05.10.2021 Aufrufe

SPIEGEL START 01/2021

Das Magazin für Uni und Arbeit SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre. Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund. Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.

Das Magazin für Uni und Arbeit

SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre.

Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund.

Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.

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POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

WENN

DEUTSCHLAND

EIN LAND

DER VEGANER

WÄRE

Burger vom Acker, keine Gülle und kein Schlachten mehr:

ein Gedankenexperiment, das nach Utopie klingt.

Es ist machbar. Eine heile Welt wäre es trotzdem nicht.

TEXT BERNHARD PÖTTER

FOTOS THOMAS VICTOR

A

uf den ersten Blick betreibt Daniel Hausmann einen ganz

gewöhnlichen Hofladen. Im Erdgeschoss seines Bauernhauses

im sächsischen Breitenborn stehen Tische, an den

Wänden hängen Zettel und Plakate, in den Regalen lagern

Nudeln, Gemüse und Obst zum Verkauf. Der zweite Blick

offenbart: Die Milch ist aus Hafer, die Nudeln enthalten kein Ei,

und das Schmalz besteht aus Pflanzenfett. Auf den Zetteln an der

Pinnwand heißt es »Der Mensch isst aus Gewohnheit Tier« und

über einem Bild mit Hund und Ferkel: »Wen streicheln? Wen

essen?«

Der junge Bauer hat seinen veganen Hofladen ausgerechnet

im ehemaligen Kuhstall des Bauernhauses eingerichtet, das hier

seit etwa 1900 steht. Hausmanns Kohl, Pastinaken und Lauch liegen

auf dem alten Futtertrog an der Wand, die

Eisenringe in der rissigen Steinwand zeugen

von der Viehhaltung. »Ich bin mit Kühen aufgewachsen«,

sagt der 30-jährige Landwirt,

»aber es hat sich immer komisch angefühlt,

wenn die Kälber zum Schlachten abgeholt wurden.«

Deshalb gibt es auf Hausmanns Hof seit

neun Jahren keine Nutztiere mehr. Als er zur

Anja Bonzheim,

veganen Landwirtschaft wechselte, stellte er sogar

das Düngen mit Kuhdung ein. Aus der offe-

Öko-Agrarberaterin

nen Tür seines Ladens blickt er jetzt auf den

tierfreien Komposthaufen aus geschnittenem

Kleegras, daneben blühen die alten Apfelbäume

einer Streuobstwiese, begehbare Folientunnel

schützen Salatköpfe, Schnittlauch und Spinat

vor Kälte und Schnecken.

»Die extrem große Abwechslung bei Anbau und Fruchtfolge

»Wir haben dann

mehr Vielfalt in

der Natur und auf

dem Teller.«

reizt mich«, erzählt der junge Mann im Anorak. Hausmann arbeitet

mit etwa 50 Gemüsearten und Getreide auf 20 Hektar Land.

200 Kisten mit Gemüse liefert er jede Woche an seine Kund:innen

aus. Zwischen Leipzig und Chemnitz der einzige Landwirt zu sein,

der aus Überzeugung keine Tiere habe, mache ihn stolz, sagt er.

»Wir sind eine vegane Insel hier.«

EIN LAND MIT VIEL PLATZ

Was aber wäre, wenn aus dieser Insel Festland würde? Wenn ganz

Deutschland und nicht nur eine Minderheit vegan leben würde?

Wie würde eine solche Umstellung das Land, seine Landschaft

und seine Landwirtschaft verändern?

Nach einer Studie des Allensbach-Instituts bezeichnen sich

mittlerweile über 1,1 Millionen Menschen in Deutschland als Vega -

ner:innen. Die Produktion von Fleischersatzprodukten steigt steil

an, 2020 um mehr als 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr, allerdings

auf sehr niedrigem Niveau. Bei vielen jungen Menschen vor

allem in den Städten ist veganes Leben längst zum Standard geworden.

Vegane Cafés und Restaurants sind so normal wie die

fleischlosen Ersatzprodukte im Wurstsortiment der Super märkte.

Schon eine Landwirtschaft, die flächendeckend deutlich weniger

Fleisch und Milchprodukte produzierte, würde eine riesige

Veränderung bedeuten. Dies ergab eine umfangreiche Studie weltweiter

Fachleute 2019. Würde die Landwirtschaft

so umgestellt, dass sie einen angemessenen

Beitrag zu den Pariser Klimazielen leistete,

müsste »der globale Verbrauch von Lebensmitteln

wie rotem Fleisch um über 50 Prozent sinken,

während sich der Konsum von Nüssen,

Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten mehr als

verdoppeln müsste«. Vollständig vegetarisch

oder gar vegan würden die Bauern dann noch

lange nicht wirtschaften. Bis jetzt ist das je nach

Blickwinkel Utopie oder Dystopie.

»Wie ein völlig veganes Deutschland

aussehen könnte, darüber gibt es bei uns keine

Studien«, sagt Michael Welling vom Thünen-

Institut, dem Bundesforschungsinstitut für

Ländliche Räume, Wald und Fischerei. Auch

beim Max Rubner-Institut, der Forschungseinrichtung des Bundes

für Ernährung und Lebensmittel: Fehlanzeige. »Das liegt so weit

abseits des Realistischen und betrifft sehr wenige Menschen, deshalb

sind Untersuchungen schwierig«, so Welling. Weder Deutscher

Bauernverband noch Umweltbundesamt oder Weltklimarat

haben wissenschaftliche Projektionen, wie eine Versorgung

Deutschlands ganz ohne Fleisch, Milch, Käse, Joghurt, Quark und

Leder aussehen könnte.

Was sich allerdings sagen lässt: Ein veganes Deutschland

wäre ein Land mit viel Platz. Das ergibt ein solches Gedanken -

experiment nach vielen Gesprächen mit Landwirt:innen, For-

44 SPIEGEL START Nr. 1 / 2. 10. 2021

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