ALLTAG UND BEZIEHUNGIm »BotanicalRoom« gibt es zujedem verkauftenExemplar einenSteckbrief.76 SPIEGEL START Nr. 1 / 2. 10. 2021
ALLTAG UND BEZIEHUNGEsperit, ein niederländischerZimmerpflanzen-Großzüchter,achtet aufNachhaltigkeit –die Endabneh -mer:innen erfahrendavon aber nichts.BUND. Vor allem aber speichert Torf Kohlenstoff, und beim Abbaustößt er das klimaschädliche CO 2 aus.Auch bei Esperit aus Holland wird Torf verwendet – er istfester Bestandteil der für das Unternehmen speziell angefertigtenPflanzenerde. Sowohl in der EU als auch in Deutschland suchtman vergebens nach Beschränkungen beim Torfverkauf. Aus derIndustrie ist er nicht wegzudenken, beim Privatgebrauch wirdan das Gewissen der Verbraucher appelliert. Aber: Wer eineZimmerpflanze kaufen will, muss davon ausgehen, dass Torf imTopf ist.PFLANZEN ALS STÜCK HEIMATSeit Ende 2019 soll ein EU-weiter »Pflanzenpass« mehr Klarheitbringen – aber auch der macht den Weg der Pflanze nicht wirklichnachvollziehbar. Vielmehr geht es um Importbestimmung zurVermeidung von Einschleppung von Schädlingen. Nur die letzteStation der Aufzucht muss in dem Pass angegeben werden. EchteTransparenz? Fehlanzeige.Dem Hype tut das keinen Abbruch. Esperit bedient die steigendeNachfrage nach trendigen Pflanzen. Auf der Suche nachdem nächsten großen Verkaufsschlager ist kein Weg zu weit. »Wirsind in Kontakt mit bestimmten Leuten, meistens aus Asien, Afrikaoder Südamerika«, erklärt Yoram Westhoff. »Sie suchen in ihrenRegionen nach neuen Pflanzen, die sie an uns verkaufen können.Es sind sozusagen Pflanzenjäger, Plant-Hunters, weil sie immerauf der Jagd nach Pflanzen sind.«Aber auch auf der Farm in den Niederlanden werden neueTrends produziert. Sobald eine Pflanze anders wächst, aus derMasse heraussticht, eine andere Farbe annimmt, züchten die Gärtnerinnenund Gärtner von Esperit Plants mehrere Jungpflanzenaus dieser Abweichlerin. Das dauert in der Regel zwei bis fünfJahre.Eine Investition, die sich lohne, meint Yoram Westhoff. Erzeigt auf eine Ansammlung von hüfthohen Gewächsen mit riesigenFoto: Christina Spitzmüller / DER SPIEGELgrünen Blättern und einem schwarzen Stiel. Alocasia Black Sabrinaheißt die Neuschöpfung – Alocasias haben eigentlich einen grünenStiel. Eine aber wuchs mit einem schwarzen. »Das ist das Außergewöhnlichste,was wir in den letzten Jahren gefunden haben.«Ein Fehler der Natur, sagt er. »Aber ein schöner Fehler.« Die AlocasiaBlack Sabrina wird mittlerweile hundertfach produziert undverkauft.Stehen die Pflanzen dann erst mal in den Wohnungen, musssich der Mensch kümmern. Gibt es neben ihrem Designwert auchnoch eine emotionale Mensch-Pflanzen-Verbindung? Rahemipourglaubt, dass Pflanzen für viele ein Stück Heimat seien. »Es istetwas anderes, ob ich etwas Lebendiges oder einen geerbtenSchrank von Wohnung zu Wohnung umziehe. Ich habe zum Beispiel,als ich vor vielen Jahren von zu Hause ausgezogen bin, einenPfennigbaum von meiner Mama geschenkt bekommen. Mittlerweilegibt es diesen Pfennigbaum in Hunderten Setzlingen. Aberder ursprüngliche Pfennigbaum ist ein ganz wichtiger Teil meinesLebens, und der darf nicht sterben.«In der Botanik gebe es ein interessantes Konzept, das sich»plant blindness« nennt, so die Kulturwissenschaftlerin. Das könneman sich so vorstellen wie das Salz im Essen. »Ist es drin, fällt esnicht weiter auf, ist es aber nicht drin, fehlt es.« Bei Pflanzen seidas genauso. Die Leute sind von Grün umgeben, und sie sehen,dass das Ambiente stimmig ist. Aber sie verstehen nicht so richtig,warum.Die Zimmerpflanze als Lebensbegleiterin also, zu der Menscheneine Beziehung aufbauen und ohne die eine Leerstelle bleibt.Für Hanni Schermaul aus Berlin-Kreuzberg sind die stilvollenPflanzen in erster Linie ein Geschäft. Dass sie in gute Hände geraten,ist ihr trotzdem wichtig, sagt sie. Jeder Kunde, jede Kundinbekomme mit den gekauften Pflanzen einen Steckbrief, auf demsteht, wie oft sie gegossen werden darf und wie viel Licht siebraucht. Ein Raum ohne Pflanze, sagt Hanni Schermaul, sei keinvollständig eingerichteter Raum.Nr. 1 / 2. 10. 2021 SPIEGEL START 77