportiert und ermordet worden.“ befragt habe. Von einer Freundin der Familie habe ich erfahren, dass die Mutter bei der Schwester überlebt hat, diese hat in einer „privilegierten Mischehe“ in der Naglergasse gewohnt. Dann habe ich selbst in der jüdischen Gemeindezeitung ein Inserat geschalten, und da haben sich einige Personen gemeldet, teilweise auch Personen, die selbst nicht betroffen waren, aber über U-Boot-Geschichten Bescheid wussten. Da hat sich zum Beispiel auch die Zion-Schwester Hedwig gemeldet, eine Tochter des Ehepaars Wahle, das versteckt in Wien gelebt hat. Sie hat mir über ihre Eltern ein Interview gegeben. Und so, step by step und zunächst einmal über oral history, also über narrative Lebensgeschichten, bin ich zu der Thematik gekommen. Dann haben mir meine Gesprächspartner auch erzählt, sie hätten sich bei Stellen gemeldet, es hat einen U-Boot-Verband gegeben, der hat Ausweise ausgestellt. Dem bin ich nachgegangen. So bin ich zur Information gekommen, dass es die „Zentralregistrierstelle für die Opfer des Naziterrors“ gegeben hat, wo man sich melden und angeben konnte, aus welchem Grund man verfolgt wurde, und da hat es eben auch schon ein Feld „U-Boot“ gegeben, das man ankreuzen konnte. Diese Karteikarten befinden sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Wie schwer ist/war es, hier auf nachvollziehbare Zahlen von Menschen, die als U-Boot in Wien gelebt oder überlebt haben, zu kommen? ❙ Letztgültig ist bei diesen historischen Forschungen eigentlich gar nichts. Es kann sich immer wieder irgendetwas ergeben. Vorausschicken möchte ich, dass die Definition, welche Personengruppe ich in meinem Buch behandle, eine ganz spezielle ist. U-Boot heißt für mich nicht ausschließlich versteckt sein, es geht mir um das Leben im Verborgenen, darum habe ich das Buch ja auch Schattenexistenz genannt. Es waren wına-magazin.at 29