Griaß di´Winter: Zeit zum Träumen
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Gleitschirm-Abenteuer | ALLGÄU SPORTLICH<br />
Ein erhabenes Gefühl erlebte unsere<br />
Autorin beim Flug mit Robert Blum.<br />
Wenige Sekunden dauert es, bis der Boden unter<br />
den Füßen fehlt. Nachdem Robert Blum das<br />
Kommando „Lauf!“ erteilt hat, folgen zwei<br />
Schritte und der dritte schon geht ins Leere.<br />
Wir fliegen, irgendwo über dem Nebelhorn. Zurückgelehnt im<br />
Sitz, trägt uns der Wind hoch in die Luft wie eine Feder. Felsen,<br />
Bäume und Berge schrumpfen unter uns. Robert Blum zieht an<br />
der linken Steuerleine und schiebt mein Körpergewicht wie ein<br />
Pendel nach rechts. In Schräglage schweben wir auf einen Grat<br />
zu. Der Pilot sucht nach Thermik. Das Variometer (ein GPS-Gerät<br />
für Flieger) piepst. Die Thermik ist gefunden worden.<br />
Langsam schrauben wir uns nach oben und segeln über den<br />
grünen Seealpsee zur Höfats. Es scheint, als könnten wir ihr Gipfelkreuz<br />
mit den Füßen streifen. So nah sind wir dem Berg. Und<br />
einsam am Himmel. Nicht ganz: Ein Steinadler gleitet über unsere<br />
Köpfen hinweg. Unsere Flügel sind der Schirm, aber er funktioniert<br />
nicht ohne Mühen: Jeder Lufthauch muss genutzt werden,<br />
um Höhe zu gewinnen, die schnell wieder verloren geht. Die<br />
Wetterlage am Tag unseres Gleitschirmflugs ist anspruchsvoll,<br />
aber kein Problem für den deutschen Rekordhalter im Langstreckenflug,<br />
der schwierige Bedingungen gewohnt ist. Robert Blum<br />
ist ein Maestro der Lüfte. Ein Auszug seiner letzten Reise.<br />
Sommer 2018: Zusammen mit seinem Freund Andi Egger<br />
überfliegt Blum den Kaukasus und erkundet Aserbaidschan und<br />
Georgien. Aufgrund der politisch unsicheren Lage planen die beiden<br />
Allgäuer ihre Routen mit ausreichend Abstand zur russischen<br />
Grenze und zur Konfliktregion. Bevor es losgeht, sägen sie die<br />
Stiele der Zahnbürsten ab und packen einen Wasserkocher sowie<br />
das Notwendigste ein. Jedes Gramm zählt. Zum ersten Aufstiegspunkt<br />
in Georgien fahren sie im Bus bei knapp 40 Grad auf Reissäcken<br />
sitzend. Danach überwinden sie 2000 Meter in der Mittagshitze.<br />
Mit 20 Kilo auf dem Rücken schmerzen die Schultern<br />
und der Schweiß rinnt in Strömen.<br />
Wetter schlägt Kapriolen<br />
Die Nächte verbringt das Duo unter freiem Himmel oder im Biwak,<br />
während das Wetter Kapriolen schlägt. Die beiden Allgäuer<br />
fliegen mit dem Gleitschirm und marschieren entlang des Hauptkamms<br />
vom Großen Kaukasus, vorbei am mächtigen Doppelgipfel<br />
des 4773 Meter hohen Ushba. Es sind abenteuerliche Flüge<br />
über fremder Erde, hunderte von Metern, immer über wilde<br />
Landschaften. Und die beiden Piloten sind voller Adrenalin.<br />
„In manchen Wolken hatte ich Angst“, gesteht Robert Blum.<br />
„Ich brauchte Mut, um über die endlos waldigen Täler zu fliegen<br />
und habe mich letztendlich auf mein Flugkönnen verlassen.“<br />
<strong>Griaß</strong> di’ Allgäu | 149