UNTERWEGS IN FRANKREICH Rhône-Tal Oben: Maison de la Pantoufle. Schon das Werbeschild zeigt, dass der Laden aus einer anderen Zeit stammt. Unten: Die Bäckerei « Chez Titin ». Rechte Seite: Impressionen von Montélimar sowie das Bistro « le 45ème ». Presse sicherlich ausgiebig behandelt wurde, ich im entfernten Paris aber nicht mitbekommen habe: Das 45. Fernmeldebataillon in Montélimar wurde bei einer Umstrukturierung des französischen Militärs am 30. Juni 2000 aufgelöst. Die Nachricht schlägt bei mir ein wie eine Bombe. Gleichzeitig spüre ich, wie meine leicht gedrückte Stimmung einer größeren Leichtigkeit weicht. Ohne die Kasernen wird es mir leichter fallen, ein neues Kapitel mit Montélimar aufzuschlagen. Montélimar, eine Stadt mit Ambitionen Diese Neuigkeit wird nicht die letzte Überraschung sein, die mich in Montélimar erwartet. Nachdem mir der Tankwart den Weg beschrieben hat und ich mein Auto geparkt habe, stehe ich vor großen Gebäuden, die perfekt saniert und mit modernen Designelementen verschönert wurden. « Espace d’Art Contemporain Saint-Martin », « Musée d’Art Contemporain Saint-Martin » und « Office de Tourisme » steht an den Fassaden. Niemals hätte ich eine so zeitgenössische Architektur in dieser Stadt erwartet. Das ganze Ensemble ist geradezu perfekt. Zwischen den sanierten Gebäuden schufen Landschaftsarchitekten einen idyllischen Stadtraum – mit Wiesen, kleinen Wasserinnen und Fontänen, alten Olivenbäumen und modernen Stühlen, Bänken und Liegestühlen. Ein paar Leute haben sich auf einem Stück Rasen zum Picknick getroffen. Im Schatten der Bäume findet sich eine Handvoll Senioren zum Klönen zusammen. Die Atmosphäre ist äußerst idyllisch und hat nichts mit meiner Erinnerung an Montélimar gemein. Da die Überraschung so groß ist, realisiere ich erst im zweiten Moment, dass diese Gebäude früher meine alte Kaserne beherbergten. Der Tankstellenwart hat mir den richtigen Weg gewiesen. Ich kann nicht fassen, was für ein Schmuckstück aus den Gebäuden geworden ist. Ich bin schlicht sprachlos. Mitten auf dem Platz, wo wir früher auf einer unwirtlichen Fläche aus Beton und Asphalt, umgeben von Mauern, als Soldaten marschieren mussten, existiert eine geradezu provenzalisch anmutende Allee mit Olivenbäumen. Hier entdecke ich ein Restaurant, dessen Name mich zum Lachen bringt: « le 45ème, bistrot d’aujourd’hui ». Untergebracht ist es in einem Gebäude, das aus den üblichen Zutaten zeitgenössischer Architektur besteht: große Fenster, Sichtbeton, Ziegelmauern und Stahl. Der Kontrast zu meinen Erinnerungen könnte nicht größer sein. Kein Zweifel: Montélimar hat den Abzug militärischer Einrichtungen als Chance für einen Neuanfang genutzt, anstatt sich seinem Schicksal zu ergeben. Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, in dieses Bistro, das mit seinem Namen auf mein Bataillon anspielt, einzukehren. Neugierig, mehr über den Umbau des alten Kasernengeländes zu erfahren, fange ich ein Gespräch mit dem Kellner an. Er erzählt mir, dass die Neugestaltung der Place Saint- Martin, dem Herzen des einst acht Hektar großen Kasernengeländes, vom renommierten Büro Wilmotte und Partner geleitet wurde. Das Büro ist weltweit aktiv und hat beispielsweise das Chiado-Museum in Lissabon saniert, den Innenausbau des hochgelobten internationalen Flughafens von Seoul, Incheon, verantwortet, die Stadtmöbel der Champs-Elysées entworfen und kürzlich das neue Mandarin Oriental Hotel in Paris gestaltet. Montélimar wollte also anscheinend den großen Wurf. Die Stadt will sich damit als lokale Hauptstadt etablieren. « Außerdem », so erzählt mir der Kellner weiter, « will man auch bei der Infrastruktur wieder aufschließen ». Die Lage der Stadt im Rhône-Tal machte Montélimar schon immer zu einem Verkehrsknotenpunkt, schließlich ist das Tal eine der wichtigsten Verkehrsachsen des Landes. So führte früher die berühmte Route Nationale 7, die Urlaubsroute der Pariser ans Mittelmeer, durch die Stadt. Heute übernimmt die Autobahn A7, an der Montélimar liegt, diese Funktion. Außerdem sorgte schon früh der TGV für gute Zugverbindungen. 62 · Frankreich erleben · <strong>Juli</strong> / <strong>August</strong> <strong>2013</strong>
Frankreich erleben · <strong>Juli</strong> / <strong>August</strong> <strong>2013</strong> · 63