Griaß di´Winter: Zeit zum Träumen
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ALLGÄU HEIMATLICH | Heiliger Nikolaus<br />
doch liebend gern schlüpft er ins Nikolausgewand.<br />
© Andreas Reimund<br />
Im richtigen Leben ist Franz Horn Käsermeister,<br />
© Bettina Buhl<br />
„Der Knecht Ruprecht wär mir eigentlich lieber gewesen“,<br />
gesteht Horn über vier Jahrzehnte später, und die Ecken seines<br />
weißen Rauschebarts um den Mund wandern verschmitzt nach<br />
oben. „Denn da hätte ich nix sagen müssen.“ Aber Horn sagte zu.<br />
Am Nachmittag übte er mit den Kindern noch Schuhplattler, am<br />
Abend kam er zu ihnen als Nikolaus.<br />
So schlüpfte er <strong>zum</strong> ersten Mal in das traditionelle Gewand. Freilich<br />
war das noch lange nicht so aufwendig, so edel und ausgefeilt<br />
wie jene Sachen, die er heute trägt. Ein vom Pfarrer geliehener roter<br />
Umhang, eine weiße Kutte darunter. Damit ihn seine Schützlinge<br />
nicht erkannten, zog er sich eine Nikolaus-Plastikmaske über,<br />
die irgendjemand im Vereinsfundus ausgegraben hatte.<br />
„Ich war furchtbar nervös. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich<br />
das überhaupt kann“, erinnert sich Horn. Dazu kam: Unter der<br />
Maske war er nur schwer zu verstehen, der Schweiß lief ihm vom<br />
Haaransatz über die Stirn und die Schläfen entlang. „Ich war<br />
froh, als ich wieder daheim war.“ Da fasste er einen Entschluss:<br />
Das nächste Jahr kauft er sich für seinen Nikolausauftritt etwas<br />
Gescheites! Damit war es um ihn geschehen.<br />
Jahr für Jahr erweiterte Franz Horn seine Kostüm-Sammlung:<br />
ein ordentlicher Bart, ein feierlicher Rauchmantel, eine Stola,<br />
eine Bischofsmütze, ein imposanter Bischofsstab, ein Bischofsring<br />
über den weißen Handschuhen, eine Albe (also das weiße<br />
Untergewand), ein Schultertuch – wenn Nikolaus, dann richtig!<br />
Seitdem macht Franz Horn an den Tagen rund um den 6. Dezember<br />
Hausbesuche, ist bei Weihnachtsmärkten zu Gast, geht<br />
in Kindergärten, Schulen, Vereine, Firmen, Senioren- und Behindertenheime.<br />
Dorthin bringt er Geschichten, Gaben, Freude. Und meist geht<br />
er nicht mit leeren Händen. Oft malen Kinder ein Bild für den<br />
Nikolaus oder er sammelt andere Andenken. Auch unterm Jahr<br />
lässt ihn sein Vorbild nicht los, er verschlingt mit Freude alles,<br />
was er über den Heiligen finden kann, recherchiert für sein Leben<br />
gern.<br />
Wer sich in der Vorweihnachtszeit mit Franz Horn treffen und<br />
mit ihm über den Heiligen Bischof aus Myra sprechen will, landet<br />
also unausweichlich in seiner Gartenhütte. Wo sonst kommen all<br />
die Geschichten vom gütigen Mann, der über die Kinder wacht,<br />
besser zur Geltung? Horn jedenfalls kennt die meisten davon –<br />
und er hat auch sonst einiges zu erzählen.<br />
Gelebte Barmherzigkeit<br />
„Für mich ist der Nikolaus ein Vorbild. Er lebte die Barmherzigkeit<br />
und er stellt auch im Kleinen das Weltgericht dar. Er erinnert<br />
mich nämlich immer wieder daran, über das eigene Handeln<br />
nachzudenken: Wie kann ich mich besser verhalten? Was hätte<br />
ich anders tun können?“ So nehme Horn bei jedem Besuch, bei<br />
jedem Kind, auch für sich selbst eine Lektion mit.<br />
„Von Kindern kann man unheimlich viel lernen“, ist er überzeugt.<br />
Allein die unverblümte Sicht der Kleinen, die Direktheit<br />
verblüffe ihn immer wieder. Natürlich stoße er manchmal an<br />
seine Grenzen und hatte auch schon mal keine Antwort auf eine<br />
Kinderfrage parat. „Aber das macht nichts. Der Nikolaus ist<br />
menschlich und ich zeige, dass ich ein Mensch bin und nicht allwissend.“<br />
Diese Reife musste sich der Missener erst aneignen, Erfahrungen<br />
sammeln. Von anderen Nikolausdarstellern konnte er zunächst<br />
nicht viel lernen. Wer selbst als Nikolaus unterwegs ist,<br />
hat keine <strong>Zeit</strong>, anderen Nikoläusen über die Schulter zu schauen.<br />
116 | <strong>Griaß</strong> di’ Allgäu