05.10.2021 Aufrufe

SPIEGEL START 01/2021

Das Magazin für Uni und Arbeit SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre. Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund. Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.

Das Magazin für Uni und Arbeit

SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre.

Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund.

Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

etwa 15 Rindern, die oberhalb ihres Hofs stoisch im saftigen Kleegras

dem kalten Regen trotzt. Dazu kommen etwa 40 Hühner,

die sich auf der Weide gegenüber unter einen alten Anhänger ducken.

Und im Stall warten Umsi und Gunda, die beiden schwarzen

sächsischen Warmblüter, auf ihren Einsatz vor dem Pflug. Ohne

Nutztiere ginge auf Bohnes Hof nicht viel. Für die Bohnes ist vegane

Landwirtschaft eine interessante Idee, mehr nicht. »Zur

bäuer lichen Landwirtschaft gehören Ackerbau und Viehzucht«,

sagen sie. Doch wenn sie sechs Rinder im Jahr schlachten, dann

gehe ihr das schon nahe, sagt Synke Bohne. »Aber das gehört

dazu, sie hatten ja ein gutes Leben.«

Auf dem Tisch liegt die Preisliste für das Rindfleisch, das sie

im Hofladen verkaufen. Ein Kilogramm Lende für 46 Euro, Gulasch

für 16 Euro. »Wir sind keine Veganer, wir halten und schlachten

Tiere«, sagt Synke Bohne, »aber ich habe mehr Verständnis

für einen Veganer als für jemanden, der Billigschnitzel für

2,99 Euro kauft.«

KLIMAZIELE LEICHTER ERREICHEN

Tatsächlich habe die Bundesrepublik ungewöhnlich gute Bedingun -

gen, sich selbst vegan zu versorgen, sagt Agrarexperte Urs Niggli.

»Denn in Deutschland sind nur rund 30 Prozent der landwirtschaftlichen

Fläche Grünland«, also Wiesen und Weiden, die zu

karg, zu steil, zu nass oder zu abgelegen sind für den Anbau von

Obst, Gemüse oder Getreide. »Weltweit sind das aber 67 Prozent«,

zeigt der Experte anhand einer Statistik der

»Landwirten würde

ohne Tierhaltung

die Hälfte ihrer

Wertschöpfung

verloren gehen.«

Welternährungsorganisation FAO. In anderen

EU-Ländern sei die Bedeutung des Grünlands

ebenfalls viel größer als in Deutschland. Wenn

diese Flächen nicht mit Wiederkäuern wie Rindern,

Schafen oder Ziegen beweidet würden,

fielen sie für die Nahrungsproduktion aus.

Aber auch in einem veganen Deutschland

würde das Grünland nicht einfach sich selbst

überlassen. Ganze Regionen würden sonst mit

Büschen und später Bäumen zuwuchern. Das

aber bedeute eine Gefahr für Tier- und Pflanzenarten

aus der Kulturlandschaft, sagt Reinhild

Benning, Agrarexpertin bei der Deutschen

Umwelthilfe DUH. »Am meisten bedroht sind

Tiere und Pflanzen der agrarökologisch genutzten

Agrarlandschaft, etwa Kiebitz, Braunkehlchen, Uferschnepfe

oder Wiesen-Bocksbart sowie Kuckucks-Lichtnelke«, sagt sie. Eine

Landwirtschaft ohne Nutztiere sei für viele bedrohte Arten deshalb

kein Fortschritt. Dazu komme, dass gerade Wiesen und Weiden

große Mengen Kohlenstoff im Boden speichern.

Doch es gibt Lösungen. Kühe – allerdings in viel kleineren

Herden als heute – fressen ihre Weiden in Zukunft weiter ab und

düngen sie mit ihren Hinterlassenschaften, sodass Wildkräuter

und Insekten sich vermehren können. Schafe und Ziegen ziehen

über Deiche und Berghänge, um sie festzutreten. Außerdem erhalten

sie die Landschaft in ihrem Charakter – ähnlich wie die

Heidschnucken in der Lüneburger Heide. Die Herden werden »gemanagt«,

also per Geburtenkontrolle auf gleichem Stand gehalten.

Tote Tiere landen im Krematorium oder in der Biogasanlage.

Diese Rinder, Schafe und Ziegen wären praktisch Angestellte

der Bauern – oder besser der Allgemeinheit. Weil sich die aufwendige

Haltung von Tieren nicht mehr über den Verkauf von

Fleisch, Milch und Käse rentierte, müssten die Kosten als »Dienstleistungen

an der Natur« aus Staatsgeldern bezahlt werden, wie

es bereits jetzt teilweise in der »Gemeinsamen Agrarpolitik« der

EU geschieht. Die Zahlungen lägen deutlich höher als die heute

in Deutschland verteilten 6,7 Milliarden Euro pro Jahr – und sie

seien nicht so leicht bei den EU-Partnern durchzusetzen, die nicht

vegan leben wollen oder es wegen ihres vielen Grünlands gar

nicht können, sagt Urs Niggli.

Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard

Krüsken, hält dieses Szenario für absurd: Um einen solchen

Bernhard Krüsken,

Generalsekretär des Deutschen

Bauernverbands

POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

»riesigen Streichelzoo mit angeschlossener Nutztierkompostierung«

zu finanzieren, müsste die öffentliche Hand »einige Tausend

Euro pro Hektar« aufwenden. Wie teuer ein solches System für

die Steuerzahler:innen wäre, lässt sich tatsächlich noch gar nicht

abschätzen.

Schweine dagegen wären im veganen Deutschland als Nutztiere

praktisch vollständig verschwunden. Auch Geflügel gäbe es

nur noch rund ums Haus, keinesfalls in großen Ställen. Das Sportfischen

wäre ausgetrocknet, weil niemand mehr Tieren Leid zufügen

möchte.

»Ein interessantes Gedankenspiel«, nennt Knut Ehlers, Landwirtschaftsexperte

beim Umweltbundesamt, die Vorstellung vom

veganen Deutschland. Für ihn gäbe es beim Verzicht auf Tierhaltung

große Vorteile bei Naturschutz und sauberer Luft. Auch würde

Deutschland seine Klimaziele leichter erreichen. Denn bislang

gestehen die Szenarien zur Klimaneutralität der Landwirtschaft

auch 2045 noch Emissionen zu, die bisher praktisch nicht zu vermeiden

sind – aus der Gülle, dem Verdauungstrakt der Rinder

und aus Moorböden, die zu Weiden geworden sind.

Ehlers warnt allerdings vor einem »Heile-Welt-Szenario«.

Denn auch vegane Landwirtschaft muss nicht ökologisch sein.

Der Anbau von Linsen, Hafer, Erbsen und Bohnen ließe sich in

industriellem Maßstab und mit Mineraldünger ertragreicher organisieren

als mit bäuerlichen Ökofamilienbetrieben. Der Druck

zu Rationalisierung könnte sogar steigen, wenn keine Tiere mehr

gehalten würden. In diesem Szenario würde

sich ohnehin eine völlig neue Agrarindustrie

etablieren. Marktführerin bei Sojaschnitzel und

veganer Teewurst könnte die ursprüngliche

Fleischfabrik Rügenwalder Mühle bleiben, die

schon 2020 mit veganen und vegetarischen Produkten

ähnlich viel Umsatz wie mit klassischen

Fleisch- und Wurstwaren machte. Auch das

Schlachtimperium Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück

hat mit seinem Veggie-Geschäftsbereich

Vevia 4 You schon seit 2020 den Markt der Zukunft

jenseits der billigen Massenware aus Tierfleisch

entdeckt.

Aus Sicht des Bauernverbands wäre ein

veganes Deutschland ein ökonomisches und

ökologisches Desaster: »Den Landwirten würde

ohne Tierhaltung etwa die Hälfte ihrer Wertschöpfung und ihres

Einkommens verloren gehen«, sagt DBV-Generalsekretär Krüsken.

Ohne Tiere bliebe den Landwirt:innen nur der Erlös aus den

Feldfrüchten, daher brauchten sie deutlich größere Flächen für

das gleiche Einkommen. Die Wertschöpfung durch die Veredelung

veganer Produkte bliebe bei den Lebensmittelherstellern hängen.

Der wirtschaftliche Druck würde Höfe noch schneller sterben

lassen.

Krüsken warnt: Ohne den Kreislauf von Ackerbau mit tierischem

Dung müssten Betriebe mehr Mineraldünger einsetzen,

der mit hohem Energieaufwand hergestellt wird. Dazu sänke der

Verkehrswert von Grünlandgrundstücken, wenn keine Viehwirtschaft

mehr stattfände.

Zurück auf dem veganen Hof von Bauer Daniel Hausmann.

Der junge Landwirt gibt gern zu, dass er durchaus Tiere »benutzt«:

Am Bach hat er Weiden und Erlen gepflanzt, um den Erlenblattsauger

anzusiedeln. Der wiederum soll Marienkäfer anlocken, die

dann nebenan auf dem Feld die Blattläuse vom Gemüse fressen

sollen. »Und wenn der Fuchs auftaucht, haben die Nachbarn Angst

um ihre Hühner«, sagt Hausmann. »Ich freue mich, wenn er sich

bei mir ein paar Mäuse schnappt.« Und die Schnecken auf seinem

Salat? Die töte er natürlich nicht, sondern sammle sie in einen Eimer

und kippe sie dann weit entfernt in die Wiese.

»Das Leben ohne Tiere ist schon entspannter«, findet Hausmann.

Und: »Man hat viel mehr Freiheit. Anders als ein Stall voller

Kühe kommt mein Gemüse auch mal ein Wochenende ohne

mich aus.«

Nr. 1 / 2. 10. 2021 SPIEGEL START 47

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!