Nr. 46 - Juli / August 2013

UNTERWEGS IN FRANKREICH Atlantikküste
zu erwerben und für einen symbolischen Franc an den
Conseil Général des Departements Charente-Maritime
weiterzuverkaufen. Im Gegenzug dazu verpflichtete Jacques
Antoine sich, aus dem Fort Boyard ein Fernsehstudio
zu machen, in dem Abenteuerspielshows aufgezeichnet
werden können. Diese Idee rettete die Festung auf der
Sandbank und stellt bis heute die Bestimmung des Bauwerks
dar.
Das Fort Boyard ist für die Öffentlichkeit unverändert
verschlossen. Doch dank der gleichnamigen Fernsehshow,
die vielfach ins Ausland exportiert wurde, ist das Bauwerk
inzwischen weltbekannt. Ausflugsboote umrunden die
Festung wie zu den Zeiten, als ich bei meinen Großeltern
die Ferien verbrachte. Ein Betreten des Bollwerks ist aber
nicht gestattet. Die Produktionsgesellschaft will eine gewisse
mystische Aura um das Fort Boyard am Leben erhalten,
die einen Teil des Reizes der TV-Shows ausmacht.
Ich habe allerdings das Glück, dass ich für Frankreich
erleben diese Reportage schreibe und damit bei der Produktionsfirma
mit Zustimmung des Conseil Général eine
Ausnahme erwirken konnte. So befinde ich mich an einem
stürmischen Tag auf dem Weg zum Fort Boyard. Die
Sandbank, auf der das Fort steht, ist nicht größer als das
Fort selbst. Bei Flut bleibt deshalb kein freies Land mehr.
Vielmehr scheint die Festung im Meer zu schwimmen.
Als ich das Innere des Forts betrete, bin ich von der
Ruhe erstaunt. Während draußen Wind und Wellen für
eine permanente Geräuschkulisse sorgen, ist es hinter
den dicken Außenmauern vollkommen still. Nur ein paar
Techniker der Produktionsfirma stören die Ruhe. Wie
jedes Jahr erwecken sie sechs bis sieben Wochen vor dem
Sommer das Bauwerk aus dem Winterschlaf und bereiten
es für die nächsten TV-Aufzeichnungen vor. Die Aufnahmen
ziehen sich zwischen sieben und 15 Wochen hin, je
Dominique Bussereau,
Präsident des Conseil Général des
Departements Charente-Maritime
Dominique Bussereau hatte unter
Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy
schon mehrmals den Posten als Staatssekretär
und Minister inne, insbesondere
in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft
und Finanzen. Seit 2008 ist
er der Präsident des Conseil Général
des Departements Charente-Maritime
und seit 2010 auch Abgeordneter in
der Nationalversammlung.
Monsieur Bussereau, von Ihrem Büro
aus erkennt man das gesamte Archipel,
für das wir uns in dieser Reportage interessieren,
darunter auch die Silhouette
vom Fort Boyard. Das Departement
Charente-Maritime identifiziert sich
sehr mit diesem Bauwerk. Auf vielen offiziellen
Dokumenten und in Broschüren
wird es als Symbol für das Departement
verwendet. Warum?
Das Fort Boyard ist ein ganz besonderes
Bauwerk. Die Menschen
hier fühlen sich sehr mit dem Fort
und seiner Geschichte verbunden.
Außerdem ist es wegen seiner jüngeren
Vergangenheit interessant. Seit 1990
werden im Fort Boyard Spielshows
aufgezeichnet, die in der ganzen Welt
gezeigt werden. Jede Folge wird von
Millionen Fernseh
zuschauern
ver folgt. So wurde
es rund um den
Globus berühmt.
Im Sommer kommen
die Menschen
dann hierher
und machen eine
Bootstour zum
Fort, wobei dieses
aber nur umkreist
werden kann. Sie
sind auf der Suche nach der besonderen
Magie des Fort Boyard.
Diese jüngere Geschichte ist
einzigartig. Ein Departement wird
Eigentümer eines architektonischen
Erbes. Das ist nichts Ungewöhnliches,
werden Sie jetzt einwenden, sondern
eigentlich die Regel. Doch dann
überträgt das Departement die Nutzungsrechte
an eine TV-Produktionsgesellschaft,
was dazu führt, dass die
Sehenswürdigkeit weltbekannt wird,
obwohl sie kein Besucher betreten
darf. Wo ist so etwas sonst schon in
Europa passiert?
Das war am Anfang aber auch ein
sehr gewagtes Vorgehen...
Ja, das ist richtig. Als der TV-
Produzent Jacques Antoine Ende
der 1980er-Jahre an die Türen des
Conseil Général klopfte, hätte sich
niemand ausgemalt, welche Wirkung
seine Spielshows einmal erzielen
würden. Das Departement sollte
nach seiner Idee das Fort erwerben,
um es ihm anschließend für sein TV-
Projekt zu überlassen. Das bedeutete
für beide Seiten ein großes Investment.
Das Departement verpflichtete
sich als Eigentümer zum Unterhalt
des Bollwerks. Die Produktionsgesellschaft
kümmerte sich um alles,
was mit der Funktion als Fernsehstudio
zu tun hatte. So waren die Aufgaben
von Anfang an klar verteilt.
34 · Frankreich erleben · Juli / August 2013