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VON DER KONTINUITÄT ABLENKEN<br />

Der Holocaust<br />

als Folge<br />

CHRISTLICHER<br />

STIGMATISIERUNG<br />

Maccoby geht in Ein Pariavolk<br />

hart mit dem Christentum<br />

ins Gericht. Antisemitismus<br />

sei zwar kein nur in christlichen Gesellschaften<br />

auftauchendes Phänomen. Der<br />

Wissenschaftler unterscheidet zwischen<br />

griechischem, römischem, gnostischem,<br />

muslimischem und eben christlichem<br />

Antisemitismus. Nur Letzterer habe allerdings<br />

den Holocaust hervorgebracht.<br />

Der christliche Antisemitismus habe Juden<br />

auf einen Pariastatus hinabgedrückt<br />

und sie mit Stigma und Abscheu ausgestattet,<br />

„wodurch sie Ausbrüchen allgemeiner<br />

oder obrigkeitlicher Gewalt ausgesetzt<br />

wurden“. Bitteres Fazit: „Das Niveau der<br />

christlichen antisemitischen Propaganda,<br />

ihre Bestätigung in sakralen Texten und<br />

die Länge der Zeit, über die sie verbreitet<br />

wurde, sind ohne Parallele.“<br />

Das Neue Testament stellte die Juden<br />

als verfluchtes Volk hin, dem eine außergewöhnliche<br />

Bestrafung zugedacht war,<br />

so Maccoby. „Schon in den Schriften des<br />

Neuen Testaments gilt die Zerstörung des<br />

Tempels als Erfüllung dieses Fluches, und<br />

das spätere Exil der Juden (das in Wirklichkeit<br />

nicht vor der arabischen Eroberung<br />

im 7. Jahrhundert begann) wurde<br />

vordatiert und als weitere Erfüllung des<br />

Fluches betrachtet.“ Es sei allerdings nicht<br />

Die Schoah baut auf dem<br />

vom Christentum über<br />

Jahrhunderte geschürten<br />

Antisemitismus auf.<br />

Zu diesem Ergebnis kam<br />

der Talmudphilologe und<br />

Judaist Hyam Maccoby<br />

(1924–2004) in seiner 1996<br />

erschienenen Arbeit<br />

Ein Pariavolk. Zur<br />

Anthropologie des Antisemitismus.<br />

Der Verlag<br />

Hentrich & Hentrich<br />

brachte das Buch nun in<br />

deutscher Sprache heraus.<br />

Von Alexia Weiss<br />

„DasNiveauderchristlichenantisemitischen<br />

Propaganda,ihreBestätigunginsakralenTexten<br />

[…] sind ohne Parallele.“ Hyam Maccoby<br />

das Neue Testament selbst, dass die Juden<br />

zu einem Pariavolk degradiert habe. „Die<br />

Juden wurden zum Pariavolk als Folge<br />

des Triumphs des Christentums im Römischen<br />

Reich nach dem Regierungsantritt<br />

Konstantins, der sie zum ersten Mal<br />

zu einem untertanen Volk in einem christlichen<br />

Reich machte.“<br />

Doch auch dann dauerte es noch Jahrhunderte,<br />

bis Juden zu einer Pariagruppe<br />

in der christlichen Gesellschaft wurden.<br />

Trotz ständiger feindseliger Predigten<br />

hätten Juden ein menschliches und sogar<br />

würdevolles Erscheinungsbild behalten.<br />

Den Wendepunkt ortet Maccoby im<br />

11. Jahrhundert, „als Juden allmählich von<br />

der breiten Masse dämonisiert wurden:<br />

Sie wurden zur geächteten Gruppe, ausgeschlossen<br />

vom gesellschaftlichen Umgang,<br />

von der Mischehe und von jedem<br />

ehrbaren Beruf.“<br />

Die Kontinuität zwischen dem mittelalterlichen<br />

Pariatum und dem modernen<br />

Antisemitismus könne man deutlich<br />

in Russland sehen, wo die Abfassung der<br />

gefälschten Protokolle der Weisen von Zion<br />

stattfand. „Aber der größte Ausbruch von<br />

Antisemitismus fand nicht in Russland<br />

statt, sondern in Deutschland, wo die Kontinuität<br />

nicht ganz so stark ins Auge fällt<br />

und deshalb von allen geleugnet wurde, die<br />

den Antisemitismus von seinen christlichen<br />

Vorläufern loslösen möchten.“<br />

Rolle der Paria. In Deutschland seien<br />

Juden im 20. Jahrhundert nicht in Ghettoszusammengepferchtgewesen,sondern<br />

waren Richter, Professoren, Naturwissen-<br />

36 wına| Juli_August 2019

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