UNTERWEGS IN FRANKREICH Atlantikküste Impressionen von der Ile Madame. Links: Jean-Pierre und Elisabeth Mineau. S. 30: Ile d’Oléron bei Ebbe aus der Vogelperspektive. S. 31 oben: Fischerhütten auf der Ile Madame. S. 31 unten: Aquakulturanlage von Jean-Pierre und Elisabeth Mineau. 32 · Frankreich erleben · <strong>Juli</strong> / <strong>August</strong> <strong>2013</strong>
jeweils ein Haus auf der Insel besitzen. Die Eigentumsverhältnisse sind also überschaubar. Jean-Pierre und Elisabeth Mineau entsprechen aber nicht dem Klischee eines Großgrundbesitzers. Ich entdecke ein Paar voller Neugierde und Leidenschaft für das Meer und die Produkte, die es bietet. Die beiden gehörten zu den Ersten, die in Frankreich eine Aquakulturanlage aufmachten. « Selbst wenn es nicht immer einfach ist, gerade auch nach dem großen Sturm von 1999, der alles zerstörte, so ist es unser Lebenstraum, den wir hier verwirklichen », erzählt mir Elisabeth, die ein Kind der Gegend ist. Und ihr Mann ergänzt: « Es macht mir immer wieder Spaß, Kindern bei Besichtigungstouren erklären zu können, dass Austern nicht aus der Dose kommen. » Beide betreiben zudem ein Restaurant auf ihrer Farm, in das man unbedingt einkehren sollte. Wo kann man sonst so frisch zubereitetes Essen finden? Elisabeth stellt sich für ihre Gäste persönlich hinter den Herd. Doch danach muss ich mich beeilen. Die nächste Flut kündigt sich an und ich muss noch zurück aufs Festland. Fort Boyard, verschlossen und doch weltbekannt Als ich die Sommerferien bei meinen Großeltern verbrachte, gab es ein Bauwerk, das mich ganz besonders faszinierte: das Fort Boyard. Von der Ile de Ré konnte man es mit dem Fernrohr erkennen. Das 20 Meter hohe, 63 Meter lange und 31 Meter breite Fort sah aus wie ein auf einer Sandbank gestrandeter Ozeanriese. Mein Großvater erzählte mir von dem Film « Die Abenteurer » von Robert Enrico mit Alain Delon und Lino Ventura, für den 1966 Szenen im Fort Boyard gedreht wurden. Außerdem gab es Ausflugsboote, die das Fort umkreisten. Doch ansonsten war das ungewöhnliche Bauwerk zwischen der Ile d’Oléron und der Ile d’Aix für die Öffentlichkeit ein unzugängliches Mysterium. Übrigens ist das bis heute so. Die ersten Pläne für das Bollwerk entstanden aus militärischen Überlegungen heraus am Ende des 17. Jahrhunderts. In Rochefort hatte man damals ein neues Arsenal angelegt. Das Mündungsgebiet der Charente wurde deshalb ein strategisch bedeutender Ort. Um sich gegen Angriffe englischer Schiffe zu wehren, mussten Verteidigungsanlagen her. Die sich bereits auf der Ile d’Aix und Ile d’Oléron befundenen Festungen lagen mit einer Distanz von rund sechs Kilometern zu weit auseinander, um diese Aufgabe alleine übernehmen zu können. Damals reichten Kanonenschüsse maximal 1.500 Meter weit. Ludwig XIV. bat deshalb seinen Baumeister Vauban, ein drittes Fort zwischen den beiden Festungen zu errichten, und zwar auf einer Sandbank zwischen den beiden Inseln. Vauban untersuchte die örtlichen Gegebenheiten und – was für ihn eigentlich kaum vorstellbar war – lehnte den Auftrag ab. 1674 schrieb er an Ludwig XIV.: « Sire, es wäre einfacher, den Mond mit den eigenen Zähnen anzubeißen, als an dieser Stelle zu bauen. » Die Pläne von Ludwig XIV. blieben unverwirklicht. Da die Verteidigungslücke aber fortbestand, belebte Napoleon Bonaparte das Projekt 1801 neu. 1803 wurden die Arbeiten zum Bau eines Forts aufgenommen. Sie wurden aber erst 1859 abgeschlossen. Bei Baubeginn war vorgesehen, dass das Fort auf drei Etagen mit 74 Kanonen ausgestattet werden sollte. Außerdem wollte man eine Garnison von 260 Mann in der Festung unterbringen. Doch die Bauarbeiten dauerten zu lange und als das Fort endlich fertiggestellt war, waren die technischen Errungenschaften der Artillerie derart fortgeschritten, dass das Fort nicht mehr gebraucht wurde. Verbessere Kanonen konnten weiter schießen als bei Baubeginn, so dass man die Flussmündung problemlos von der Ile d’Aix und der Ile d’Oléron aus beschützen konnte. Außerdem hatte Frankreich 1845 mit England Frieden geschlossen, so dass die Gefahrenlage nicht mehr die gleiche war. Fort Boyard verlor also seine militärische Bedeutung, noch bevor es fertiggestellt war. Ersatzweise benutzte man das Bauwerk einige Zeit lang als Gefängnis. 1913 wurde es aber entwidmet und 1962 schließlich für 40.000 Euro an eine Privatperson verkauft. Weitere Eigentümer folgten und diverse Ideen wurden entwickelt, etwa die Umwandlung in ein Luxushotel oder die Eröffnung eines Restaurants. Doch alle Vorhaben scheiterten jeweils an den zu hohen Kosten für den Umbau und die Instandsetzung. Bis Jacques Antoine, ein bekannter Fernsehproduzent und Erfinder von TV-Shows, 1988 die Idee hatte, das Fort Frankreich erleben · <strong>Juli</strong> / <strong>August</strong> <strong>2013</strong> · 33