SPIEGEL START 01/2021
Das Magazin für Uni und Arbeit SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre. Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund. Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
Das Magazin für Uni und Arbeit
SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre.
Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund.
Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
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POLITIK, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
könnte auch an den Finanziers liegen. »Seit 2017 beobachten wir
einen starken Anstieg von Finanzinvestoren in der Gesundheitsbranche«,
sagt Christoph Scheuplein, der an der Westfälischen
Hochschule Gelsenkirchen zum Thema forscht. »Die größten Übernahmen
gibt es dabei in der Pflege.«
Nach Erhebungen von Scheuplein sind derzeit mindestens
17 Pflegeketten in Deutschland in der Hand von Private-Equity-
Investor:innen. »Der Sektor ist stark reguliert, aber er bietet stabile
Einnahmen«, erklärt er. »Investoren zieht auch die Zersplitterung
der Branche an. Im Vordergrund steht nicht der Bau eigener Pflege -
heime, sondern es werden vor allem bestehende Unternehmen
zusammengelegt.«
Terra incognita für Gewerkschaften
Deutschlands zweitgrößte Pflegekette Alloheim wechselte bereits
mehrfach den Besitzer und gehört mittlerweile der Beteiligungsgesellschaft
Nordic Capital, deren Fonds vom Steuerparadies Jersey
aus gesteuert werden. Kein Einzelfall: Zwei Drittel der Ketten
mit Private-Equity-Investor:innen werden laut Scheuplein aus Offshore-Finanzplätzen
wie den Cayman Islands oder Guernsey
gesteuert. Dort sparen sie nicht nur Steuern, sondern sind auch
kaum Rechenschaft über ihre Einnahmen schuldig.
Angesichts der neuen Akteure wollen manche den Pflegemarkt
noch stärker regulieren als bisher. Renditen in der Pflege
sollten begrenzt werden, forderte die SPD-Fraktion vor zwei Jahren.
Den Mittelständler Leusbrock ärgert das. »Wann haben wir
darüber geredet, dass Ärzte zu viel verdienen?« Außerdem seien
ambulante Pflegedienste keine Ketten. »Das sind meistens Unternehmen,
die von Frauen wie meiner Mutter gegründet wurden.«
Tatsächlich sind Finanzinvestor:innen im ambulanten Bereich
kaum präsent. Mitarbeiter:innen von Ketten trifft Leusbrock dennoch
– wenn Altenheime bei gemeinsamen Arbeitsgruppensitzungen
regelmäßig von neuen Trägern vertreten werden.
Das Interesse an der Pflege als Geschäft steigt. Doch profitieren
davon auch die Pfleger:innen?
In einer Marktwirtschaft regeln der reinen Lehre zufolge
Angebot und Nachfrage den Preis. So betrachtet befinden sich
die Beschäftigten in der Altenpflege in einer vielversprechenden
Position: Seit Jahren stellt die Bundesagentur für Arbeit (BA)
einen flächendeckenden Fachkräftemangel fest. Für eine gute Pflege
benötigten allein die Altenheime 100 000 zusätzliche Arbeitskräfte,
hat Gesundheitsökonom Rothgang ermittelt. Die demografische
Entwicklung wird den Bedarf weiter steigen lassen. Tatsächlich
wirkt sich die hohe
Nachfrage in der Altenpflege
bereits aus: Die Löhne
sind in den vergangenen
Jahren überdurchschnittlich
stark gestiegen. Von 2012
bis 2019 legten die mittleren
Bruttoverdienste von Vollzeitbeschäftigten
um rund
28 Prozent zu, sowohl bei
Fach- als auch bei Hilfskräften.
Über alle Beschäftig ten
hinweg wuchsen in Deutschland
die Verdienste lediglich
um gut 18 Prozent.
Auf dieses überdurchschnittliche
Wachstum verweisen
Arbeitgeberverbände
wie der AGVP gern. In
absoluten Beträgen relativiert
sich der scheinbar
hohe Anstieg jedoch, weil
er von einem recht niedrigen
Niveau aus erfolgte.
Der Bruttomonatsverdienst
von Vollzeit-Pflegehelfer:innen etwa stieg in den sieben Jahren
um 464 Euro, beim Durchschnitt aller Beschäftigten dagegen um
525 Euro. Bei Fachkräften war der absolute Anstieg mit 659 Euro
zwar höher, doch selbst sie verdienen immer noch deutlich weniger
als durchschnittliche Arbeitnehmer:innen. Unterm Strich arbeitete
im Jahr 2019 in Westdeutschland noch ein Viertel der Beschäftigten
in der Altenpflege für Niedriglohn, in Ostdeutschland waren es sogar
40 Prozent. Der Markt regelt es offensichtlich nicht von allein.
Die Lohngefälle sind auch innerhalb der Pflegebranche hoch.
Krankenhäuser zahlen deutlich besser als Altenheime, deren Gehälter
wiederum erheblich über ambulanten Pflegediensten liegen.
Diese Hierarchie entspricht nicht von ungefähr der jeweiligen
Schlagkraft der Gewerkschaften. Nur elf Prozent aller Altenpflege -
kräfte sind überhaupt gewerkschaftlich organisiert, stellte der Poli -
tologe Wolfgang Schroeder 2017 in einer Studie im Auftrag der
gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fest. Vier von fünf Befragten
wurden bislang noch nicht einmal von einer Gewerkschaft
kontaktiert. »Ich habe noch nie erlebt, dass unsere Pflegekräfte
von Gewerkschaften angesprochen wurden«, bestätigt Mana ger
Leusbrock. »Wir haben einen Organisationsgrad von null. Ich
finde das wirklich schade.«
Insbesondere die ambulante Altenpflege gleicht für Gewerkschaften
einer Terra incognita. Selbst Ver.di mit seinen zwei Millionen
Mitgliedern verhandelt zwar für die Pflegekräfte im öffentlichen
Dienst regelmäßig Tarifverträge, bekommt aber in der ambulanten
Pflege keinen Fuß in die Tür. »Ich will keinen Hehl daraus
machen, dass es unsere Kapazitäten schlicht übersteigt, überall
präsent zu sein«, sagt Ver.di-Vorständin Sylvia Bühler. »Es gibt
Tausende ambulante Dienste mit zum Teil ganz wenig Personal,
das fast die ganze Arbeitszeit in privaten Haushalten und auf der
Straße verbringt und nicht gemeinsam im Betrieb. Wie soll ich an
die rankommen?«
In den Altenheimen ist Ver.di ein bisschen präsenter. Die
Zahl der dortigen Mitglieder gibt die Gewerkschaft aber ebenso
wenig preis wie der AGVP die Namen der von ihm vertretenen
Unternehmen. Neben Intransparenz verbindet beide Seiten ausgeprägte
Abneigung. »Wir haben es nicht mit Sozialpartnern zu
tun, sondern mit Arbeitgeberverbänden, die Gewerkschaften bekämpfen
und Tarifverträge verhindern, statt sie abzuschließen«,
schimpft Bühler.
Für ihre Blockadehaltung genügt den Arbeitgeberverbänden
bislang der Hinweis, dass Ver.di nur eine kleine Minderheit vertritt.
Die Sammelgewerkschaft habe es schwer, konstatiert Gesundheits-
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