SPIEGEL START 01/2021
Das Magazin für Uni und Arbeit SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre. Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund. Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
Das Magazin für Uni und Arbeit
SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre.
Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund.
Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
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etwa 15 Rindern, die oberhalb ihres Hofs stoisch im saftigen Kleegras
dem kalten Regen trotzt. Dazu kommen etwa 40 Hühner,
die sich auf der Weide gegenüber unter einen alten Anhänger ducken.
Und im Stall warten Umsi und Gunda, die beiden schwarzen
sächsischen Warmblüter, auf ihren Einsatz vor dem Pflug. Ohne
Nutztiere ginge auf Bohnes Hof nicht viel. Für die Bohnes ist vegane
Landwirtschaft eine interessante Idee, mehr nicht. »Zur
bäuer lichen Landwirtschaft gehören Ackerbau und Viehzucht«,
sagen sie. Doch wenn sie sechs Rinder im Jahr schlachten, dann
gehe ihr das schon nahe, sagt Synke Bohne. »Aber das gehört
dazu, sie hatten ja ein gutes Leben.«
Auf dem Tisch liegt die Preisliste für das Rindfleisch, das sie
im Hofladen verkaufen. Ein Kilogramm Lende für 46 Euro, Gulasch
für 16 Euro. »Wir sind keine Veganer, wir halten und schlachten
Tiere«, sagt Synke Bohne, »aber ich habe mehr Verständnis
für einen Veganer als für jemanden, der Billigschnitzel für
2,99 Euro kauft.«
KLIMAZIELE LEICHTER ERREICHEN
Tatsächlich habe die Bundesrepublik ungewöhnlich gute Bedingun -
gen, sich selbst vegan zu versorgen, sagt Agrarexperte Urs Niggli.
»Denn in Deutschland sind nur rund 30 Prozent der landwirtschaftlichen
Fläche Grünland«, also Wiesen und Weiden, die zu
karg, zu steil, zu nass oder zu abgelegen sind für den Anbau von
Obst, Gemüse oder Getreide. »Weltweit sind das aber 67 Prozent«,
zeigt der Experte anhand einer Statistik der
»Landwirten würde
ohne Tierhaltung
die Hälfte ihrer
Wertschöpfung
verloren gehen.«
Welternährungsorganisation FAO. In anderen
EU-Ländern sei die Bedeutung des Grünlands
ebenfalls viel größer als in Deutschland. Wenn
diese Flächen nicht mit Wiederkäuern wie Rindern,
Schafen oder Ziegen beweidet würden,
fielen sie für die Nahrungsproduktion aus.
Aber auch in einem veganen Deutschland
würde das Grünland nicht einfach sich selbst
überlassen. Ganze Regionen würden sonst mit
Büschen und später Bäumen zuwuchern. Das
aber bedeute eine Gefahr für Tier- und Pflanzenarten
aus der Kulturlandschaft, sagt Reinhild
Benning, Agrarexpertin bei der Deutschen
Umwelthilfe DUH. »Am meisten bedroht sind
Tiere und Pflanzen der agrarökologisch genutzten
Agrarlandschaft, etwa Kiebitz, Braunkehlchen, Uferschnepfe
oder Wiesen-Bocksbart sowie Kuckucks-Lichtnelke«, sagt sie. Eine
Landwirtschaft ohne Nutztiere sei für viele bedrohte Arten deshalb
kein Fortschritt. Dazu komme, dass gerade Wiesen und Weiden
große Mengen Kohlenstoff im Boden speichern.
Doch es gibt Lösungen. Kühe – allerdings in viel kleineren
Herden als heute – fressen ihre Weiden in Zukunft weiter ab und
düngen sie mit ihren Hinterlassenschaften, sodass Wildkräuter
und Insekten sich vermehren können. Schafe und Ziegen ziehen
über Deiche und Berghänge, um sie festzutreten. Außerdem erhalten
sie die Landschaft in ihrem Charakter – ähnlich wie die
Heidschnucken in der Lüneburger Heide. Die Herden werden »gemanagt«,
also per Geburtenkontrolle auf gleichem Stand gehalten.
Tote Tiere landen im Krematorium oder in der Biogasanlage.
Diese Rinder, Schafe und Ziegen wären praktisch Angestellte
der Bauern – oder besser der Allgemeinheit. Weil sich die aufwendige
Haltung von Tieren nicht mehr über den Verkauf von
Fleisch, Milch und Käse rentierte, müssten die Kosten als »Dienstleistungen
an der Natur« aus Staatsgeldern bezahlt werden, wie
es bereits jetzt teilweise in der »Gemeinsamen Agrarpolitik« der
EU geschieht. Die Zahlungen lägen deutlich höher als die heute
in Deutschland verteilten 6,7 Milliarden Euro pro Jahr – und sie
seien nicht so leicht bei den EU-Partnern durchzusetzen, die nicht
vegan leben wollen oder es wegen ihres vielen Grünlands gar
nicht können, sagt Urs Niggli.
Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard
Krüsken, hält dieses Szenario für absurd: Um einen solchen
Bernhard Krüsken,
Generalsekretär des Deutschen
Bauernverbands
POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
»riesigen Streichelzoo mit angeschlossener Nutztierkompostierung«
zu finanzieren, müsste die öffentliche Hand »einige Tausend
Euro pro Hektar« aufwenden. Wie teuer ein solches System für
die Steuerzahler:innen wäre, lässt sich tatsächlich noch gar nicht
abschätzen.
Schweine dagegen wären im veganen Deutschland als Nutztiere
praktisch vollständig verschwunden. Auch Geflügel gäbe es
nur noch rund ums Haus, keinesfalls in großen Ställen. Das Sportfischen
wäre ausgetrocknet, weil niemand mehr Tieren Leid zufügen
möchte.
»Ein interessantes Gedankenspiel«, nennt Knut Ehlers, Landwirtschaftsexperte
beim Umweltbundesamt, die Vorstellung vom
veganen Deutschland. Für ihn gäbe es beim Verzicht auf Tierhaltung
große Vorteile bei Naturschutz und sauberer Luft. Auch würde
Deutschland seine Klimaziele leichter erreichen. Denn bislang
gestehen die Szenarien zur Klimaneutralität der Landwirtschaft
auch 2045 noch Emissionen zu, die bisher praktisch nicht zu vermeiden
sind – aus der Gülle, dem Verdauungstrakt der Rinder
und aus Moorböden, die zu Weiden geworden sind.
Ehlers warnt allerdings vor einem »Heile-Welt-Szenario«.
Denn auch vegane Landwirtschaft muss nicht ökologisch sein.
Der Anbau von Linsen, Hafer, Erbsen und Bohnen ließe sich in
industriellem Maßstab und mit Mineraldünger ertragreicher organisieren
als mit bäuerlichen Ökofamilienbetrieben. Der Druck
zu Rationalisierung könnte sogar steigen, wenn keine Tiere mehr
gehalten würden. In diesem Szenario würde
sich ohnehin eine völlig neue Agrarindustrie
etablieren. Marktführerin bei Sojaschnitzel und
veganer Teewurst könnte die ursprüngliche
Fleischfabrik Rügenwalder Mühle bleiben, die
schon 2020 mit veganen und vegetarischen Produkten
ähnlich viel Umsatz wie mit klassischen
Fleisch- und Wurstwaren machte. Auch das
Schlachtimperium Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück
hat mit seinem Veggie-Geschäftsbereich
Vevia 4 You schon seit 2020 den Markt der Zukunft
jenseits der billigen Massenware aus Tierfleisch
entdeckt.
Aus Sicht des Bauernverbands wäre ein
veganes Deutschland ein ökonomisches und
ökologisches Desaster: »Den Landwirten würde
ohne Tierhaltung etwa die Hälfte ihrer Wertschöpfung und ihres
Einkommens verloren gehen«, sagt DBV-Generalsekretär Krüsken.
Ohne Tiere bliebe den Landwirt:innen nur der Erlös aus den
Feldfrüchten, daher brauchten sie deutlich größere Flächen für
das gleiche Einkommen. Die Wertschöpfung durch die Veredelung
veganer Produkte bliebe bei den Lebensmittelherstellern hängen.
Der wirtschaftliche Druck würde Höfe noch schneller sterben
lassen.
Krüsken warnt: Ohne den Kreislauf von Ackerbau mit tierischem
Dung müssten Betriebe mehr Mineraldünger einsetzen,
der mit hohem Energieaufwand hergestellt wird. Dazu sänke der
Verkehrswert von Grünlandgrundstücken, wenn keine Viehwirtschaft
mehr stattfände.
Zurück auf dem veganen Hof von Bauer Daniel Hausmann.
Der junge Landwirt gibt gern zu, dass er durchaus Tiere »benutzt«:
Am Bach hat er Weiden und Erlen gepflanzt, um den Erlenblattsauger
anzusiedeln. Der wiederum soll Marienkäfer anlocken, die
dann nebenan auf dem Feld die Blattläuse vom Gemüse fressen
sollen. »Und wenn der Fuchs auftaucht, haben die Nachbarn Angst
um ihre Hühner«, sagt Hausmann. »Ich freue mich, wenn er sich
bei mir ein paar Mäuse schnappt.« Und die Schnecken auf seinem
Salat? Die töte er natürlich nicht, sondern sammle sie in einen Eimer
und kippe sie dann weit entfernt in die Wiese.
»Das Leben ohne Tiere ist schon entspannter«, findet Hausmann.
Und: »Man hat viel mehr Freiheit. Anders als ein Stall voller
Kühe kommt mein Gemüse auch mal ein Wochenende ohne
mich aus.«
Nr. 1 / 2. 10. 2021 SPIEGEL START 47