POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFTWENNDEUTSCHLANDEIN LANDDER VEGANERWÄREBurger vom Acker, keine Gülle und kein Schlachten mehr:ein Gedankenexperiment, das nach Utopie klingt.Es ist machbar. Eine heile Welt wäre es trotzdem nicht.TEXT BERNHARD PÖTTERFOTOS THOMAS VICTORAuf den ersten Blick betreibt Daniel Hausmann einen ganzgewöhnlichen Hofladen. Im Erdgeschoss seines Bauernhausesim sächsischen Breitenborn stehen Tische, an denWänden hängen Zettel und Plakate, in den Regalen lagernNudeln, Gemüse und Obst zum Verkauf. Der zweite Blickoffenbart: Die Milch ist aus Hafer, die Nudeln enthalten kein Ei,und das Schmalz besteht aus Pflanzenfett. Auf den Zetteln an derPinnwand heißt es »Der Mensch isst aus Gewohnheit Tier« undüber einem Bild mit Hund und Ferkel: »Wen streicheln? Wenessen?«Der junge Bauer hat seinen veganen Hofladen ausgerechnetim ehemaligen Kuhstall des Bauernhauses eingerichtet, das hierseit etwa 1900 steht. Hausmanns Kohl, Pastinaken und Lauch liegenauf dem alten Futtertrog an der Wand, dieEisenringe in der rissigen Steinwand zeugenvon der Viehhaltung. »Ich bin mit Kühen aufgewachsen«,sagt der 30-jährige Landwirt,»aber es hat sich immer komisch angefühlt,wenn die Kälber zum Schlachten abgeholt wurden.«Deshalb gibt es auf Hausmanns Hof seitneun Jahren keine Nutztiere mehr. Als er zurAnja Bonzheim,veganen Landwirtschaft wechselte, stellte er sogardas Düngen mit Kuhdung ein. Aus der offe-Öko-Agrarberaterinnen Tür seines Ladens blickt er jetzt auf dentierfreien Komposthaufen aus geschnittenemKleegras, daneben blühen die alten Apfelbäumeeiner Streuobstwiese, begehbare Folientunnelschützen Salatköpfe, Schnittlauch und Spinatvor Kälte und Schnecken.»Die extrem große Abwechslung bei Anbau und Fruchtfolge»Wir haben dannmehr Vielfalt inder Natur und aufdem Teller.«reizt mich«, erzählt der junge Mann im Anorak. Hausmann arbeitetmit etwa 50 Gemüsearten und Getreide auf 20 Hektar Land.200 Kisten mit Gemüse liefert er jede Woche an seine Kund:innenaus. Zwischen Leipzig und Chemnitz der einzige Landwirt zu sein,der aus Überzeugung keine Tiere habe, mache ihn stolz, sagt er.»Wir sind eine vegane Insel hier.«EIN LAND MIT VIEL PLATZWas aber wäre, wenn aus dieser Insel Festland würde? Wenn ganzDeutschland und nicht nur eine Minderheit vegan leben würde?Wie würde eine solche Umstellung das Land, seine Landschaftund seine Landwirtschaft verändern?Nach einer Studie des Allensbach-Instituts bezeichnen sichmittlerweile über 1,1 Millionen Menschen in Deutschland als Vega -ner:innen. Die Produktion von Fleischersatzprodukten steigt steilan, 2020 um mehr als 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr, allerdingsauf sehr niedrigem Niveau. Bei vielen jungen Menschen vorallem in den Städten ist veganes Leben längst zum Standard geworden.Vegane Cafés und Restaurants sind so normal wie diefleischlosen Ersatzprodukte im Wurstsortiment der Super märkte.Schon eine Landwirtschaft, die flächendeckend deutlich wenigerFleisch und Milchprodukte produzierte, würde eine riesigeVeränderung bedeuten. Dies ergab eine umfangreiche Studie weltweiterFachleute 2019. Würde die Landwirtschaftso umgestellt, dass sie einen angemessenenBeitrag zu den Pariser Klimazielen leistete,müsste »der globale Verbrauch von Lebensmittelnwie rotem Fleisch um über 50 Prozent sinken,während sich der Konsum von Nüssen,Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten mehr alsverdoppeln müsste«. Vollständig vegetarischoder gar vegan würden die Bauern dann nochlange nicht wirtschaften. Bis jetzt ist das je nachBlickwinkel Utopie oder Dystopie.»Wie ein völlig veganes Deutschlandaussehen könnte, darüber gibt es bei uns keineStudien«, sagt Michael Welling vom Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut fürLändliche Räume, Wald und Fischerei. Auchbeim Max Rubner-Institut, der Forschungseinrichtung des Bundesfür Ernährung und Lebensmittel: Fehlanzeige. »Das liegt so weitabseits des Realistischen und betrifft sehr wenige Menschen, deshalbsind Untersuchungen schwierig«, so Welling. Weder DeutscherBauernverband noch Umweltbundesamt oder Weltklimarathaben wissenschaftliche Projektionen, wie eine VersorgungDeutschlands ganz ohne Fleisch, Milch, Käse, Joghurt, Quark undLeder aussehen könnte.Was sich allerdings sagen lässt: Ein veganes Deutschlandwäre ein Land mit viel Platz. Das ergibt ein solches Gedanken -experiment nach vielen Gesprächen mit Landwirt:innen, For-44 SPIEGEL START Nr. 1 / 2. 10. 2021
Sächsischer AlternativlandwirtHausmann: »Dieextrem große Abwechslungbei Anbau undFruchtfolge reizt mich«
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