SPIEGEL START 01/2021
Das Magazin für Uni und Arbeit SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre. Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund. Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
Das Magazin für Uni und Arbeit
SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre.
Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund.
Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
STUDIUM UND BERUFSEINSTIEG
»IRGENDWANN KONNTE
ICH MICH NICHT
MAL MEHR AUFRAFFEN,
ZU DEN SEMINAREN ZU
FAHREN.«
Das Pendeln als
Prüfung: Autor
Horstmann
am Bahnhof in
Hamburg
Natürlich hatte ich meine Entscheidung freiwillig
getroffen, und es gab gute Gründe, in Hamburg
zu bleiben. Hauptsächlich waren das die Menschen,
die ich in meinem ersten Jahr dort kennengelernt hat -
te und die heute noch zu meinen engsten Freunden
zählen.
Doch wenn ich abends in Hamburger Kneipen
saß, verpasste ich das Lüneburger Nachtleben. Die
Kontakte, die ich in der Uni knüpfte, beschränkten
sich auf die Pausen zwischen Veranstaltungen. Wenn
sich meine Kommiliton:innen am Montag gegenseitig
von WG-Partys erzählten, konnte ich nicht mitreden.
Das soziale Umfeld ist aber ein wichtiger Teil des
Studiums, wie etwa das Studierendensurvey der Universität
Konstanz zeigt. Zwischen 1982 und 2017 wurden
dafür Studierende an mehreren Hochschulen befragt.
Eines der Ergebnisse: Wer unzufrieden mit der
Anzahl der Kontakte zu Kommiliton:innen ist, bekommt
eher Probleme mit den Leistungsanforderungen
im Studium – und auch mit dessen Organisation. Laut
den Wissenschaftler:innen liegt das daran, dass der Austausch
über Inhalte und Struktur fehle.
Ich weiß genau, was sie damit meinen. Modulstrukturen
können verflucht kompliziert sein, Fristen
schnell vergessen werden. Gespräche mit anderen Studierenden
helfen, sich zurechtzufinden. Auch wenn
es manchmal nur beiläufige Fragen sind wie die, ob
man sich denn ebenfalls schon zur Prüfung angemeldet
habe – sie können Katastrophen verhindern.
Zum Glück hatte ich in der Einführungswoche einen
anderen Pendler kennengelernt. Wir trafen uns
regelmäßig am Hamburger Hauptbahnhof und fuhren
gemeinsam zur Uni. Nach kurzer Zeit kam noch eine
weitere Person hinzu, und wir wurden eine richtige
Gang: Wir lernten gemeinsam, gingen unter der Woche
zusammen in die Lüneburger Mensa und am Wochenende
in Hamburger Bars.
Doch irgendwann waren meine Pendlerfreunde
fertig mit dem Studium. Ich hatte mir herausgenommen,
auch mal eine Hausarbeit nicht zu schreiben,
wenn mich das Seminarthema nicht interessierte, und
hing deshalb etwas hinterher. Als ich schließlich kaum
noch jemanden an der Uni kannte, wurde ich immer
langsamer. Und einsamer. Ich hatte niemanden mehr,
mit dem ich Seminartexte oder Ideen für Hausarbeiten
besprechen konnte, ich führte keine Gespräche über
Uni-Themen, die mich motivierten und inspirierten.
Bloß in den Seminaren anwesend zu sein reichte nicht.
Irgendwann konnte ich mich nicht mal mehr aufraffen,
zu den Seminaren zu fahren. Wenn der Wecker
um acht Uhr klingelte und niemand am Hauptbahnhof
auf mich wartete, hatte ich immer häufiger das Gefühl,
dass es egal war, ob ich zur Uni fuhr oder nicht. Eine
Anwesenheitspflicht gab es in meinem Studiengang
nicht, jetzt fehlte auch noch die soziale Kontrolle. Also
blieb ich am Anfang ein paarmal und am Ende die
meiste Zeit liegen.
In meinem Studiengang waren beinahe alle Prüfungen
Hausarbeiten. Und die kann ich ja trotzdem
schreiben, sagte ich mir. Tatsächlich habe ich nur zwei
Hausarbeiten abgegeben, ohne regelmäßig im Seminar
gewesen zu sein. Bei allen anderen Arbeiten meldete
ich mich zwar zur Prüfung an, saß dann aber allein
vor Schriften zu negativer Dialektik oder Phänomenologie,
die ich schnell wieder zur Seite legte. Ich schob
die Prüfungen vor mir her, beschäftigte mich mit anderen
Dingen. Die Uni war ja in einer anderen Stadt
und ließ sich gut verdrängen.
Geändert hat sich das erst mit der Coronapandemie.
Sie hat das Studieren für mich einfacher gemacht.
Denn in den vergangenen Semestern war der
Weg zur Uni für alle ungefähr gleich weit: vom Bett
an den Schreibtisch. Es ist wirklich erstaunlich, wie
schnell ich plötzlich nicht nur wieder in den alten Themen
war, sondern auch neue Fragen und Gedankengänge
entwickelte. Ich hatte meinen Studiengang vor
Jahren ganz bewusst gewählt, ich brannte für die Inhalte,
und ich war gut darin. Aber irgendwo zwischen
Hamburg und Lüneburg war meine Motivation verloren
gegangen.
Inzwischen habe ich meine Bachelorarbeit abgegeben.
30 Seiten, in nur zwei Monaten hatte ich sie recherchiert
und geschrieben. Ich bekam sogar eine gute
Note dafür, aber das interessierte mich überhaupt nicht
– ich hatte es endlich geschafft. Und während ich allen
Studierenden wünsche, dass sie bald wieder in die Uni
dürfen, bin ich froh, dass ich nie wieder dorthin pendeln
muss.
Nr. 1 / 2. 10. 2021 SPIEGEL START 29