03.09.2019 Aufrufe

juli_10.7

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ABSURDEM GLAUBEN SCHENKEN<br />

Bloßstellung der<br />

Otto Hans Ressler:<br />

Die Verleumdung.<br />

Novelle.<br />

edition splitter 2019,<br />

128 S., 20 €<br />

Niedertracht<br />

In der Novelle Die Verleumdung beleuchtet<br />

Otto Hans Ressler den Antisemitismus<br />

im verherrlichten „Wien um 1900“ und<br />

spannt den Bogen ins Heute.<br />

Von Marta S. Halpert<br />

I<br />

ch bin Otto Hans Ressler sehr dankbar,<br />

dass er diese dunkle und gewalttätige<br />

Seite des heute so verherrlichten<br />

‚Wien um 1900‘ wieder in<br />

Erinnerung ruft und in eine fesselnde<br />

Novelle verpackt.“ Mit diesen Worten<br />

leitet Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts<br />

für Zeitgeschichte der Universität<br />

Wien, das Buch Die Verleumdung des<br />

Kunstexperten und geschäftsführenden<br />

Gesellschafters der Ressler Kunst Auktionen<br />

GmbH, Otto Hans Ressler, ein.<br />

Als historische Hintergrundfolie<br />

nimmt Ressler, der schon 18 Bücher verfasst<br />

hat, den fast vergessenen Antisemitismus<br />

in der Habsburger Monarchie<br />

vor 1914 aufs Korn. Die Hauptfigur, der<br />

Fabrikant Baron Salomon Schön, klagt<br />

den rechtsradikalen Reichstagsabgeordneten<br />

Gerwald Holomek, Mitglied der<br />

Alldeutschen Vereinigung, auf Ehrenbeleidigung<br />

und Rufschädigung. Holomek<br />

beschuldigt die Schön & Co AG, der<br />

k.u.k. Armee untaugliche, ja Menschenleben<br />

gefährdende Perkussionsschlösser<br />

für das Repetiergewehr Steyr-Mannlicher<br />

geliefert zu haben. Diese Behauptung<br />

unterstellt Schön nicht nur Sabotage,<br />

sondern rückt ihn in die Nähe des<br />

Hochverrats. Die heftigen antisemitischen<br />

Polemiken während des Prozesses<br />

stehen im Zentrum der Novelle.<br />

„Meine ursprüngliche Absicht war es,<br />

ein Buch zu schreiben, in dessen Mittelpunkt<br />

ein Gerichtsprozess steht. In einem<br />

Antiquariat habe ich ein völlig zerfleddertes<br />

Heft entdeckt, in dem mehrere<br />

Prozesse aus der Zeit um 1900 beschrieben<br />

waren“, erzählt der ehemalige Auktionator<br />

im Wiener Dorotheum. „Da-<br />

runter war auch<br />

ein Prozess im Jahr<br />

1892 in Berlin, in<br />

dem ein Abgeordneter<br />

des deutschen<br />

Parlaments<br />

einen jüdischen<br />

„Mir ging es um<br />

dieBloßstellung<br />

von Lügen, von<br />

Niedertracht,von<br />

Bösartigkeit –und<br />

da gibt es heute<br />

mehr als genug<br />

Stoff.“<br />

Otto Hans Ressler<br />

Fabrikanten verleumdet,<br />

Gewehre<br />

für die Armee absichtlich<br />

unbrauchbar<br />

gemacht zu haben,<br />

um nach dem<br />

nächsten Krieg, der<br />

zwangsläufig verloren werden musste, die<br />

jüdische Weltherrschaft zu errichten.“<br />

Der gebürtige Steirer empfand das ungeheuerlich<br />

und absurd, wollte sich gar<br />

nicht vorstellen, dass tatsächlich jemand<br />

diesen Wahnsinn geglaubt haben konnte.<br />

„Andererseits erlebe ich Tag für Tag, dass<br />

das Ungeheuerliche, Absurde und Niederträchtige<br />

geglaubt wird.“<br />

Bloßstellung von Niedertracht und<br />

Bösartigkeit. Ressler verlegt den Ort<br />

der Handlung nach Wien und erzählt<br />

die Geschichte aus der Sicht des Anwalts<br />

des jüdischen Fabrikanten. Er beschränkt<br />

sich nicht darauf, die Abläufe des Prozesses<br />

zu beschreiben, der sich durch ständige<br />

Wiederholung der Propagandalügen<br />

der Gegenseite zu einer antijüdischen<br />

Hassorgie emporschaukelt, sondern fügt<br />

die Figur der geheimnisvollen Valerie<br />

Kronsky hinzu. Sie sorgt als begehrtes<br />

Liebesobjekt für die emotionale<br />

Dynamik zwischen<br />

den männlichen Hauptprotagonisten,<br />

dem Fabrikanten<br />

Schön, dem Abgeordneten<br />

Holomek und dem<br />

erzählenden Advokaten.<br />

Angesichts der Wucht des<br />

politischen Hauptstrangs<br />

wirkt diese von allen dreien<br />

geteilte Leidenschaft genau<br />

so konstruiert, wie sie<br />

ist. Aber die Schlusspointe<br />

tröstet darüber hinweg.<br />

„Ich wollte nie einen historischen<br />

Roman schreiben.<br />

Deshalb habe ich mir als<br />

handelnde Personen auch<br />

Menschen vorgestellt, die jetzt leben“, erzählt<br />

Ressler. „Ich bin sogar so weit gegangen,<br />

einzelne wörtliche Zitate von aktiven<br />

Politikern einzubauen. Mir ging es<br />

um die Bloßstellung von Lügen, von Niedertracht,<br />

von Bösartigkeit – und da gibt<br />

es heute mehr als genug Stoff. Wer hätte<br />

sich noch vor zwei Jahren vorstellen können,<br />

dass die Demokratie in Österreich<br />

unter Druck gerät, die Pressefreiheit, die<br />

Einhaltung menschenrechtlicher Grundsätze<br />

oder unser System des Ausgleichs<br />

der Interessen?“ <br />

wına-magazin.at<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!