SPIEGEL START 01/2021
Das Magazin für Uni und Arbeit SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre. Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund. Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
Das Magazin für Uni und Arbeit
SPIEGEL START ist der Begleiter für Studierende auf ihrem Weg zum ersten Job und richtet sich an junge Leute unter 30 Jahre.
Bei SPIEGEL START steht der Mensch im Mittelpunkt: Themen wie z.B. Partnerschaft und Familie, Arbeitswelt, das Erreichen individueller Ziele und Lebensträume stehen im Vordergrund.
Die erste Ausgabe erscheint am 02.10.2021. Ab 2022 erscheint SPIEGEL START vier Mal im Jahr.
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» Es war
kein Raum
da für den
Schock«
Marie Nasemann,
Model und Bestsellerautorin,
und ihr Mann Sebastian
Tigges machten ihre
Fehlgeburt öffentlich.
Hier erzählen sie,
wie unterschiedlich sie
trauerten, was das für
ihre Beziehung bedeutete –
und warum das jeden
etwas angeht.
INTERVIEW NIKE LAURENZ
Ehepaar Nasemann,
Tigges:
»Nach einigen
Monaten konnten
wir unseren Frieden
mit der Situation
machen«
ALLTAG UND BEZIEHUNG
I
n ihrer Berliner Maisonettewohnung setzen
wir uns ins Wohnzimmer, an den runden Tisch,
der schon häufiger auf Marie Nasemanns Instagramprofil
zu sehen war. Auf der Plattform
folgen ihr fast 200 000 Menschen, mehr als
2400 Posts gewähren Einblicke in ihr Leben. Auf der
karierten Tischdecke liegen ein paar Krümel, wahrscheinlich
vom Frühstück, Nasemann trägt Ringel -
socken, es gibt Kaffee. Sie und ihr Mann Sebastian
Tigges haben etwas erlebt, was in der Medizin als natürlich
gilt, was das Paar aber trotzdem völlig unvorbereitet
traf: eine Fehlgeburt. Als die beiden ein Jahr
zusammen waren, im Jahr 2018, wurde Marie Nasemann
schwanger – verlor das Ungeborene jedoch zwischen
der sechsten und achten Woche. Einige Zeit später
erzählte sie auf Instagram und ihrem Blog von diesem
Moment, dann auch in einer ihrer Podcast-Folgen.
SPIEGEL: Frau Nasemann, Herr Tigges, Sie
haben sich entschlossen, öffentlich über die
Fehlgeburt zu sprechen, die Sie beide vor
einiger Zeit erlebt haben. Haben Sie diese
Entscheidung je bereut?
NASEMANN: Nein. Nachdem ich auf Instagram
und meinem Blog darüber geschrieben hatte, dass ich
eine Fehlgeburt hatte und wie es uns damit ging, bekam
ich unzählige Nachrichten von Frauen, die schrieben,
dass ihnen dasselbe passiert sei – sie sich bisher
aber nicht getraut hätten, mit mehr Menschen als
ihrem Partner darüber zu sprechen. Viele schrieben,
sie hätten durch mich den Mut gefunden, sich
Freund:innen oder Familienangehörigen anzuvertrauen
oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Einige
waren überrascht, dass auch Männer leiden, dass
eine Fehlgeburt kein reines Frauenthema ist und auch
nichts, wonach der Alltag locker weitergeht.
TIGGES: Ich bereue das auch nicht. Ich stand
durch die Beiträge zwar plötzlich in der Öffentlichkeit,
aber darüber haben Marie und ich vorher sehr lange
gesprochen. Das Thema muss in der Gesellschaft gesehen
werden, es darf kein Tabuthema bleiben, was
es aus meiner Sicht noch ist.
Als eine Fehlgeburt gilt der Verlust eines höchstens
500 Gramm schweren Ungeborenen bis zur 24. Schwangerschaftswoche.
Geschätzt eine von zehn Schwangeren
hat eine Fehlgeburt – das Risiko ist am Anfang der
Schwangerschaft besonders hoch. Die Zahl erscheint
hoch, doch in den allermeisten Fällen passiert die Fehlgeburt
so früh, dass die Schwangerschaft selbst noch
gar nicht bemerkt wurde. In den anderen Fällen stellen
Expert:innen immer wieder fest, dass über diesen gewöhnlichen
Vorgang der Natur in der Gesellschaft nur
wenig gesprochen wird. Gründe dafür gibt es viele:
überforderte Freund:innen und Verwandte, die die
Trauer nicht verstehen, trauernde Paare, die nicht
wissen, wie sie den Verlust verarbeiten sollen – weil
die Komplikationen und die Schuldzuweisungen häufig
nah beieinanderliegen.
SPIEGEL: Wie haben Sie diesen Moment in
Ihrem Leben wahrgenommen?
TIGGES: Wir erfuhren es während einer Ultraschalluntersuchung.
Die Ärztin hat es uns gesagt und
uns dann sehr schnell fachlich aufgeklärt. Während
Marie und ich sprachlos waren, sprach die Ärztin schon
von den nächsten Schritten. Bei uns kamen nur Wortfetzen
an: »passiert sehr häufig«, »natürliche Fehl -
Nr. 1 / 2. 10. 2021 SPIEGEL START 71